ZFA (Stuttgart) 2008; 84(10): 422-427
DOI: 10.1055/s-0028-1086013
Der besondere Artikel

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das Elend der Hausärzte [*]

The Misery of Family DoctorsU. Kurzke 1
  • 1Facharzt für Allgemeinmedizin, Pellworm
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Publication Date:
17 October 2008 (online)

Eigentlich bietet sich ein paradoxes Bild. Auf der einen Seite erhält die Allgemeinmedizin nun schon über Jahre Unterstützung durch die Politik und auch Krankenkassen und hat in der Öffentlichkeit darüber auch Stärkung erfahren. Entsprechend hat sich Allgemeinmedizin historisch erstmalig auch an den Universitäten entwickelt und etabliert. Dort wird gute, wichtige und interessante wissenschaftliche Arbeit geleistet. Die Studenten erhalten Unterricht, der ihnen das Fach darstellt und die Bandbreite ärztlicher Möglichkeiten in der Hausarztpraxis vorführt.

All dies – so meint man – sollte der Allgemeinmedizin in der niedergelassenen Praxis zusätzliche Rückendeckung und Anerkennung verschaffen.

Auf der anderen Seite aber scheinen immer weniger junge Kolleginnen und Kollegen bereit zu sein, sich als Allgemeinärzte – sprich Hausärzte in einer Praxis – nieder zu lassen. Dies macht sich besonders in den östlichen Gebieten der Republik bemerkbar, wo es Landstriche gibt, die heute schon unter einem deutlichen Mangel an Hausärzten leiden. Für die nächsten fünf bis zehn Jahre wird ein zunehmender Mangel auch in weiten Teilen der ländlichen Regionen der gesamten Republik prognostiziert. Die Tätigkeit als Landarzt erfreut sich keiner besonderen Beliebtheit. Aufgelistet werden überwiegend die Nachteile einer solchen Tätigkeit: die oft ständige Rufbereitschaft, die häufigen Nacht- und Wochenenddienste.

Die als zu gering erachtete Entlohnung sowie das wenig ansprechende kulturelle und intellektuelle Angebot im ländlichen Raum führen dazu, dass immer weniger Kollegen bereit sind, sich auf eine solche Praxis einzulassen. Oft kommt hinzu, dass Allgemeinärzte zwar bei ihren Patienten beliebt und anerkannt sind, sich aber im Kollegenkreis weniger geschätzt und wertgeachtet fühlen. Im Gespräch mit anderen Allgemeinärzten hört man daher oft, dass diese von ihrer Tätigkeit wenig begeistert sind und mangelnde Freizeit, schlechte Bezahlung und zu viel Stress beklagen ([Abb. 1]).

Abb. 1 Entwicklung der Praxen für Allgemeinmedizin in SH 1997–2007 im Vergleich Stadt/Land I.

Auch für Schleswig-Holstein ist die Tendenz deutlich zu erkennen. Keiner will mehr Hausarzt werden.

Während auf der einen Seite im ländlichen Raum die Hausärzte aussterben, suchen Hausärzte im städtischen Bereich ihr Heil in einer Spezialisierung sei es Psychosomatik, Psychotherapie, Phlebologie oder Ähnlichem.

Die Weiterbildungsordnung tut ihr übriges: Aus dem praktischen Arzt, der praktisch für Alles in der Grundversorgung zuständig war, wurde der Facharzt für Allgemeinmedizin und aus dem Facharzt für Allgemeinmedizin soll der Facharzt für Allgemein- und Innere Medizin werden, für den beispielsweise Chirurgie oder Kinderheilkunde nicht als Pflicht-Weiterbildung vorgeschrieben sind. Allerdings wird letzteres von Ärztekammer zu Ärztekammer gegenwärtig unterschiedlich gehandhabt. Die Kammern verordnen einen Verlust des Generalistischen und somit auch eine Verarmung der Tätigkeit. Das „Neue Fach” ist weitaus enger und spezialisierter als es heute noch beispielsweise durch die Tätigkeit des Landarztes gelebt wird.

Das hausärztliche Leistungsspektrum scheint aber nicht allein durch veränderte Gebührendordnungen, Streichung von Leistungspositionen oder geänderte Weiterbildungsordnungen beeinflusst zu sein. Ein Blick auf die Abrechnungsdaten zeigt, das wir Hausärzte selbst den Rückzug angetreten haben. So bleibt die Zahl der Praxen, die überhaupt Hausbesuche durchführen zwar weitgehend konstant, die Zahl der Hausbesuche fällt jedoch kontinuierlich [Abb. 2].

Abb. 2 Entwicklung der Hausbesuchstätigkeit im Stadt/Land-Vergleich 1997–2007.

Dies gilt sowohl für geplante als auch für Notfall- Hausbesuche. Der Rückzug zeigt sich auch an anderen Leistungen, die nicht zum Kerngebiet der Allgemeinmedizin gehören, zum breiteren Spektrum aber mit dazu gehören können.

So nimmt beispielsweise die Zahl der Allgemeinpraxen, die noch Kindervorsorgeuntersuchungen und Gelenkpunktionen durchführen, bei nahezu gleichbleibender Anzahl pro 100 Patienten in diesen Praxen kontinuierlich ab.

Was ich verdeutlichen möchte ist zweierlei. Auf der einen Seite ziehen wir uns aus originär hausärztlichen Bereichen (Hausbesuche usw.) zurück, auf der anderen Seite scheinen die Praxen, die mit einem erweiterten Spektrum ihre Patienten versorgt haben, so langsam auszusterben. Wir dürfen uns nicht wundern, dass dort, wo wir uns als Hausärzte zurückziehen, andere in diese Lücken stoßen und Home- und Palliativ- und sonstigen Careteams, angeführt von Schwester Agnes den Hausarzt zum Case-Manager degradieren. Als Hausarzt bin ich jedoch kein Case-Manager, sondern lebe in engem Kontakt mit meinen Patienten, als deren Vertrauter und Begleiter.

Was erklärt – neben zu wenig Geld, zu wenig Anerkennung, zu viel Vorgaben durch den Staat, die KV, zu viel Arbeit usw. – möglicherweise noch die schwindende Begeisterung für den Beruf des Hausarztes?

Der Stein der Weisen ist auch nicht auf Pellworm vergraben worden, ich möchte aber aus meiner ganz persönlichen Perspektive versuchen, mögliche Antworten aufzuzeigen.

Sie werden sich genauso wie ich mich gewundert haben, wie das Präsidium DEGAM auf die Idee kommen konnte, ausgerechnet einen Landarzt wie mich um eine Keylecture zur hausärztlichen Tätigkeit zu bitten. Mich, der seit inzwischen mehr als zwanzig Jahren als Arzt auf einer kleinen Nordseeinsel als „altmodischer Hausarzt” tätig ist.

Nach dem Tod meiner Ehefrau von mehr als zehn Jahren führe ich die Praxis als einziger niedergelassener Arzt auf Pellworm. Nach der Anfrage der DEGAM befand ich mich plötzlich in der Situation eines Tausendfüßlers, der bewundernd nach seiner Fähigkeit zur Koordination so vieler Füße gefragt wird. Etwas was für mich normal und selbstverständlich ist, sollte plötzlich etwas Besonderes sein.

1 Key-lecture beim DEGAM Kongress 2008, 21.-23.9., in Berlin

1 Key-lecture beim DEGAM Kongress 2008, 21.-23.9., in Berlin

Korrespondenzadresse

U. Kurzke

Facharzt für Allgemeinmedizin

Uthlandestr. 7

25849 Pellworm

Email: praxis@akkupellworm.de

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