Suchttherapie 2009; 10(1): 3
DOI: 10.1055/s-0029-1192024
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

S. Kuhn 1
  • 1Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS) c/o Zentrum für Psychosoziale Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie im UKE
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Publication Date:
16 February 2009 (online)

Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht durch die Medien daran erinnert werden, dass unsere Bevölkerungsstruktur sich verändert. Produkte für das alltägliche Leben, aber auch die Werbung werden stärker auf die ältere Generation ausgerichtet. Dabei liegt der Fokus auf den finanzkräftigen und mobilen älteren Menschen nach dem Motto „Jung und fit im Alter”.

Dass viele ältere Menschen abhängig sind von Alkohol, Nikotin, Medikamenten und auch von illegalen Drogen wird dagegen kaum wahrgenommen. Sie stehen nicht im Blickpunkt der Medien und ihr süchtiges Verhalten findet eher im Verborgenen statt. Die Sucht im Alter ist meist eine stille, nicht-öffentliche Sucht und ihre Auswirkungen werden oft als typische Alterssymptome angesehen. In ihrem Beitrag weisen Matthias Förster und Christine Thomas auf die Aspekte der Substanzabhängigkeit aus geriatrisch-gerontopsychiatrischer Sicht hin. Eine unreflektierte Verschreibungspraxis psychotroper Substanzen sowie falsche Indikationsstellungen, inadäquate Dosierungen und die Nichtbeachtung von Wechselwirkungen birgt große Gefahren gerade für ältere Menschen. Suchtdiagnostische Kriterien, die bei jüngeren Menschen anerkannter Standard sind, müssen für ältere nicht gleichermaßen gültig sein. In ihrem Übersichtsartikel geht Frau Schäufele daher auch auf die Epidemiologie riskanten Alkoholkonsums im höheren Lebensalter ein und konzentriert sich nicht aussschließlich auf den Bereich der Alkoholabhängigkeit.

Ein weiteres, bisher kaum wahrgenommenes Problem wird in Zukunft der Drogenkonsum im Alter sein. Nach Angaben der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht wird im Zeitraum zwischen 2001 und 2020 die Zahl der über 50-jährigen, die illegale Drogen konsumieren oder sich wegen ihres Drogenkonsums in Behandlung begeben, auf das Dreifache ansteigen. Zu dem Thema der älteren Drogenabhängigen, ihrer Gesundheit und Lebenssituation hat Irmgard Vogt in diesem Heft einen umfassenden Überblick zusammengestellt.

Nur sehr wenige Ältere finden den Weg in die ambulanten oder stationären Einrichtungen der Suchthilfe. Liegt es an der landläufigen Meinung, dass man ältere Menschen nicht mehr ändern kann? Die Skepsis bei den Behandlern weicht nur langsam einer realistischen Einschätzung des Nutzens einer auf die Sucht ausgerichteten Therapie. Gerade bei den Späteinsteigern, denjenigen also, die erst im Alter ein Suchtproblem entwickeln, ist die Schamgrenze hoch. Dabei besteht kein Grund zur Resignation. Georg Poppele und Helgard Anders zeigen in ihrem Artikel eine mögliche Modifikation bestehender und bewährter therapeutischer Konzepte und ihre Adaption an die Erfahrungswelt der älteren Patienten.

Die Balance zu halten zwischen der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts im Alter und der Reaktion auf süchtiges Verhalten ist gerade dann am schwierigsten, wenn alte Menschen nicht mehr alleine für sich selbst sorgen können, sondern auf ambulante oder stationäre Pflege angewiesen sind. Barbara Kämper beleuchtet dazu aus der Sicht der ambulanten Pflege und am Beispiel eines drogenabhängigen pflegebedürftigen Menschen diese besonderen Herausforderungen.

Der Weg zu einem anerkannten Standard in der Versorgung suchtkranker alter Menschen führt nicht zuletzt über die Erforschung der Ursachen und der Behandlungsmöglichkeiten. Daher will das Bundesministerium für Gesundheit das Thema Sucht im Alter aufgreifen.

Silke Kuhn

Korrespondenzadresse

Dr. S. Kuhn

Zentrum für Interdisziplinäre

Sucht forschung der Universität

Hamburg (ZIS) c/o Zentrum

für Psychosoziale Medizin,

Psychiatrie und Psychotherapie im UKE

Martinistr. 52

20246 Hamburg

Email: skuhn@uke.uni-hamburg.de

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