ZFA (Stuttgart) 2007; 83(2): 85-88
DOI: 10.1055/s-2007-970134
Kommentar/Meinung

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Die Umerziehung der Allgemeinmedizin

Re-education of General PracticeH.-H. Abholz 1
  • 1Abteilung Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf
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Publication Date:
04 April 2007 (online)

Generalisten werden in einer Welt zunehmender Spezialisierung zu Fremdkörpern - und dies nicht nur in der Medizin. Fremdkörper aber können isoliert werden, z. B. durch Ignorieren oder Stigmatisieren, oder sie können integriert werden. Will man sie integrieren, kann dies über Akzeptanz, aber auch durch Umerziehung geschehen. Die Umerziehung der Allgemeinmedizin ist ein Prozess, der über die letzten 40 Jahre stattgefunden hat.

1. Das Fach Allgemeinmedizin ist in seiner praktischen Realisierung, also in der Hausarztpraxis, weiterhin das Fach des Generalisten. Der Gene-ralist hat - ob darüber reflektierend oder nicht - die Ganzheit der Person, das Aushandeln von Kompromissen mit dem Patienten in Bezug auf den Betreuungsprozess sowie die breite Anwen-dung von Medizin im Fokus. Dies ist denjenigen, die so handeln, in der Unterschiedlichkeit zu den Spezialisten (insbesondere zu solchen aus Kranken-häusern) nicht immer bewusst. Die Andersartigkeit wird aber spätestens dann immer deutlich, wenn man an einem konkreten Patienten oder auch an einer konkreten Fragestellung mit Spezialisten zusammen Entscheidungen zu fällen hat: Die Denkungsart ist häufig frappierend anders. Das, was in einer Situation oder bei einem Problem als wesentlich angesehen wird, kann schon erheblich differieren: Dann wird deutlich, dass der eine die Krankheit, der andere den Kranken im Zentrum seiner Orientierung hat: was für die Krankheit „gut” ist, muss nicht immer für den Kranken als „gut” angesehen werden. Ja, unsere allgemeinmedizinischen Behandlungs-ziele sind in der Regel dadurch schon anders als die des Spezialisten, weil wir immer noch ein weiteres, nicht selten dazu konfliktives im Auge haben, die Integrität und Autonomie des Patienten [1].

2. Die akademische Allgemeinmedizin hat mit den Lehrbeauftragten, also denjenigen, die über Jahrzehnte allein den Unterricht gemacht haben, dieses Bild der Allgemeinmedizin mehr oder minder explizit auch so vermittelt. Mit zunehmender Spezialisierung an den Hochschulen, die auch das Fach „Innere Medizin” in Teilgebiete auflösen ließ, wurde der Generalist, so wie er sich im Unterricht des alten Typus des Lehrbe-auftragten zeigte, aber immer antiquierter. Er wurde so auch von den Studenten erlebt, sahen sie doch, dass hier jemand von einer Tätigkeit berichtete, die - schon für sie ersichtlich - als veraltetet erschien: Es wurde nicht das getan, was man „heute” und nur mit Spezialkenntnis und -fertigkeit zu leisten in der Lage war. Aber nicht nur das Gefühl, mit Veraltetem konfrontiert zu werden, ließ Unwillen aufkommen, sondern auch das Beängstigende, dass man als Generalist für alles zuständig war, weckte und weckt wei-terhin Widerstand der Studenten: Sie wollen einfach nicht die Verantwortung haben. Und sie haben die Lösung gelernt: Probleme sind fast immer vielgliederig und man möchte nur für einen Teilbereich, wirklich gut mit Wissen ausgestattet, Verantwortung übernehmen - und diese dann möglichst auch noch mit dem Patienten teilen. Spezialisierung bietet also auch Erleichterung von Verantwortung - so ist die ge-lernte Botschaft.

3. Die moderne akademische Allgemeinmedizin - universitäre Abteilungen, aber auch jüngere Lehrbeauftragte - hat sich im Unterricht dieses Problems angenommen: Allgemeinmedizin ist hiernach eben nicht nur die breite Anwendung von „oberflächlichem Wissen” (nach Sicht der Spezialfächer), sondern viel mehr. Das Spezifische der Allgemeinmedizin, also die Darstellung der Funktion des Generalisten, ist ins Zentrum des Unterrichts gerückt worden. Nicht mehr einzelne, häufig vorkommende Krankheitsbilder strukturieren den Unterricht, sondern Konzepte - solche zum Umgang mit dem „schwie-rigen Patienten”, dem Sterbenden, zur Funktion von Hausbesuchen, zur ärztlichen Entscheidungsfindung zwischen studien-basiertem Wissen und indivi-dualisierender Entscheidung, zur Arbeit im Niedrig-Prävalenz-Bereich etc.

Damit ist eine wichtige Positionsnahme für das Fach erfolgt - selbst, wenn damit nicht die Probleme der Studenten gelöst sind, die oben skizziert wurden. So sind die Studenten aber in dieser Form des Unterrichts wenigstens zur Reflexion der ge-nannten Problematik „gezwungen”, insbesondere wenn sie erleben (wie im Kleingruppenunterricht und dem Rollenspiel), dass sie von der spezialisierten Medizin eines nicht gelernt haben: das „doctoring”, also das ärztliche Handeln.

4. Die akademische Allgemeinmedizin hat mit ihrer Etablierung an einigen Hochschulen sich dort auch Anerkennung verschaffen müssen. Da diese an deutschen Hochschulen nie über die Lehre zu gewinnen ist, blieb nur das Feld der Forschung. Zudem ist jedes akademische Fach auch nur durch die Einheit von Lehre und Forschung zu repräsentieren. Es kam also zu einer Verwissenschaftlichung des Faches.

