Geburtshilfe Frauenheilkd 2023; 83(03): 246-252
DOI: 10.1055/a-2008-3833
GebFra Magazin
Geschichte der Gynäkologie

42! – einige Anmerkungen zu den Ärztinnen und Naturwissenschaftlerinnen im „Biographischen Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten 50 Jahre“ von Isidor Fischer von 1932/33

Sonja Nedwig-Hülsey
,
Andreas D. Ebert
,
Matthias David

Das 1933 erschienene „Biographische Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten 50 Jahre“ ([1], im weiteren Text „B. L.“) bildete den Abschluss eines umfangreichen biografischen Gesamtwerkes, das mit insgesamt 9 Bänden „bis heute das repräsentativste und umfangreichste biographische Nachschlagewerk der Medizingeschichte [ist], ohne dass es im internationalen Maßstab einen annähernd vergleichbaren Nachfolger gefunden hätte…“ [2]. Zunächst erschien 1884 das 5-bändige „Biographische Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker“ des Berliner Medizinhistorikers August Hirsch (1817–1894), gefolgt von einem Band „Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte des 19. Jahrhunderts“, der 1901 von Hirschs Schüler Julius Pagel (1851–1912) herausgegeben wurde. 1929 entschloss sich der Verlag Urban & Schwarzenberg zu einer überarbeiteten 2. Auflage des Hauptwerkes mit einem Ergänzungsband zu den Bänden 1 bis 5. Der Gynäkologe und Bibliothekar der Wiener Medizinischen Gesellschaft, Isidor Fischer (1886–1943), stellte sich Anfang der 1930er-Jahre dieser Aufgabe. Für einen Fortsetzungsband stellte er mithilfe internationaler Korrespondenten ein Kontingent von 7800 Personen zusammen. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des B. L. lebten von diesen 7800 Personen noch über die Hälfte (56%). Als Folge des Zweiten Weltkrieges, des nachfolgenden Kalten Krieges und der geopolitischen „Ost-West“-Ausrichtung fand Isidor Fischers Lexikon über 70 Jahre keine Ergänzung. Es kamen 1962 lediglich eine 2. und 3. Auflage des B. L. als unveränderte Nachdrucke heraus.

Isidor Fischer selbst wurde als jüdischer Gelehrter 1938 aus Wien vertrieben und ist 1943 in Bristol verstorben.

Erst 1995 stellte sich die Frage nach dem Vermächtnis Isidor Fischers [3] und damit verbunden die Aufgabe, die Lebenswege der „1933 noch Lebenden“ (insgesamt 4400 Biografien) zu vervollständigen. In einem mehrjährigen, von der DFG geförderten Forschungsvorhaben konnte der Medizinhistoriker Peter Voswinckel den 1. Band seiner „Nachträge und Ergänzungen“ [von Aba bis Kom] vorlegen [4]; ein 2. Band [von Kon bis Zweig] wartet noch auf seine Vollendung und Publikationsförderung [5].

Im Ergebnis seiner umfangreichen Recherchen wurde von Voswinckel 1996 außerdem eine separate Studie zum „Frauenkontingent im ‚Biographischen Lexikon hervorragender Ärzte‘ von 1933 publiziert, in der er sich dezidiert mit den Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen beschäftigte [2].

Mehr als ein Vierteljahrhundert später haben wir auf der Grundlage dieser Studie noch einmal alle weiblichen Kurzbiografien reevaluiert. Es handelt sich um insgesamt 42 Ärztinnen und Naturwissenschaftlerinnen aus 11 Nationen (0,54% aller im Lexikon aufgeführten Personen). Eingeschlossen wurden auch die Biografien von 2 Frauen, die von Isidor Fischer irrtümlicherweise als Männer aufgeführt wurden, nämlich die Amerikanerin Willey Glover Denis und die Finnin Laimi Leidenius [2]. Fünfzehn der Ärztinnen und Forscherinnen waren bei Drucklegung des B. L. 1932 bereits verstorben. Die 27 verbliebenen Ärztinnen, geboren zwischen 1859 und 1895, waren danach oft noch viele Jahre beruflich tätig. Bei 2 Frauen (Claudia Schumkowa-Trubina und Rosalie Schwager) war es trotz umfassender literatur- und internetbasierter Recherchen auch 2022 nicht möglich, den gesamten Lebensweg zu rekonstruieren und das Sterbedatum zu ermitteln. Beide wurden Ende des 19. Jahrhunderts in Russland geboren. Damit fielen der Anfang, der weitere Verlauf ihrer Berufstätigkeit und ihre Karrieren in die Jahre der sowjetischen Umwälzungen der 1920er-Jahre.

