Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(10): 485
DOI: 10.1055/s-2008-1046738
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Überwachungsstrategien beim Barrett-Ösophagus

Pro Barrett-Überwachung - Contra endoskopische ResektionB. H. A. von Rahden, H. J Stein
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Publication Date:
27 February 2008 (online)

Zum Beitrag in DMW 34 - 35/2007

Der Beitrag von Rabenstein und Ell [3] bedarf einiger kritischer Kommentare. Diese beziehen sich nicht auf die Hauptbotschaft des Artikels, der wir uneingeschränkt zustimmen: Die endoskopische Überwachung von Patienten mit Barrett-Ösophagus ist - trotz insgesamt dünner Datenlage im Sinne evidenzbasierter Medizin - eine sinnvolle Maßnahme, da sie derzeit die einzige Möglichkeit darstellt, die maligne Progression frühzeitig und in einem kurablen Stadium (Frühkarzinom) zu entdecken. Aber was soll mit Patienten geschehen, bei denen durch Überwachung statt eines fortgeschrittenen Karzinoms (das in der Regel erst durch Dysphagie auffällt) nun ein Frühkarzinom, oder eine Vorstufe davon (hochgradige intraepitheliale Neoplasie, frühere Nomenklatur: Dysplasie) entdeckt wird?

Die Autoren sind Protagonisten der in Wiesbaden seit Jahren praktizierten endoskopischen Mukosaresektion (EMR), die für sie als „kurative Therapieoption” mit „exzellenter Lebenserwartung” und „uneingeschränkter Organfunktion und Lebensqualität” einhergeht. Bei allem Respekt vor der Pionierleistung der Autoren muss jedoch auf onkologische Unzulänglichkeiten des Verfahrens hingewiesen werden:

1. „Piece-Meal-Technik”. Es wird von den Wiesbadener Autoren immer wieder behauptet [2] [3], dass es ausreiche, die entartete Mukosa stückweise abzutragen: Mit der EMR wird der Tumor in der Mehrzahl der Fälle in mehreren Teilen abgetragen.

2. Residualtumorstatus: Die Abtragung gelingt mit der EMR nur in der Minderzahl der Fälle vollständig im Gesunden („R0”). Hinzu kommt, dass die Bestimmung des Residualtumorstatus am meist aus mehreren Fragmenten bestehenden EMR-Präparat schwierig ist. Obwohl man das exakte Ausmaß der bei der Resektion eines Ösophaguskarzinoms notwendigen Sicherheitsabstände als unzureichend definiert ansehen kann, so dürfte doch klar sein, dass dieser größer sein sollte als der kleine submukosale Rand, der durch die EMR maximal zu erzielen ist.

3. Lymphknotenbeteiligung: Auch Frühkarzinome des Ösophagus können mit Lymphknotenmetastasen einhergehen [5], v. a. Tumoren, die die Submukosa erreicht haben (T1sm). Ell et al. [2] argumentieren, dass bei Mukosatumoren (T1m) und intraepithelialen Neoplasien die Lymphadenektomie entfallen könne. Die tatsächliche Eindringtiefe dieser Tumoren kann jedoch mit keinem derzeit verfügbaren Verfahren mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden.

5. Multifokalität: Intraepitheliale Dysplasien und invasive Adenokarzinome im Barrett-Ösophagus sind häufig multifokal [1].

6. Präkanzerose Barrett und Ursache Reflux: Durch die EMR wird weder der als Präkanzerose angesehene Barrett-Ösophagus noch die zugrundeliegende Ursache (gastroösophagealer Reflux) behandelt. In einem Editorial [4] zur Originalarbeit von Ell et al. [2] wurde dies trefflich so formuliert: „…similar to pulling weeds out of a garden and expecting them never to grow again” („...als ob man in einem Garten Unkraut jätet und erwartet, dass es niemals wiederkommt”).

