Krankenhaushygiene up2date 2023; 18(01): 3-5
DOI: 10.1055/a-2005-9807
Editorial

Wir benötigen Daten, um richtige Entscheidungen treffen zu können, aber wie ist das mit dem Verständnis der Daten?

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Irit Nachtigall

„Der Satz ‚Daten sprechen für sich selbst‘ ist einfach nur Blödsinn.“ Sagt Katharina Schueller, Data Scientist und CEO STAT-UP.

Aber warum meint sie das?

Um zu verstehen, warum diese Aussage – dass Daten für sich selber sprechen – nicht richtig ist, müssen wir verstehen, dass Daten immer in einem bestimmten Kontext existieren und von Menschen gesammelt und analysiert werden. Zum Beispiel könnten wir Daten über die Wirksamkeit einer bestimmten Maßnahme, wie dem Maskentragen, sammeln. Schon die Art und Weise, wie diese Daten gesammelt werden – ob es sich um Befragungen oder Beobachtungen handelt, über welchen Zeitraum sie gesammelt werden, ob es aggregierte Daten von Regionen mit oder ohne Maskenpflicht sind oder Daten von Individuen, ob zusätzliche Informationen über die Maskenträger und ihr Umfeld zur Verfügung stehen – beeinflusst die Möglichkeiten Ihrer Analyse. Wenn wir diese Daten dann analysieren, könnten wir zu dem Schluss kommen, dass die Maßnahme wirksam ist, wenn wir sie auf eine bestimmte Weise analysieren. Erfolgt die Analyse jedoch auf eine andere Weise, kann ein anderes Bild entstehen. Es ist daher wichtig, dass wir uns bewusstmachen, dass Daten immer interpretiert werden müssen und dass die Art und Weise, wie sie interpretiert werden, von der Perspektive der Person abhängt, die sie erhebt und analysiert. Wir sollten daher vorsichtig sein, wenn wir Aussagen treffen, die darauf beruhen, dass „Daten für sich sprechen“.

Um das zu verstehen, benötigt es Datenkompetenz vor allem in der Medizin. Dies insbesondere in der Infektiologie und Hygiene, da sie es ermöglicht, auf Basis von korrekten und aktuellen Informationen Entscheidungen zu treffen. Deutlich wurde dies vor allem in der COVID-19-Pandemie. Um die Ausbreitung des Virus zu verstehen und effektive Maßnahmen zur Eindämmung zu entwickeln, werden große Mengen an Daten benötigt, von denen viele in Echtzeit bereitgestellt werden müssen. Diese Daten kommen aus verschiedenen Quellen, wie zum Beispiel Laboruntersuchungen, elektronischen Gesundheitsakten, Apothekenverkaufsdaten, Patientenbefragungen und Umfragen unter der Bevölkerung. Die Fähigkeit, Daten schnell und effektiv zu analysieren, ist von entscheidender Bedeutung, um schnell auf die sich verändernde Lage reagieren zu können.

Diese Daten werden oft als Real World Data bezeichnet; also Daten, die „aus der realen Welt“ stammen. Allerdings sind Real World Data mit Unsicherheiten verbunden, die berücksichtigt werden müssen, wenn sie zur Entscheidungsfindung verwendet werden. Sie sind schwieriger zu bewerten als gezielt erhobene Daten, wenn diese nur zur Beantwortung der Frage genutzt werden, für die sie erhoben wurden und wenn auf alle Störgrößen ausreichend adjustiert wurde. Ein Transfer auf andere Bevölkerungs-/Patientengruppen oder Situationen kann schon eher schwierig sein.

Ist eine Studie geplant, wird genau festgelegt, welche Art von Daten wie gesammelt werden sollen. Es wird festgelegt, wie groß die Stichprobe sein soll und wie man sie auswählt, um sicherzustellen, dass sie repräsentativ für die zu untersuchende Bevölkerung ist. Während der Durchführung werden die Daten sorgfältig dokumentiert, damit sie später leicht zugänglich und analysierbar sind. Um dann die Ergebnisse zu interpretieren und Schlussfolgerungen zu ziehen, muss nach Abschluss mit ausreichender Kompetenz in Statistik und Datenwissenschaft analysiert werden.