Zu den Aufnahmekriterien in das international angelegte B. L. finden sich im Vorwort Isidor Fischers einige Passagen. So war es sein Ziel, die „Arbeiter an dem Weiterausbau der wissenschaftlichen Heilkunde“ zu berücksichtigen, die „zum Teil unvergängliche Leistungen vollbracht haben“ [1]. Es sollten also „wissenschaftlich tätige Ärzte“ ins das B. L. aufgenommen werden, wobei „Aufnahme … in dem vorliegenden Werke – und da ist der von dem älteren übernommene Titel unvollkommen – nicht nur Ärzte, sondern auch Männer aus anderen Fächern [fanden], die auf die Entwicklung der theoretischen und praktischen Medizin befruchtend gewirkt haben, also auch Zoologen und Biologen, Physiker und Chemiker etc. Welcher Arzt hätte nicht einmal das Bedürfnis, wenn auch ganz knapp, z. B. über einen Röntgen informiert zu werden.“ [1]. Isidor Fischer fährt dann etwas überraschend fort: „Aufnahme fanden ferner jene Ärzte, die sich als Außenseiter auf ganz anderen Gebieten wie dem der Medizin Verdienste und Namen erworben haben, die, mit dem medizinischen Doktorhute geschmückt, hervorragende Staatsmänner, Dichter, Künstler wurden (…)“ [1]. Einige Zeilen später schränkt er ein, dass „Männer, deren Wirksamkeit wohl noch zum Teil in die Jahre 1880–1930 hinausreicht, die aber schon im ersten Teile des Biographischen Lexikons genannt sind, … nicht neuerlich aufgenommen [wurden]“ [1].

Unter den nachfolgend aufgeführten Frauen sind also auch solche, die nicht der Medizin zuzuordnen sind, aber großen Einfluss auf diese hatten, unter ihnen Marie Curie, die bekannteste Physikerin und Chemikerin ihrer Zeit sowie 2-fache Nobelpreisträgerin (1903 Physik, 1911 Chemie), Willey Glover Denis, eine Pionierin der amerikanischen Biochemie und Alwen Myfanwy Evans, eine Zoologin. In der [Tab. 1] wurden die 42 Ärztinnen und Naturwissenschaftlerinnen in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt ([Tab. 1]).

Tab. 1 Lebensdaten der 42 Ärztinnen und Naturwissenschaftlerinnen, die mit einer Kurzbiografie im B. L. gewürdigt wurden.

Name

Fachrichtung

Geburtsdatum, -ort, -land

Todesdatum, -ort, -land

Anmerkung

Orte des beruflichen Wirkens

Seite im B. L./im Nachtragsband

Maude Elizabeth Abbott

Pathologie

18.03.1869, St. Andrews, Kanada

02.09.1940, Montreal, Kanada

1898: Erstes weibliches Mitglied der Montreal Medico-Chirurgical Society, Forschung zu angeborenen Herzfehlern

1902–1927 Kuratorin des Pathologischen Museums der Mc Gill University in Quebec, Kanada; Professur für Pathologie und Bakteriologie am Women’s Medical Collage of Pennsylvania; USA