8. Lebensqualität: Mehrere Aspekte lassen die von Rabenstein und Ell versprochene „exzellente Lebensqualität” nach EMR äußerst fraglich erscheinen. Zum einen ist er wegen der häufigen erforderlichen Kontroll-Endoskopien lebenslang an seinen Endoskopiker „gefesselt”. Zum anderen muss er mit dem Wissen leben, dass seine Krebserkrankung nicht kurativ therapiert ist - was aus psychoonkologischer Sicht sicherlich als äußerst ungünstig zu beurteilen ist.

9. Überleben: Haupt-Qualitätsmerkmal einer kurativen Therapie ist ein möglichst langes Gesamtüberleben (nicht nur das Überleben bis zum nächsten Rezidiv). Im günstigen Fall sollte mit der kurativen Therapie ein Gesamtüberleben zu erzielen sein, das dem der Normalbevölkerung entspricht. Bislang ist dies für die EMR in keiner Studie mit ausreichend langem Follow-up und adäquater Methodik gezeigt worden.

Zu fordern wäre eigentlich ein Vergleich der EMR mit dem derzeitigen Standard, der radikalen Ösophagektomie. Zwar kann dieses Verfahren in Zentren mit adäquat niedriger Mortalität (< 2 %) und Morbidität angeboten werden, doch haben auch die viele Chirurgen inzwischen dazugelernt [5]: Für das genannte Problem der Frühkarzinome oder hochgradigen intraepithelialen Neoplasien im Barrett-Ösophagus steht ein limitiert resezierendes chirurgisches Verfahren zur Verfügung. Zur Rekonstruktion wird ein Jejunuminterponat verwendet (Merendino-Operation). Dieses Verfahren wird nicht nur den (von der EMR missachteten) onkologischen Kriterien gerecht: Praktisch immer gelingt auch die vollständige Entfernung der gesamten Präkanzerose (Barrett-Ösophagus). In erfahrenen Händen hat dieser Eingriff eine deutlich niedrigere Morbidität und Mortalität als die Ösophagektomie, und bietet eine (messbar) sehr gute Lebensqualität durch definitive onkologische Therapie und Elimination des Reflux. Die Langzeit-Überlebensdaten mit dieser Operation zeigen, dass es sich hier tatsächlich um eine „kurative Therapie” handelt [5].

Auch ein Barrett-„Frühkarzinom” ist ein invasives Karzinom, das unbehandelt oder inadäquat behandelt zum Tod des Patienten führen wird. Die Heilungsschancen der betroffenen Patienten sollten nicht kompromittiert werden, nur weil Organerhalt und Vermeidung einer Operation überbewertet werden.

Literatur

  • 1 DeMeester S R. EMR for intramucosal adenocarcinoma of the esophagus.  Gastrointest Endosc. 2007;  65 14-5
  • 2 Ell C, May A. et al . Curative endoscopic resection of early esophageal adenocarcinomas (Barrett’s cancer).  Gastrointest Endosc. 2007;  65 3-10
  • 3 Rabenstein T, Ell C. Überwachungsstrategien beim Barrett-Ösophagus - pro.  Dtsch Med Wochenschr. 2007;  132 1768
  • 4 Stein H J, Feith M, Bruecher B L. et al . Early esophageal cancer: pattern of lymphatic spread and prognostic factors for long-term survival after surgical resection.  Ann Surg. 2005;  242 566-573
  • 5 Rahden B HA von, Stein H J. Barrett’s esophagus with high-grade intraepithelial neoplasia: observation, ablation or resection?.  Europ Surg. 2007;  39 249-254

Priv. Doz. Dr. B. H. A. von Rahden
Prof. Dr. Hubert J. Stein

Universitätsklinik für Chirurgie, Paracelsus Medizinische Privatuniversität (PMU)

Müllner Hauptstr. 48

A-5020 Salzburg

Email: b.von.rahden@gmail.com

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