Trotzdem haben Real World Data in der COVID-19-Pandemie eine wichtige Rolle gespielt, da sie schnell und in großen Mengen verfügbar waren. Sie haben es ermöglicht, rasch Erkenntnisse über die Auswirkungen der Pandemie auf die Bevölkerung und die Gesundheitsversorgung zu gewinnen. Sie haben sich als eine nützliche Ergänzung zu geplanten Studien erwiesen, auch wenn sie ihre Grenzen haben. In Zukunft wird es wichtig sein, beide Datenformen zu berücksichtigen, um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten. So haben die Zulassungsstudien als kontrollierte Studien zu den Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 die Grundlage geliefert, um die Wirksamkeit der Impfstoffe abzuschätzen, aber auch das Ausmaß der Adverse Events. Daraus ließ sich dann für die reale Welt eine Strategie ableiten, ab welcher Anzahl beobachteter Komplikationen eine „Notbremse“ zu ziehen sei. So wie es bei dem Impfstoff von Astra Zeneca zum Beispiel geschehen ist. In der medizinischen Forschung erleichtert die gemeinsame Nutzung die Entdeckungen und Innovationen, Transparenz und Reproduzierbarkeit und letztlich das Vertrauen in die Wissenschaft. Angetrieben durch die COVID-19-Pandemie hat sich die Nachfrage nach der gemeinsamen Nutzung von Daten mit der zunehmenden Forderung nach einer schnelleren Verbreitung, Bewertung, Kombination und Analyse neuer medizinischer Forschungsergebnisse beschleunigt. Ein Beispiel dafür sind die großen Datenbanken zu den verschiedenen Therapieansätzen und Impfschemata für COVID-19. Durch diese können die Ergebnisse der initialen Studien überprüft und letztendlich verifiziert oder verworfen werden.

Wichtig ist, das Vertrauen zu behalten, denn ist es einmal verloren, ist es schwer wieder zu gewinnen. „Das wachsende Aufkommen von bewusst oder unbewusst verbreiteten Falschinformationen stellt unsere demokratische Gesellschaft vor eine große Herausforderung“, hieß es aus der Zentralbibliothek Medizin. Insbesondere in der Medizin könnten die Desinformationen gesundheitsgefährdende Auswirkungen haben. Durch die Geschwindigkeit, die am Anfang in der Pandemie gewünscht war, sind auch von renommierten Wissenschaftlern teilweise zu schnell Ergebnisse von Studien präsentiert worden, die dann am Ende zurückgenommen werden mussten. So gab es immer wieder Medikamente in der Pandemie, bei denen Hoffnung bestand, dass sie die Heilung unterstützen, da sie – wie zum Beispiel Hydroxychloroquin – im experimentellen Ansatz die Eliminierung des Virus beschleunigen konnten. In der realen Welt war die Wirkung jedoch am Patienten so nicht zu beobachten.

Datenkompetenz bezieht sich explizit auf das Verständnis von Daten und die Fähigkeit, diese zu analysieren und zu interpretieren. Das umfasst, dass Daten aus verschiedenen Quellen zu sammeln und zu organisieren sind, zu visualisieren und zusammenfassende Statistiken zu berechnen. Es beinhaltet das Verständnis der Methoden und Techniken, die bei der Datenanalyse angewendet werden, sowie die Fähigkeit, die Ergebnisse kritisch zu bewerten und in einen größeren Kontext einzuordnen. Statistische Kompetenz hingegen bezieht sich speziell auf die Fähigkeit, zusammenfassende Statistiken zu erstellen und zu interpretieren. Beide Fähigkeiten sind wichtig und ergänzen sich gegenseitig. Statistische Kompetenz hilft dabei, Daten aus verschiedenen Quellen zu verstehen und zu interpretieren, während Datenkompetenz das Verständnis für die Bedeutung von Daten und ihre Analyse ermöglicht. Es ist wichtig, sowohl statistische als auch datenkompetente Fähigkeiten zu entwickeln, um informierte Entscheidungen treffen und in der heutigen Daten- und Informationsüberflutung navigieren zu können.