2/1

Elizabeth Blackwell

Allgemeinmedizin, Geburtshilfe

03.02.1821, Bristol, England

31.05.1910, Hastings, England

1848: erste promovierte Frau in den Vereinigten Staaten von Amerika

1857 in New York, USA: Gründung des ersten ausschließlich von Frauen geführten Krankenhauses, 1869 Rückkehr nach England und Niederlassung als praktische Ärztin in London, England

126

Emily Blackwell

Allgemeinmedizin, Geburtshilfe

08.10.1826, Bristol, England

07.09.1910, York/Maine, USA

Vorkämpferin des Medizinstudiums (auch) für Frauen

Privatassistentin des Gynäkologen James Young Simpson in Edinburgh, Schottland; Mitgründung und Mitarbeit an der New York Infirmary for Indigent Women and Children (mit ihrer Schwester Elizabeth Blackwell), USA

127

Ludmilla Bogolopewa

Gewerbemedizin, Public Health

08.05.1889, Moskau, Russland

1979, Moskau, Sowjetunion

Fragen der Gesundheitserziehung, etwa 80 Publikationen, Trägerin des Lenin-Ordens

1946–1962 stellvertretende Direktorin des „Zentralen wissenschaftlichen Instituts für das Sanitätswesen“ in Moskau

140/151

Margaret Abigail Cleaves

Innere Medizin

25.11.1848, Iowa, USA

07.11.1917, Mobile/Alabama, USA

Pionierin der Elektrotherapie, „Journal of Physiological Therapeutics“

praktizierte in Iowa, Illinois und Pennsylvania, seit 1890 in New York, USA

253

Winifred Clara Cullis

Physiologie

02.06.1875, Tuffley, England

13.11.1956, London, England

1920 erste medizinische Lehrstuhlinhaberin Englands, erstes weibliches Mitglied der Physiological Society

1920 Professorin, 1926–1941 Führung des Jex-Blake-Lehrstuhls für Physiologie an der Universität London, England; 1940–1945 im Dienste der Royal Air Force

281/289

Marie Curie

Chemie, Physik

07.11.1867, Warschau, Polen

04.07.1934, Sancellemoz, Schweiz

1903 erste Nobelpreisträgerin, 1906 erste Professorin an der Sorbonne, 1911 erste Doppel-Nobelpreisträgerin

ab 1914 Leitung des „Institut du Radium“ in Paris, Frankreich

282/290

Auguste Dejérine-Klumpke

Anatomie, Neurologie

15.10.1859, San Francisco, USA

05.11.1927, Paris, Frankreich

1882: Erste Absolventin des „Internat des hôpitaux de Paris“, „Klumpkesche Lähmung“

30-jährige Arbeitsgemeinschaft mit ihrem Mann Joseph Jules Déjérine, 1914/15 Mitglied und Präsidentin der Neurologischen Gesellschaft in Paris, Frankreich

300

Willey Glover Denis

Biochemie

26.02.1879, New Orleans, USA

09.01.1929, New Orleans, USA

Erste Frau, die in den USA als Professorin für physiologische Chemie ein eigenes Institut führte

1911–1913 Massachusetts General Hospital; Harvard University, Tulane University, New Orleans; USA

307

Gladys H. Dick

Mikrobiologie

18.12.1881, Pawnee City/Nebraska, USA

21.08.1963, Palo Alto/Kalifornien, USA

Entdeckung des Streptokokken-Toxins, Präparation des Antitoxins

ab 1914 am McCormick Institut, Chicago, USA

314/320

Rhoda Erdmann

Exper. Zellforschung

05.12.1870, Hersfeld, Deutschland

23.08.1935, Berlin, Deutschland

1930: Etablierung eines selbstständigen Universitätsinstituts für experimentelle Zellforschung

Berlin, Deutschland

372/377

Alice Catherine Evans

Bakteriologie

29.01.1881, Neath/Pennsylvania, USA

05.09.1975, Alexandria, Virginia, USA

1918: Entdeckung der „Brucellae“, 1928 erste Präsidentin der Society of American Bacteriologists

