Dtsch Med Wochenschr 1925; 51(38): 1562-1565
DOI: 10.1055/s-0028-1137153
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Kokainismus und Homosexualität

Ernst Joël, Fritz Fränkel in Berlin
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Publication Date:
23 May 2009 (online)

Zusammenfassung

Kokainismus und Homosexualität sind Erscheinungen, deren Zusammengehörigkeit sich in den letzten Jahren übereinstimmend in den verschiedensten Ländern gezeigt hat. 1. Der Kokainist kann von Haus aus manifest homosexuell sein. Homosexuelle neigen aus konstitutionellen und sozialen Gründen zur Toxikomanie, jetzt besonders zum Kokainismus. 2. Der latent Homosexuelle kann unter Kokain wie auch unter anderen Rauschgiften zur Manifestation seiner Triebrichtung kommen. 3. Der Normalsexuelle kann unter Kokain zu einer homosexuellen Betätigung gelangen. Dieser Wechsel des Sexualobjekts wird bedingt durch die Aenderungen, denen die Persönlichkeit mit dem Genuß des Rauschgiftes erliegt und die sich in mannigfaltiger Weise kombinieren können: Fremdsuggestion, Neugierde, Sensationslust, ekstatischer Drang zur Hingabe, am meisten aber eine Störung im Verhältnis von Libido und Potenz. Indem Kokain beim Manne meist die Potenz schwächt, die Libido jedoch zunächst wenigstens unberührt läßt oder gar steigert, kommt es zu einer Abnahme der sexuellen Aktivität, zu einer mehr passiven Einstellung des Trieblebens, zu einer geringeren Zielstrebigkeit des erotischen Verkehrs. Durch eben diese Relationsstörung von Libido und Potenz kommt es zur Notwendigkeit einer Reizsteigerung, die für einen Teil der Fälle durch den vorgestellten oder wirklichen Verkehr mit Gleichgeschlechtlichen erreicht wird. Es handelt sich dann nicht um echte Inversion, sondern um Sexualakte, die trotz Aenderung in der Wahl des Sexualobjekts die wahre Sexualstruktur der Persönlichkeit unberührt lassen. Als Kriterium für die Echtheit der Inversion, auch wo sie nur als homosexueller Einschlag bei einem Normalsexuellen auftritt, dient die bejahende Stellungnahme des selbstkritischen Ichs. Der Pseudohomosexuelle dagegen lehnt die Inversion ab, da sie der Totalität des Ichs fremd ist, und wertet die homosexuelle Handlung als passives Rauscherlebnis oder aber als Akt der Perversion. Darunter verstehen wir einen Akt, dessen Lustgewinn dem Widerspruch der ungewöhnlichen Betätigungsform zur eigentlich wesensadäquaten Triebrichtung entstammt.

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