Ob es uns gefällt oder nicht, wir alle leben in einer digitalen Gesellschaft. Es ist wichtig, dass Menschen, die wichtige Entscheidungen treffen, die Fähigkeit haben, die in den Daten enthaltenen Informationen zu erkennen und zu interpretieren. Diese Fähigkeit ist von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass Entscheidungen auf der Grundlage von korrekten und relevanten Informationen getroffen werden. Um die Datenkompetenz zu fördern, sollten Menschen ein grundlegendes Verständnis dafür haben, wie der Prozess funktioniert, um aus Daten Wert zu schaffen. Dies erfordert kein tiefes Wissen über Algorithmen, Statistik oder Wahrscheinlichkeitstheorie, sondern ein grundlegendes Verständnis für den Prozess und die Möglichkeiten, die sich aus den Daten ergeben.

Datenkompetenz sollte als Teil der Allgemeinbildung angesehen und schon in der Schule vermittelt werden durch die Verwendung von realen Beispielen und lebensechten Anwendungen. Bereits Kinder könnten lernen, dass Mathematik und Datenanalyse nicht nur in der Schule, sondern auch im wirklichen Leben, einer immer digitaler werdenden Welt, von großer Bedeutung sind. Auch für Bürger und Leser ist es wichtig, die Fähigkeit zu haben, die Qualität und Glaubwürdigkeit von Daten und Analysen einschätzen zu können, um informierte Entscheidungen treffen zu können. Insgesamt ist die Datenkompetenz eine wichtige Fähigkeit in unserer sich schnell verändernden Welt, zu der man sich kontinuierlich weiterbilden sollte.

Auch Ärzten würde es helfen die Studien, die sie zu lesen bekommen, sicherer bewerten zu lernen, vor allem aber sie zu befähigen, zu erkennen, wann sie sich professionelle Unterstützung holen sollten. Haben sie das Bewerten von Methodik durch früh erlerntes Datenerheben in der Schule oder spätestens im Studium fundiert und praxisorientiert gelernt, fällt es im späteren Leben leichter, Geschriebenes zu hinterfragen. Nicht alle Studien sind gleich gut durchgeführt und die Ergebnisse müssen kritisch bewertet werden, um sicherzustellen, dass sie tatsächlich aussagekräftig und zuverlässig sind. Fehlt diese Fähigkeit, besteht die Gefahr, dass wichtige Schwächen übersehen und die Ergebnisse falsch interpretiert werden.

Um Daten also verstehen und interpretieren zu können, benötigen Menschen und allen voran Ärzte eine Reihe von Fertigkeiten. Dazu gehören:

  • Tabellen, Diagramme und andere visuelle Darstellungen von Daten zu interpretieren und die darin enthaltenen Informationen zu verstehen.

  • Stärken und Schwächen von Datenquellen zu erkennen und zu beurteilen, um zu prüfen, ob die Daten aussagekräftig und zuverlässig sind.

  • Daten in den Kontext der bestehenden Kenntnisse und Erkenntnisse zu stellen und ihre Bedeutung in diesem Zusammenhang zu verstehen.

  • Daten zu analysieren und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, um sie in einem größeren Zusammenhang verstehen und interpretieren zu können.

  • Daten anderen zu präsentieren und zu kommunizieren. Dies setzt voraus, dass sie die Daten in einer verständlichen und anschaulichen Form darstellen und erklären können.

Wie Sie sehen, sprechen Daten also nicht für sich selbst, aber wir können lernen mit ihnen zu sprechen und so wünsche ich Ihnen nun mit der vorliegenden Ausgabe viele spannende Erkenntnisse, die Sie kompetent bewerten und in der Zukunft umsetzten können.

Ihre
Irit Nachtigall



Publication History

Article published online:
23 March 2023

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