Washington, USA

378/381

Alwen Myfanwy Evans

Zoologie

05.07.1895, Stockport, England

08.08.1937, Cheadle, England

Studien zur Moskitofauna Sierra Leones

Liverpool, England

378/382

Anna Fischer-Dückelmann

Gynäkologie

07.07.1856, Wadowice, Polen

03.12.1917, Ascona, Schweiz

Bestseller „Die Frau als Hausärztin“, Naturheilkunde

Dresden, Deutschland

413

Lillian Moller Gilbreth

Psychologie, wiss. Betriebsführung

24.05.1878, Oakland/Kalifornien, USA

02.01.1972, Phoenix/Arizona, USA

Firma für Effizienz und Managementberatung, Mutter von 12 Kindern, Autorin, 20 Ehrendoktorwürden

Montclair, New Jersey; Purdue University, Lafayette; University of Wisconsin; USA

502/507

Klothilde Gollwitzer-Meier

Physiologie, Innere Medizin, Pathologie

29.10.1894, Wolnzach, Deutschland

02.03.1954, Hamburg, Deutschland

157 Facharbeiten zur Pathophysiologie von Herz und Kreislauf

1928 Professorin in Frankfurt a. M.; Chefärztin in Berlin; 1932 Professorin an der Hamburger Universität

515/521

Léonore Gourfein Welt

Ophthalmologie

30.07.1859, Czernowitz, Österreich-Ungarn

05.01.1944, Genf, Schweiz

Gründung einer Ausbildungsstätte für Laborantinnen

Genf, Schweiz

523/529

Alice Hamilton

Arbeitsmedizin

27.02.1869, New York, USA

22.09.1970, Hadlyme/Connecticut, USA

1919: erstes weibliches Mitglied der Harvard Medical School, 1924 erstes weibliches Mitglied im Health-Committee des Völkerbundes

Harvard School of Public Health, Boston/Massachusetts, USA

571/583

Adele Hartmann

Anatomie

09.01.1881, Neu-Ulm, Deutschland

15.12.1937, München, Deutschland

1919: erste habilitierte Frau in Deutschland

Anatomisches Institut München

582/593

Paula Hertwig

Vererbungsforschung, Biologie

11.10.1889, Berlin, Deutschland

31.03.1983, Villingen, Deutschland

1948: erste Ordinaria eines medizinischen Lehrstuhls in der sowjetisch besetzten Zone

