JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2022; 11(03): 94-95
DOI: 10.1055/a-1796-3501
Kolumne

Man könnte die Feste feiern, wie sie fallen – oder auch nicht

Heidi Günther
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(Quelle: Friedrich Günther)

In der nächsten Woche wird mein Sohn 40 Jahre alt. 40 Jahre sind ein halbes Leben. Ein Leben, das wir beide gemeinsam geführt haben, in dem wir eng verbunden waren und sind. Denn es gibt ja wohl kaum eine vergleichbare Beziehung wie die zwischen dem Kind und der Mutter. Bedingungslos und voller Liebe. Auch wenn diese Liebe oft auf eine harte Probe gestellt wurde. Mein Sohn hat in seinem bisherigen Leben alle Register gezogen und damit nicht nur mich, sondern auch sich selbst oft bis an die Grenzen des Zumutbaren gebracht.

1982 in Ostberlin geboren. In einem Land, das es heute so nicht mehr gibt. In einem Jahr, in dem Helmut Kohl Bundeskanzler wurde, in dem der Falklandkrieg begann, die erste Implantation eines Kunstherzens fehlschlug, in dem Nicole um „ein bisschen Frieden“ sang, „E. T.“ nach Hause telefonieren wollte und Italien Fußballweltmeister wurde.

Wir lebten damals in einer Einzimmerwohnung – was ich mir heute kaum noch vorstellen kann. Aber es ging irgendwie. Ich war jung, zufrieden und glücklich mit meinem gesunden Kind. Elternzeit war damals nicht so sehr das Thema. Typisch für die DDR brachte ich meinen Sohn schon mit wenigen Lebenswochen in die Kinderkrippe. Später ging er sehr gern in den Kindergarten. Er war das, was man heute leicht abfällig als „Schlüsselkind“ bezeichnet. Aber er hat es geliebt und war stolz wie Oskar, wenn er als „Mittagskind“ allein nach Hause kommen durfte. Dann kamen Schule und Hort. Die Schule hat er sehr schnell als vergeudete Lebenszeit angesehen und fand sie einfach nur doof. Diese Einstellung hat sich sehr lange bei ihm gehalten und erst sehr spät kam die Einsicht, dass ohne Schule auch später nicht viel los sein wird. An das Später hatte er nämlich immer große Wünsche und Hoffnungen gesetzt.

Letztendlich hat er alles gut gemacht. Ist erst Kfz-Mechaniker und später Polizist geworden und die ganze Familie ist stolz auf ihn. Nun ist es ja so, dass in unserer Familie gern gefeiert wird, und ausgerechnet dieses Jubiläum muss ohne große Feierlichkeit auskommen. Ein anderes, wenn auch viel kleineres Jubiläum, macht uns einen Strich durch die Rechnung: Corona! Corona wird zwei Jahre alt. Kein Anlass, der Grund zum Feiern gibt. Eher das Gegenteil. Corona machte in den letzten zwei Jahren alles, was ein bisschen an Spaß und Freude erinnert, unmöglich oder zumindest sehr schwer. Keine Feiern, kaum Urlaube, keine Konzert- oder Kinobesuche. Kein Restaurantbesuch oder einmal spontan im Biergarten nur so rumsitzen. Das Leben war und ist ja noch immer geprägt von FFP2-Masken, diversen Nasen- und/oder Rachenabstrichen, Impfungen und den unvermeidlichen täglichen Zahlen über Inzidenzen, Bettenbelegungen und Todeszahlen. Auf einmal kennt jeder das DIVI-Intensivregister oder fragt sich, ob es jemals eine Impfpflicht und ein Impfregister geben wird. Eines muss man aber der ganzen Coronazeit lassen: Wir haben alle viel gelernt. Über Infektionsschutz, Aerosole, Impfstoffe, Bettenauslastungen und über Pflexit (Wortkombination aus Pflege und Exit). Selten, um nicht zu sagen nie stand die Pflege so sehr im Fokus der Öffentlichkeit wie in den letzten zwei Jahren. Leider wird dieses Interesse, meiner bescheidenen Vermutung nach, nach Corona wieder in der Versenkung verschwinden.

Aber wir hatten ja noch die Chance – und so Corona will –, eventuell am 12. Mai ganz groß zu feiern. Am „Internationalen Tag der Pflege“, der übrigens schon seit 1974 begangen wird. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich (egal in welchem Krankenhaus ich auch immer gearbeitet habe) in all den Jahren nie etwas von den Feierlichkeiten mitbekommen habe. Na gut, ich muss auch nicht auf jeder Feier tanzen. Aber in der heutigen Zeit nimmt man, was man kriegen kann, um es mal richtig krachen zu lassen. Alternativ hätte ich für den 12. Mai noch den „Tag des richtigen Liegens“ im Angebot. Überhaupt habe ich festgestellt, dass man sich durchs ganze Jahr feiern könnte, wenn man nur will und auch das Durchhaltevermögen dazu hat. Allein in den Monaten März und April suchen uns unter anderem noch die Welttage des Schlafes, der Gesundheit, der Nieren, der Tuberkulose und der Rückengesundheit heim. Den Welttag der Kranken haben wir leider in diesem Jahr verpasst. Das macht aber nichts, denn schließlich ist jeder (Arbeits-)Tag für uns ein Tag für die Kranken. Jedenfalls gibt es in diesem Jahr mehr als 1000 Aktionstage, nicht zu vergessen diverse Feiertage und nebenbei auch noch um die 250 Arbeitstage. Da wird ja wohl für jeden von uns etwas dabei sein. Und schon kommt es mir etwas kleinkariert vor, dass ich es ein bisschen traurig finde, den Geburtstag meines Sohnes nicht gebührend feiern zu können. Außerdem wusste schon George Bernhard Shaw: „Nur ein Narr feiert, dass er älter wird.“

In diesem Sinne

Ihre

Heidi Günther

Guenther-Heidi@web.de



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Article published online:
02 June 2022

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