Rofo 2024; 196(01): 15
DOI: 10.1055/a-2136-6222
Brennpunkt

Kommentar zu „JUNGES FORUM – Frauen in der Radiologie“

Sarah Keller
1   Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, Berlin
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Bereits 2018 publiziert, ist der Artikel von Lucy B. Spalluto et al. weiterhin relevant und hochaktuell: In den vergangenen 5 Jahren hat sich wenig an der Geschlechterdisparität in der klinischen und akademischen Medizin verändert. Während auch in Deutschland über die Hälfte der Medizinstudierenden weiblich ist und Universitätsabsolventinnen mit gleichen Ambitionen, Ehrgeiz und Fleiß in ihre medizinische Weiterbildung starten, nimmt der Anteil an Ärztinnen ab je höher die Hierarchieebene und Statusgruppe.

Radiologie, ein traditionell männerdominiertes Fach steht im interdisziplinären Vergleich in puncto Geschlechterparität im unteren Mittelfeld – einer aktualisierten Erhebung des Deutschen Ärztinnenbundes zufolge sind nur 15% aller Klinikdirektorien und ca. 35% aller oberärztlichen Stellen an medizinischen Fakultäten weiblich besetzt [1]. Spalluto et al. empfehlen die Einstellung und Bindung von Frauen zu priorisieren und ein unterstützendes Umfeld zu fördern. Bias-freie und inklusive Einstellungs- und Beförderungsprozesse könnten demnach die Geschlechtervielfalt verbessern.

Lassen sich viele der Empfehlungen des auf amerikanischen Verhältnissen basierenden Artikels auch auf den Deutschen Kontext anwenden, so spielt der Verlust an qualifizierten Radiologinnen im Verlauf der klinisch-akademischen Karriere, vor allem in den ambulanten Sektor, sicher eine entscheidendere Rolle als die fehlende Attraktivität der radiologischen Weiterbildung. Denn der Anteil an Ärztinnen, die in den vergangenen Jahren ihre Facharztqualifikation in der diagnostischen Radiologie erhielten, lag 2021 bei 44% und ist im Jahr 2022 – fraglich pandemiebedingt – auf 41% gesunken [2].

Gerade in der akademischen Medizin ist die geschlechterneutrale und inklusive Förderung von Weiterbildungsassistent*innen während ihrer klinischen Ausbildung von größter Bedeutung, um mehr Ärztinnen in Leitungs- und Lehrstuhlebene zu bringen. Dazu gehört ein lebendiges Mentoring bei wissenschaftlichen Projekten ebenso, wie die objektive Beratung bei wichtigen Karriereentscheidungen, u.v.m. Nicht nur die Forschungsprojektplanung profitiert von Entscheidungsträgerinnen, die mit unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen für eine größere Diversität sorgen [3], sondern auch der weibliche akademische Nachwuchs. Denn obwohl Frauen, die in diesen Funktionen schon Seltenheitswert haben, als Mentorinnen nicht bevorzugt werden, fungieren sie als Role-Models und können wesentliche Fragen, z.B. zur Vereinbarkeit von Familie und Karriere, aus einem genderspezifischen Blickwinkel beantworten [4].

Ein weiterer wichtiger Punkt im o.g. Artikel für Weiterbildungsassistent*innen als auch Oberärzt*innen oder Direktor*innen ist die individualisierte Vereinbarkeit von akademischer Karriere und Familienplanung, beginnend bei der Umsetzung des Mutterschutzes bis hin zur flexiblen Arbeitszeitmodellen und Job Sharing. Personalentscheidungen sollten transparent, inklusiv und frei von Bias sein. Diskriminierung aufgrund von Elternzeit oder der Annahme, dass eine Familienplanung bevorsteht beziehungsweise noch nicht abgeschlossen ist, als auch unflexible Dienstmodelle, reduzieren Aufstiegsmöglichkeiten gerade für Ärztinnen, sodass sie sich für eine Fortsetzung der Karriere im ambulanten Sektor entscheiden.

Die Empfehlungen des Artikels liefern sicher einen wichtigen Richtwert für medizinische Abteilungen und deren Führungskultur, es bleibt jedoch zu betonen, dass die Förderung von Frauen auch stark von der politischen Kultur einer Gesellschaft abhängt. Nicht nur die Coronapandemie, sondern auch die jüngste Debatte über die Senkung der Einkommenshöchstgrenzen für Elterngeldanträge führt uns eindrücklich vor Augen, wie fragil staatliche Ressourcen zur Unterstützung von Familien in Deutschland sind. Die daraus resultierenden Konsequenzen gehen häufig zu Lasten von berufstätigen Frauen und Akademikerinnen [5].



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Article published online:
01 January 2024

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