Halle, Deutschland

618/627

Sophia Jex-Blake

Gynäkologie

21.01.1840, Hastings, England

07.01.1912, Windydine Mark Cross, England

1874: Gründung der „London School of Medizin“

1878: erster weiblicher Doktor in Schottland

London, England

Edinburgh, Schottland

712

Josephine Joteyko

Physiologie, Psychologie

29.01.1866, Poczuyky, Ukraine

1929, Warschau, Polen

erste Professorin für Psychologie an einer europäischen Universität

Brüssel, Belgien

Warschau, Polen

724

Louise Kaiser

Phonetik

15.10.1891, Medemblik, Niederlande

02.04.1973, Bussum, Niederlande

Dozentin für experimentelle Phonetik

Utrecht; Amsterdam, Niederlande

733/753

Katharina Kastalsky

Ophthalmologie

09.03.1864, Moskau, Russland

26.09.1899, Moskau, Russland

Reinkultur des Strahlenpilzes aus Tränenflüssigkeit

Moskauer Augenklinik, Russland

741

Janet Elizabeth Lane-Claypon

Hygiene

03.02.1877, Boston, England

17.07.1967, Seaford, England

Physiologie der Laktation, Krebsforschung

King’s Medical College for Women in London, England

858

Laimi Lovisa Leidenius

Geburtshilfe, Gynäkologie

13.02.1877, Kurikka, Finnland

23.11.1938, Helsinki, Finnland

1930: erste Frau in Skandinavien mit ordentlicher Professur

Helsinki, Finnland

884

Maria Gräfin von Linden

Parasitologie

18.07.1869, Burgberg-Heidenheim, Deutschland

26.08.1936, Schaan, Lichtenstein

1892: erste deutsche Studentin an einer naturwissenschaftlichen Fakultät

Professorin in Bonn, Deutschland

918

Margarete Mengarini

Physiologie

04.06.1856, Berlin, Deutschland

11.12.1912, Rom, Italien

Arbeiten über das Fischgehirn, Gase in der Schwimmblase, Permeabilität der Haut

Rom, Italien

Berlin, Deutschland

1023

Marie J. Mergler

Gynäkologie

18.05.1851, Mainstockheim, Deutschland

18.05.1901, Los Angeles/Kalifornien, USA

Professorin für Gynäkologie an der Northwestern University Women’s Medical School in Chicago

Chicago/Illinois, USA

1025

Selma Meyer

Pädiatrie

09.06.1881, Essen, Deutschland

11.11.1958, New York, USA

1922: erste Professorin für Kinderheilkunde in Deutschland

Düsseldorf, Deutschland

1939 Emigration; 1940 Eröffnung einer kinderärztlichen Praxis in New York, USA

1036

Lydia Rabinowitsch-Klempner

Bakteriologie

22.08.1871, Kowno, Russland

03.08.1935, Berlin, Deutschland

erste Professorin der Naturwissenschaft in Deutschland, Tuberkuloseforschung

Mitarbeiterin von Robert Koch (1894–1903); Pathologisches Institut der Charité (1903–1920); Leitung der bakteriologischen Abteilung im Krankenhaus Moabit (1920–1930)

Berlin, Deutschland

1262

Florence Rena Sabin

Anatomie, Histologie, Public Health

09.11.1871, Central City/Colorado, USA

03.10.1953, Denver/Colorado, USA

1925: erstes weibliches Mitglied der National Academy of Sciences

1917 Professur an der Johns Hopkins University, Baltimore, Leitung des Rockefeller Instituts in New York, USA

1348

Dame Mary Scharlieb

Gynäkologie, Chirurgie

18.06.1845, London, England

21.11.1930, London, England

Gründung des Royal Victoria Hospital for Women in Madras, promovierte 1889 als erste Frau in London als Dr. med.

Madras, Indien; 1887 Übersiedlung nach London, England

1374

Claudia Schumkowa-Trubina

Chirurgie, Orthopädie

05.11.1878, Perm, Russland

nicht zu ermitteln

Veröffentlichung zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten

St. Petersburg, Russisches Reich

Taschkent, Usbekistan/UdSSR

Baku, Aserbaidschan/UdSSR

1422

Rosalie Schwager

Pädiatrie

1886, Odessa, Russisches Reich/UdSSR, heute Ukraine

nicht zu ermitteln

Oberärztin der Universitätskinderklinik

Moskau, Russisches Reich/UdSSR

1423

Mona Spiegel-Adolf

Medizinische Chemie

23.02.1893, Wien, Österreich

12.12.1983, Philadelphia/Pennsylvania, USA

1931: erste jüdische Dozentin an der Universität Wien

1932 Professorin an der Temple University in Philadelphia/Pennsylvania, USA

1484

Clara Swain

Allgemeinmedizin

24.12.1834, Elmira/New York, USA

24.12.1910, Castile/New York, USA

1869: erste Missionsärztin in Indien

Bareilly, Indien

Rajputana, Indien

1537

Franziska Tiburtius

Allgemeinmedizin

24.01.1843, Bisdamitz/Rügen, Deutschland

05.05.1927, Berlin, Deutschland

Gründung der ersten Poliklinik für Frauen

Berlin, Deutschland

1568

Henriette Tiburtius

Zahnmedizin

14.02.1834, Sylt, Deutschland

25.08.1911, Berlin, Deutschland

erste Zahnärztin Deutschlands, Mitbegründerin der Poliklinik für Frauen

Studium: Pennsylvania Collage of Dental Surgery, USA; Praxis in Berlin, Deutschland

