Notfall & Hausarztmedizin 2008; 34(3): 118
DOI: 10.1055/s-2008-1075846
Magazin

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Beim Eintrag „Leiche“ starb der Autor – Krünitz-Enzyklopädie

Further Information
#

Korrespondenz

Rainer H. Bubenzer

Medizin- und Wissenschaftsjournalist Multi MED vision – Berliner Medizinredaktion

Lützowstraße 47

10785 Berlin

Fax: 030/806136-80

Email: Rainer@Bubenzer.com

Publication History

Publication Date:
03 April 2008 (online)

Table of Contents

Der Begründer der umfangreichsten deutschen Enzyklopädien überhaupt, der Arzt Dr. Johann Georg Krünitz (1728–96), hat seine „Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft“ bis zum Buchstaben „L“ selbst verfasst. Am Ende eines Briefes vom 18. Dezember 1796 schrieb Krünitz an einen Bekannten, dass der nahe Eintritt in das 70. Lebensjahr ihn an den Tod erinnere, „wozu die an acht Monate mich noch beschäfftigende Bearbeitung des Artikels Leiche kommt; praefiscine dixerim et scripserim (ohne üble Vorbedeutung sei es gesagt und geschrieben)“. In derselben Nacht starb er an einem Schlaganfall [1].

Das von Krünitz begründete Werk erschien 1773 bis 1858 in 242 Bänden und stellt eine der wichtigsten deutschsprachigen wissenschaftsgeschichtlichen Quellen für die Zeit des Wandels zur Industriegesellschaft dar. Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Digitalisierungsprojektes wurde „der Krünitz„ an der Universitätsbibliothek Trier seit 2001 in Form einer strukturierten und systematisch recherchierbaren elektronischen Volltextversion zugänglich gemacht (www. kruenitz1.uni-trier.de). Unter dieser Internetadresse finden sich auch viele Informationen zur Werkgeschichte, den Autoren und Verlegern (u. a. dem „Säulenheiligen“ Ernst Theodor Amandus Litfaß, der die Enzyklopädie 1858 zum Abschluss brachte) versammelt.

Der „Krünitz“ ist nicht nur ein literarisches – von Kritikern auch als „megaloman“ bezeichnetes – Riesenunternehmen gewesen, sondern in seiner Weitschweifigkeit, Reichhaltigkeit oder umfänglichen Bebilderung wohl niemals wiederholt worden (vielleicht mit Ausnahme der Online-Enzyklopädie Wikipedia, in der sich auch ein „erschöpfender“ Beitrag zum Krünitz findet – www.de.wikipedia.org/wiki/Oeconomische_Encyclopädie. Medizinhistorisch ist der Krünitz reichhaltig wie kaum ein anderes Werk seiner Zeit, nicht zuletzt weil Krünitz Mediziner, wissenschaftlicher Generalist und erfahrener Autor war. Das Blättern in dem Werk fördert viele Perlen zutage, beispielsweise in dem umfangreichen Abschnitt über Klistiertherapie.

Der weitere Beitrag zum Thema Tabakrauch-Klistier (immerhin noch 12000 Worte) mit vielen Abbildungen würde heute fast schon ein eigenes Buch füllen und dokumentiert eine Varietät eines der damals häufigsten Therapieverfahren.

Klystier, (Tobaksrauch-)

Der Tobaks-Rauch, als ein Arzeney-Mittel und statt eines Klystieres gebraucht, ist kein neues, sondern eines der ältesten Mittel. Es hat seinen Ursprung selbst von den Amerikanern. Wenn diese mit der Kolik und mit Darm-Reissen befallen sind, blasen sie Tobaks-Rauch in den Hintern des Patienten. Sie nehmen zwey gefüllte Tobaks-Pfeifen, und zünden sie an; die eine stecken sie in den After, die andere nehmen sie in den Mund, halten die zwey Köpfe über einander, und blasen auf diese Weise den Rauch in den Leib.

Die Engländer haben es den Amerikanern gar bald nachgemacht, nur daß sie die Art, den Tobaks-Rauch zu appliciren, mit einem bequemern Instrumente zu verbessern gesucht haben. Stisser, ein hamburgischer Arzt, suchte die an dieser englischen Maschine bemerkten Unvollkommenheiten zu verbessern.

Der gigantische Inhalt des Krünitz kann über viele Zugänge erschlossen werden. Über alphabetische Stichwort-Verzeichnisse, Volltextsuche (Vorsicht: Schreibweisen beachten!) und über die Dewey-Dezimalklassifikation (DDC). Dies ist eine Inhaltssystematik zur Erschließung von Bibliotheksbeständen, die ursprünglich von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) erdacht wurde (siehe www.de.wikipedia.org/wiki/Dewey_Decimal_Classification). Erst die DDC-Verwendung ermöglicht das rasche Auffinden medizinischer Inhalte im Krünitz – rund 3955 werden gelistet. Erfreulich ist die Umsetzung gelungen – die Einträge verschiedener Kategorien, zum Beispiel „Pharmakologie und Therapeutik“ (1541 Einträge) werden nach ihrer Auswahl als Stichwortliste angezeigt. Hierbei findet sich viel Exotisches (s. o.), aber auch vieles, was bis heute Anwendung findet (bei Naturheilkundlern).

Nesselpeitschen, das Peitschen mit Nesseln

Urticatio, ist diejenige Operation, da die Glieder des Körpers mit frischen Brennnesseln geschlagen werden, um nähmlich den Theil durch diesen Reitz wieder etwas zu beleben, besonders in Lähmungen und andern ähnlichen Krankheiten. Auch haben durch Ausschweifung in der Liebe sehr geschwächte Personen darin ein Mittel gesucht, einen gewissen Theil des Körpers zur Befriedigung ihrer Begierde auf einen Augenblick wieder aufzureitzen; welches für den Körper aber um desto zerstörender seyn muß, je mehr die Natur durch die Unfähigkeit des Organs neue Entkräftungen verhüten wollte.

Diese Beschreibung entspricht dem naturheilkundlichen Ratschlag an Patienten mit rheumaähnlichen Gelenkerkrankungen, mit bloßen Beinen durch Brennnesseln (Urtica urens) zu laufen oder frische Brennnessel-Blätter als Umschlag auf schmerzhaften Gelenken einzusetzen.

Und das beste beim Online-Krünitz: Die Nutzung ist vollkommen kostenlos und kostet Sie lediglich eines – Ihre Zeit.

#

Literatur

  • 1 Ernst Nebel. Ludwig Wilhelm. Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken. Carl August Nicolai, Frankfurt, Leipzig 1795-1798
#

Korrespondenz

Rainer H. Bubenzer

Medizin- und Wissenschaftsjournalist Multi MED vision – Berliner Medizinredaktion

Lützowstraße 47

10785 Berlin

Fax: 030/806136-80

Email: Rainer@Bubenzer.com

#

Literatur

  • 1 Ernst Nebel. Ludwig Wilhelm. Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken. Carl August Nicolai, Frankfurt, Leipzig 1795-1798
#

Korrespondenz

Rainer H. Bubenzer

Medizin- und Wissenschaftsjournalist Multi MED vision – Berliner Medizinredaktion

Lützowstraße 47

10785 Berlin

Fax: 030/806136-80

Email: Rainer@Bubenzer.com