Suchttherapie 2023; 24(01): 11
DOI: 10.1055/a-1939-9802
Editorial

Editorial

Jens Reimer

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die legalen Drogen in unserer westlichen Welt sind in der Hauptsache Alkohol und Tabak. Als Kind und Jugendlicher bin ich aufgewachsen in der Überzeugung, dass der Staat die anderen Drogen verbietet, weil sie in besonderem Maße gefährlich für die Gesundheit seien. Im Rahmen meiner Ausbildung erschloss sich mir zunehmend, dass sowohl Alkohol als auch Tabak enormen gesundheitlichen und ökonomischen Schaden anrichten und zudem, dass sich der Legalstatus einer Substanz u. a. auch oder zuvörderst an kulturellen Rahmenbedingungen und politischen Interessen orientiert. Aus jüngerer Zeit lässt sich an der Zulassung von vormals illegalen Substanzen wie Diacetylmorphin (‚Heroin‘) und Cannabis zu medizinischen Zwecken das unterschiedliche Zusammenspiel der Bewertung eines gesundheitlichen Nutzens, der Einwirkung von gesetzlichen Rahmenbedingungen und der politischen Interessen gut beobachten. In Bezug auf Cannabis steht weit breitenwirksamer zusätzlich noch die Freigabe für den nicht-medizinischen Gebrauch an, in deren Kontext die kontrovers diskutierte Frage des Jugendschutzes eine herausgehobene Rolle spielt. Unbestritten ist indes, dass ein elterlicher Drogengebrauch der Schaffung eines fürsorglichen haltgebenden Zuhauses für die Kinder oftmals entgegenwirkt. Erfreulicherweise widmet sich die Autorengruppe um Janina Dyba, Diana Moesgen, Luisa Grimmig, Thorsten Köhler und Michael Klein (alle Köln) der Akzeptanz und Effekten eines ‚Trainings‘ für drogenhabhängige Eltern. Meiner Meinung nach ein sehr wichtiges Betätigungsfeld unseres Faches, auch um die transgenerationale ‚Vererbung‘ der suchtassoziierten Problematiken zu reduzieren. Die weiteren Arbeiten thematisieren Alkohol und Tabak, um noch einmal den Bogen zum Anfang zu spannen. Der Tabakentwöhnung im stationären rehabilitativen Setting widmen sich Jonas Dickreuter, Andreas Jähne und Jens Leifert (Freiburg, Bad Krozingen und Bad Säckingen), im ambulanten Setting Christine Kersting, Gül Nohutcu, Klaus Weckbecker und Markus Bleckwenn (Witten/Herdecke, Bonn, Leipzig). Nachdem nun die Kostenträger langsam davon abrücken, Tabakgebrauch als ein Lebensstilphänomen, das nicht auf ihre Kosten behandelt werden müsse, zu klassifizieren, finden sich nun in der Therapielandschaft zunehmend Ansätze Tabakentwöhnung zu implementieren. In der klinischen Praxis der Behandlung alkoholbezogener Störungen nehme ich trotz gegenteiliger Empfehlungen der S3- Leitlinie oftmals eine Zurückhaltung gegenüber Pharmaka, die zu längerer Abstinenz, Reduktion der Rückfallschwere oder Trinkmengenreduktion beitragen sollen, wahr. Gründe hierfür umfassen die Annahme einer geringen Wirksamkeit, eine vermutete negative Auswirkung auf Habituierung (‚Pille statt Pulle‘) bzw. Selbstreflexion oder auch die Entwertung der psychotherapeutischen Bemühungen. Anhand neuerer Studien ordnen Anna Arakelyan, Jürgen Kempkensteffen und Uwe Verthein (alle Hamburg) die Wirksamkeit von Acamprosat, Naltrexon, Disulfiram und Nalmefen ein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich wünsche Ihnen eine freudvolle Lektüre in diesem bunten Reigen der Beiträge,

Ihr Jens Reimer



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Article published online:
08 February 2023

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