1568

Catharine van Tussenbroek

Gynäkologie, Pädiatrie

04.08.1852, Utrecht, Niederlande

05.05.1925, Amsterdam, Niederlande

Pathologie der Uterusmukosa, Anatomie der Ovarialschwangerschaft

Amsterdam, Niederlande

1592

Klawdia Ulesko-Stroganowa

Gynäkologie, Pathologie

1859, Tschernigoff, Russisches Reich, heute Ukraine

1943, Leningrad, Sowjetunion

„Kurzer Leitfaden der mikroskopischen Diagnostik in der Gynäkologie“

1929 Professorin an der Leningrader Universität, Sowjetunion

1596

Anna Wessels Williams

Bakteriologie

17.03.1863, Hackensack/New Jersey, USA

20.11.1954, Westwood/New Jersey, USA

Park-Williams-Bazillus/Diphtherie-Antitoxin

New York, USA

1687

Unter welchen Bedingungen die in der [Tab. 1] aufgeführten Frauen zum Studium kamen, wo sie studierten bzw. promovierten, soll anhand von 5 Beispielen skizziert werden:

Franziska Tiburtius (Promotion 1875) studierte an der Universität Zürich. Sie war das 13. Kind eines Gutspächters. Nach dem frühen Tod ihres Vaters verließ sie 17-jährig ihr Elternhaus, um in einer adligen Familie als Erzieherin zu arbeiten. Ihr Bruder Karl Tiburtius, der als Arzt tätig war, und seine spätere Ehefrau Henriette Hirschfeld, die erste Zahnärztin Deutschlands, ermutigten sie dazu, Medizin zu studieren [6].

Anna Fischer-Dückelmann zog 1890 mit ihren 3 Kindern nach Zürich und promovierte dort 1897 mit 40 Jahren zur Dr. med. [7].

Die aus dem russischen Kowno im russischen Zarenreich (heute wieder Kaunas in Litauen) stammende Lydia Rabinowitsch begann ihre Studienzeit in Bern und wechselte später nach Zürich, wo sie sich in den Bereichen Botanik und Zoologie spezialisierte [8].

In Russland wurden schon ab 1872 in St. Petersburg spezielle Hochschulkurse für Frauen angeboten [9]. Zu den ersten Absolventinnen und Lehrkräften zählte Klawdia Petrowna Ulesko-Stroganowa, die Assistentin von Dmitrij Oscarovich von Ott (1855–1829) in St. Petersburg wurde, sich 1921 über die Histologie und Pathogenese der Myome habilitierte, 1928 zur Professorin ernannt wurde und noch heute als die führende Gynäkopathologin Russlands und der jungen Sowjetunion anzusehen ist [10].

Ludmila Bogolopewa arbeite ab 1933 an der 1906 gegründeten Medizinischen Fakultät der Moskauer Frauenhochschule [2].

Die Frauen im B. L. stammten vornehmlich aus der Mittelschicht oder dem gehobenen Bürgertum.

Der berufliche Werdegang der späteren Ärztinnen und Naturwissenschaftlerinnen begann häufig mit einer Tätigkeit als Lehrerin. Das war für viele Frauen des Mittelstandes die einzige Möglichkeit, überhaupt berufstätig zu sein oder finanziell unabhängig zu werden und sich die angestrebte universitäre Ausbildung leisten zu können. Franziska Tiburtius schreibt in ihren „Erinnerungen einer Achtzigjährigen“: „Es gab damals eigentlich nur einen Beruf, der für gebildete Frauen aus ‚guter Familie‘ wählbar war – den der Lehrerin (…)“ [11]. So waren mindestens 10 (23,8%) der im B. L. aufgeführten 42 Frauen vor dem Beginn ihres Studiums als Lehrerinnen tätig:

Marie Curie arbeite 1886–1890 als Hauslehrerin, um für ihre Schwester und sich selbst das Studium in Paris finanzieren zu können.

Finanzielle Gründe bewegten auch Gladys H. Dick und Anna Williams dazu, vor ihrem Medizinstudium eine Lehrtätigkeit auszuüben [2].

