Zeitschrift für Palliativmedizin 2009; 10(2): 80
DOI: 10.1055/s-2009-1225599
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Publication History

Publication Date:
22 June 2009 (online)

 

Frauen im Sterben - Gender und Palliative Care

Sigrid Beyer

2008, 237 Seiten, EUR (D) 23,00, Lambertus Verlag, Freiburg

ISBN 978-3-7841-1848-2

Das Buch "Frauen im Sterben - Gender und Palliative Care" erzählt in eindrucksvoller Weise von den letzten Tagen und Wochen im Leben sterbender Frauen und ihrer Begleiterinnnen.

Mit großem Einfühlungsvermögen widmet sich die Autorin der Frage nach den Veränderungen des Körpers, den Beziehungen und Emotionen, dem Balanceakt zwischen Für- und Selbstsorge, dem Wunsch nach Selbstbestimmung und der Bedeutung von Spiritualität. In Interviews mit 4 betroffenen Frauen und 14 ihrer weiblichen Pflegekräfte zeigen sich markante Gemeinsamkeiten und differenzierte Unterschiede in den Wünschen, Bedürfnissen und Sorgen der Erkrankten.

Es finden sich verdichtet und komprimiert Interviewausschnitte zu den oben genannten Fragen, die tief bewegen, offen und authentisch sind, ergänzt durch theoretische Überlegungen und Erklärungen der Autorin.

Beeindruckend neu in Bezug auf Palliative Care ist dabei die geschlechterbezogene Forschung, welche immer wieder Fragen der sozialen und psychologischen Geschlechtsrolle (Gender) aufgreift und als gesellschaftliches Konstrukt begreift.

Die Autorin ist Soziologin, Pädagogin sowie als freie Mitarbeiterin der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung - Palliative Care und Organisationsethik; Forschungsschwerpunkt: Frauen und Genderforschung, der Universitäten Klagenfurt, Wien, Insbruck und Graz.

Als Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitet sie im Dachverband Hospiz Österreich.

Nach einer kurzen Vorstellung der Struktur und Organisation der Hospize, in denen die Interviews durchgeführt wurden, wendet sich die Autorin im ersten Kapitel der Sorge und Versorgung zu.

Frauen sorgen sich um andere und sind oftmals Fürsorgeexpertinnen. Fürsorge ist auch in der letzten Lebensphase oft von zentraler Bedeutung. Sie kann als große Ressource der Frauen gesehen werden, birgt jedoch auch die Gefahr in sich, das Eigene darüber zu verlieren, sich selbst in der Sorge um andere zu verlieren. Die Autorin stellt dar, dass der Sterbeprozess besonders dann von Schmerz und Verlustgefühlen geprägt ist, wenn die Frauen in ihrer Lebensbilanz erkennen, dass sie ihr Leben hauptsächlich für die anderen gelebt haben.

Auch wenn die Eigenversorgungsmöglichkeit abnimmt, tun sich vor allem ältere Frauen schwerer damit, körperliche Hilfe anzunehmen als psychologische oder spirituelle Unterstützung. Dieses Gefühl der Frauen, nicht zur Last fallen zu wollen, gründet nach Sicht der Autorin in ihrer gesellschaftlich geprägten Rolle als Fürsorgende.

Im nächsten Kapitel geht sie auf die Auswirkungen vom Verlust der Schönheit und Attraktivität sowie den Verlust der körperlichen Integrität betroffener Frauen ein.

Für viele Frauen sind Schönheit und Attraktivität essenziell und fundamental; ihre Bedeutung wirkt bis in den Sterbeprozess hinein und kann auch über den Tod hinausreichen. Eindrucksvoll stellt die Autorin eine Verbindung zu gesellschaftlichen Konstrukten her, kulturellen und symbolischen Zuschreibungen, begründet in einer zunehmenden Trennung von Geist und Körper und den jeweiligen Geschlechterzuordnungen sowie ihre Auswirkung auf das Bild von Weiblichkeit.

Sie stellt die Frage, was es bedeutet, wenn das, auf das man vorrangig reduziert wird, verlorengeht. Der Verlust derselben wird als besonders schmerzhaft erlebt, löst zum Teil heftigste Emotionen aus und wirkt sich auf Handlungen und Beziehungen aus - bis hin zum Beziehungsabbruch. Auch in den weiteren Kapiteln, die sich den Themen Umgang mit Emotionen, Gestaltung von Beziehungen, Selbstbestimmung und Leben von Spiritualität widmen, wird immer wieder Bezug auf die Auswirkungen eines veränderten Körperbildes genommen.

Abschließend stellt die Autorin im letzten Kapitel ausführlich die Methodologie der Arbeit vor.

Frauen im Sterben ist ein sehr empfehlenswertes Buch mit einer ausgewogenen Mischung durch seine Perspektive aus Sicht der Betroffenen und dem Blick der Wissenschaftlichkeit, gut lesbar für haupt- und ehrenamtlich Begleitende im Bereich Hospizarbeit und Palliative Care. Mich hat es jedoch nicht nur als Pflegende, sondern auch als Frau beeindruckt und bewegt. Der Ansatz der geschlechterbezogenen Forschung bietet eine gute Möglichkeit, den Blick im Umgang mit Patientinnen im Bezug auf die Bedeutung ihrer Geschlechterrolle zu schärfen, aber auch im Rahmen der Selbstsorge die eigene Rolle - im Fürsorgeberuf wie im Privatleben - kritischer zu reflektieren.

Eva Schumacher, Bonn

Email: eva.schumacher@malteser.de