Psychother Psychosom Med Psychol 2023; 73(03/04): 112-120
DOI: 10.1055/a-1849-1942
Originalarbeit

Resilienz nach der Flucht: Perspektiven von Geflüchteten und unterstützenden Praxisakteur*innen

Resilience after Flight: Perspectives of Refugees and Supporting Practice Actors
1   Institut für Epidemiologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Germany
,
Anke Bramesfeld
2   Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Germany
,
Jutta Lindert
3   Soziale Arbeit und Gesundheit, Hochschule Emden/Leer, Emden, Germany
› Author Affiliations
Finanzierung Das Land Niedersachsen und der Europäische Regionalfond finanzierten diese Studie.

Zusammenfassung

Studienziel Die Studie beabsichtigt, die Perspektiven auf Resilienz nach der Flucht von Geflüchteten und von unterstützenden Praxisakteur*innen zu identifizieren (Ziel 1) und die Perspektiven beider Gruppen zueinander in Beziehung zu setzen (Ziel 2), um die inhaltliche Tiefe des Verständnisses von Postfluchtresilienz zu erweitern und Erkenntnisse über Beziehungen zwischen Praxisakteur*innen und Geflüchteten bereitzustellen.

Methodik Drei semistrukturierte, leitfadengestützte Fokusgruppen mit Geflüchteten (N=9) und Praxisakteur*innen (N=13) zur Erfassung der Perspektiven beider Gruppen auf Resilienz nach der Flucht wurden auf Deutsch durchgeführt. Sie wurden iterativ nach Constructionist Grounded Theory ausgewertet.

Ergebnisse Geflüchtete und Praxisakteur*innen berichten Belastungsfaktoren Unsicherheit und Begrenzung, Adaptionsprozesse Gemeinschaftlichkeit und Anstrengung sowie die Adaptionsziele Stabilität, Verbundenheit und positive Emotionalität (Ziel 1). Die Aussagen von Geflüchteten und unterstützenden Praxisakteur*innen zu Resilienz nach der Flucht stimmen inhaltlich stark überein und ergänzen sich gegenseitig. Geflüchtete berichten individualisierter und spezifischer als Praxisakteur*innen (Ziel 2).

Diskussion Die Aspekte der Resilienz, die Geflüchtete und unterstützende Praxisakteur*innen nennen, replizieren Ergebnisse vorhergehender qualitativer Studien zu Postfluchtresilienz, welche mit Geflüchteten durchgeführt wurden. Sowohl die Belastung, adäquate Adaptionsmöglichkeiten vor Ort z.T. nicht zu kennen, als auch Versuche, Resilienz-förderliche Bedingungen zu schaffen, könnten spezifisch für die Resilienz von Geflüchteten sein. Die inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen Geflüchteten und Praxisakteur*innen könnten durch Erfahrungen der Praxisakteur*innen im Rahmen von Unterstützungsprozessen oder durch ähnliche Lebenserfahrungen der Praxisakteur*innen bedingt sein. Die weniger individualisierte Herangehensweise an Postfluchtresilienz der Praxisakteur*innen könnte durch ein höheres Abstraktionsniveau, Rollenerwartungen oder Umgang mit emotionaler Belastung verursacht sein.

Schlussfolgerung Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass die Resilienz Geflüchteter durch universelle und populationsspezifische Aspekte charakterisiert ist. Dass Praxisakteur*innen, die Geflüchtete unterstützen und Geflüchtete inhaltlich bezüglich der Resilienz nach der Flucht übereinstimmen, validiert die Ergebnisse bisheriger qualitativer Studien zu Resilienz nach der Flucht. Die Studie ermittelte darüber hinaus unterschiedliche Herangehensweisen von Geflüchteten und Praxisakteur*innen an Postfluchtresilienz, deren Verursachung weiterer Forschung bedarf.

Abstract

Study Objectives The study aims to identify (aim 1) and relate (aim 2) refugees’ and practice actors’ perspectives on resilience after a flight to broaden the depth of understanding of postflight resilience and to provide insights into relationships between practice actors and refugees.

Methods Three guideline-based focus groups with refugees (N=9) and practice actors (N=13) to assess the perspectives of both groups on resilience after flight were conducted in German. They were analyzed iteratively according to Constructionist Grounded Theory.

Results Refugees and practitioners report the strains of uncertainty and limitation, the adaptation processes of commonality and endeavor, and the adaptation goals of stability, connectedness, and positive emotionality (goal 1). The statements of refugees and supporting practice actors on resilience after flight concur strongly regarding their content and complement each other. Refugees report more individualized and more specifically than practice actors (goal 2).

Discussion The aspects of resilience mentioned by refugees and supporting practitioners replicate the results of previous qualitative studies on post-flight resilience conducted with refugees. Both the strain of partly not knowing adequate adaptation options locally and attempts to create resilience-promoting conditions seem to be specific to the resilience of refugees. The content-related similarities between refugees and practice actors might stem from experiences of the practice actors in the context of support processes or from similar life experiences of the practice actors. The less individualized approach to post-flight resilience of the practice actors may be caused by a higher level of abstraction, role expectations, or coping with emotional distress.

Conclusion The results of the study suggest that refugee resilience is characterized by universal and population-specific aspects. That practice actors who support refugees and refugees concur on the content of post-refugee resilience validates the findings of previous qualitative studies on post-refugee resilience. The study also identified different approaches to post-flight resilience among refugees and practitioners, whose causes require further research.

Zusatzmaterial



Publication History

Received: 13 August 2021

Accepted: 06 May 2022

Article published online:
04 October 2022

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