Florence Sabin unterrichtete 3 Jahre Mathematik, bevor sie 1897 an der Johns Hopkins University in Baltimore, USA aufgenommen wurde.

Rhoda Erdmann und Adele Hartmann waren ebenfalls einige Jahre im Schuldienst, bevor sie 1906 in München studieren konnten.

Nachdem im August 1908 in Preußen, als einem der letzten deutschen Länder, die Immatrikulation von Frauen bewilligt wurde, wechselte Selma Meyer nach ihrem Examen als Musikpädagogin in die Medizin [12].

Sophia Jex-Blake arbeitete mehrere Jahre unter anderem in Mannheim, Göttingen und Manchester als Lehrerin, um die Bildungsmöglichkeiten für Frauen zu studieren. Sie hatte die Hoffnung, selbst einmal eine Schule zu gründen. Nach ihrer medizinischen Ausbildung in Edinburgh und der Schweiz, die sie unter erheblichen Widerständen absolvierte, gründete sie mit anderen Ärztinnen und Ärzten 1874 die London School of Medicine for Women [6].

Auch Elizabeth Blackwell arbeitete mehrere Jahre als Lehrerin. Sie beschäftigte sich im Selbststudium eingehend mit medizinischer Fachliteratur, bevor sie sich mit 25 Jahren an mehreren medizinischen Hochschulen bewarb. Vom Medical Collage in Geneva, New York, erhielt sie eine Zusage. 1849 wurde ihr als erster US-Amerikanerin überhaupt das medizinische Doktordiplom überreicht [6].

Ihre jüngere Schwester Emily Blackwell folgte ihrem Beispiel. 1857 schufen sie gemeinsam die New York Infirmary for Women and Children [6].

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde gemeinhin von Frauen gesellschaftlich erwartet, zu heiraten und Mutter zu werden. Für die ersten Ärztinnen waren die Rollen Ehefrau und Mutter auf der einen Seite und berufstätige Frau mit eigenen Karriereambitionen auf der anderen Seite oft nicht vereinbar; es hieß, sich zu entscheiden: medizinische Karriere oder Heirat [13] [14].

36 (85,7%) der 42 Frauen der im B. L. aufgeführten Ärztinnen und Naturwissenschaftlerinnen blieben nach jetzigem Kenntnisstand unverheiratet. Die 8 verheirateten Frauen lebten offenbar in Partnerschaften, die durch Gleichberechtigung und gegenseitige Unterstützung gekennzeichnet waren. Diese Ehepaare arbeiteten zusammen und erlebten ihre wissenschaftlichen Erfolge gemeinsam. Unter ihnen: Pierre und Marie Curie, Jules-Joseph und August Déjerine-Klumpke, George F. und Gladys H. Dick, David und Léonore Gourfein-Welt, Ernest und Mona Spiegel-Adolf, Walter und Lydia Rabinowitsch-Kempner [2].

Während der nationalsozialistischen Zeit (1933–1945) wurden jüdische Ärztinnen und Ärzte in Deutschland systematisch verfolgt und diskriminiert. Sie wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen, ihre Praxen geschlossen und viele von ihnen wurden deportiert und ermordet. Nur 6 (14,3%) der 42 im B. L. aufgeführten Wissenschaftlerinnen waren in Deutschland oder Österreich tätig. Die Ausgrenzung und Verfolgung aus politischen Gründen oder wegen ihrer jüdischen Herkunft betraf letztlich 5 der 6 Frauen: Rhoda Erdmann, Lydia Rabinowitsch-Kempner, Selma Meyer, Mona Spiegel-Adolf und Maria Gräfin von Linden [2].

Das B. L. von 1933 hatte durch sein Erscheinungsdatum ein besonderes Charakteristikum: Es beschreibt eine (noch) geschlossene internationale wissenschaftliche Gemeinschaft, kurz bevor die einschneidenden politischen Veränderungen in Deutschland, kumulierend im Zweiten Weltkrieg, letztlich die ganze Welt veränderten und auch die medizinhistorische Berichterstattung für viele Jahrzehnte beeinflusste. „Nationale Empfindlichkeiten und ideologisch verengte Blickwinkel kollidieren im Osten nicht weniger als im Westen mit den Hypotheken der Vergangenheit: Blinde Flecken hüben wie drüben…“ [4].

Da in vielen Staaten erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in Preußen z. B. sogar erst Anfang des 20. Jahrhunderts, die Möglichkeiten einer universitären Bildung und einer medizinischen Ausbildung für Frauen geschaffen wurden [15], kann und muss man viele der 42 Ärztinnen und Naturwissenschaftlerinnen als Pionierinnen bezeichnen, die in ihrer Zeit Barrieren überwanden und den Weg für die nachfolgenden Generationen ebneten.



Publication History

Article published online:
09 March 2023

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  • Literatur

  • 1 Fischer I. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre: zugleich Fortsetzung des Biographischen Lexikons der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker. 2 Bde. Berlin, Wien: Urban & Schwarzenberg; 1932
  • 2 Voswinckel P. Frauenkontingent im Biografischen Lexikon hervorragender Ärzte von 1933. In: Meinel C, Renneberg M. Geschlechterverhältnisse in Medizin, Naturwissenschaft und Technik. Stuttgart: GNT-Verlag; 1996: 225-236
  • 3 Voswinckel P. Das Vermächtnis Isidor Fischers. Chancen und Dilemma der aktuellen Medizin-Biographik. In: Bröer R. Eine Wissenschaft emanzipiert sich. Pfaffenweiler: Centaurus; 1999: 121-137
  • 4 Voswinckel P. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre von Isidor Fischer † 1932/33. Bd. 3: Nachträge und Ergänzungen. Aba–Kom. Hildesheim: Olms; 2002
  • 5 Priesner C. Voswinckel, Biographisches Lexikon. Nachträge und Ergänzungen [Buchbesprechung]. Spektrum der Wissenschaft 2003; 11: 96-97
  • 6 Bickel MH. Die ersten Ärztinnen in Europa und Amerika und der frühe Feminismus (1850–1900). Bern: Peter Lang; 2017
  • 7 Bleker J, Schleiermacher S. Ärztinnen aus dem Kaiserreich: Lebensläufe einer Generation. Weinheim: Dt. Studien-Verl.; 2000
  • 8 Graffmann-Weschke K. „So wollen denn auch wir in diesem Sinne handeln“: die Bakteriologin Lydia Rabinowitsch-Kempner (1871–1935). Berlin, Leipzig: Hentrich & Hentrich; 2021
  • 9 Adirim G. Das medizinische Frauenstudium in Russland [Dissertation]. Berlin: Freie Univ. Berlin; 1984
  • 10 Tsvelev JV, Ailamazyan EK, Bezhenar VF. (eds.) Das Band der Zeit. Die Geburtshelfer und Gynäkologen Russlands der letzten 300 Jahre. St. Petersburg: Verlag N-L; 2010: 486-489
  • 11 Tiburtius F. Erinnerungen einer Achtzigjährigen. Berlin: Schwetschke; 1929
  • 12 Voswinckel P. Dr. Selma Meyer (1881–1958) – Erste Professorin für das Fach Kinderheilkunde in Deutschland. In: Wahrig-Schmidt B. Die Professionalisierung der Frau. Bildung, Ausbildung und Beruf von Frauen in historischer Perspektive. Lübeck: Dräger Druck; 1997: 113-126
  • 13 Freidenreich HP. Female, Jewish, and Educated: The Lives of Central European University Women. Bloomington: Indiana University Press; 2002
  • 14 Sieverding M. Psychologische Karrierehindernisse im Berufsweg von Frauen. Berlin; Heidelberg: Springer;: 2006
  • 15 Brinkschulte E. Historische Einführung: Medizinstudium und ärztliche Praxis von Frauen in den letzten zwei Jahrhunderten. Karriereplanung für Ärztinnen. Berlin, Heidelberg: Springer; 2006: 9-35