Abteilungen forschen heutzutage aus eigenen Mitteln der jeweiligen Universität (Haushaltsmittel) oder über Drittmittel, die zudem meist im Vergleich zum eigenen Haushalt beachtlich hoch sind. Damit wiederum können die Abteilung ihrer Universität gegenüber etwas vorweisen. Allerdings haben sie damit auch einen zweiten „Arbeitgeber”, der bestimmte Vorstellungen und Maßstäbe anlegt: Sie müssen sich also hier nochmals profilieren - so wie diese „Arbeitgeber” es wünschen, oder wie sie vermuten, dass es gewünscht wird. Forschung und Einwerbung von Drittmitteln finden dabei in Konkurrenz zu den anderen Fächern statt - dies aber sind Fächer der Spezialisten. Und diese etablierten Konkurrenten bestimmen den Stil an dem gemessen wird - und formen so, was im Wettbewerb um Förderungsgelder eingereicht wird.

Da ist nicht verwunderlich, dass über Jahre mittels Drittmittelförderung und inner-universitär eine spezialistische Denkungs-art auch in der allgemeinmedizinischen Forschung sich zunehmend breit gemacht hat. Der Erzogene - die Akademische Allgemeinmedizin - zeigt sich zunehmend brav. Man ist einfach erfolgreicher, wenn man es so macht, wie es die anderen, die das Sagen haben, von einem wünschen. Anfangs mag dies noch mit geplanter List geschehen sein: man wollte das Eigene im Schutze des offiziell Beantragten realisieren. Aber inzwischen hat sich ein solches Vorgehen als Falle für uns entwickelt: Wir sind gewandelt worden, umerzogen vom „geheimen generalistischen Forscher” zum „spezialistischen Forscher”.

5. Dies hat für das akademische Fach des Generalisten verheerende Folgen. So wie in der Lehre der komplexe Umgang mit Kranken, Krank-Sein und der Medizin zum leitenden Thema geworden ist und so wie dies auch in der Praxis moderner Hausarztmedizin der Fall ist, so würde man es auch für die Forschung erwarten. Dem entspricht, dass auch der Kardiologe über das forscht, was er lehrt und was er im praktischen Handeln umsetzt.

Wenn aber Forschung sich zunehmend den Fragen von Spezia-listen zuwendet bzw. mit spezialistischer Denkungsart Fragen zu beantworten sucht, indem sie Einzelteile von Behandlungspro-zessen untersucht oder aus schon spezialistisch-methodischen Gründen alle Komplexität im Fokus von Forschungsfragen ausspart, dann ist die Komplexität allgemeinärztlicher Arbeitsweise auf die Eindimensionalität [2] des Spezialisten reduziert. Forschung bearbeitet nicht mehr das, was in der Praxis getan und relevant ist und was auch gelehrt wird.

Hintergrund dies zu tun, dürfte zweierlei sein: Die Komplexität, die das eigene Fach auszeichnet und die so nicht nur in der Lehre, sondern eben auch in der Forschung zu bearbeiten wäre, lässt sich nicht so leicht wissenschaftlich untersuchen. Wissenschaftlichkeit nach westlichem und damit spezialistischem Muster ist durch Reduktionismus und Vorbereitung zur biostatischen Bearbeitbarkeit ausgezeichnet [3]. Die Komplexität entzieht sich in ihrer Gesamtheit einem reduktionistischen-wissenschaftlichen Zugang, gar noch einem rein naturwissenschaftlichen. Dennoch sind Teile der Komplexität auch wis-senschaftlich untersuchbar. Die „Kunst” besteht eben darin, im Design von Studien diese Teil so „zuzubereiten”, dass sie einerseits das Ganze noch repräsentieren oder zumindest eine „Teil-Komplexität” beinhalten, aber andererseits darüber auch wissenschaftlich untersuchbar werden. Dies ist schwierig und wird nicht selten nur mit Integration von Methoden der qualitativen Forschung [4] gelingen.

Solche Vorgehensweise lassen Entitäten von Komplexität noch Untersuchungsgegenstand bleiben. Dennoch sind diese für Spezialisten weiterhin sperrig, erscheinen nicht ideal untersuchbar, und diese fragen daher nicht selten, warum es denn so „kompliziert” sein muss, man müsse nur etwas reduzieren, und dann wäre es ein ganz gutes Design etc. Nur: Wenn wir dies tun - und wir tun es zunehmend mehr -, dann geben wir unsere eigenen Fragestellungen auf und bearbeiten andere Fragen, solche, die Spezialisten genauso gut hätten bearbeiten können und die unsere unbearbeitet und manchmal schon vergessen lassen.

6. Die Entwicklung spezialistischer Medizin ist aufgrund der wissenschaftlichen Entwicklung der Medizin notwendig geworden, die selbst in ihrer Entwicklung unübersichtlich groß geworden ist. Damit aber allein ist noch nicht die Dominanz dieser Medizin im Vergleich zum Generalisten erklärt. Auch hat diese nicht allein mit den Erfolgen spezialistischer Medizin zu tun. Vielmehr „passt” spezialistische Medizin in das Weltbild westlicher Kultur, in der sie sich ja auch entwickelt hat [5]. Einfach zu um-schreibende Aufgaben, die mit hoher Präzision, aber unter Meidung der Wahrnehmung von Komplexität (die deswegen ja nicht verschwunden ist) zu lösen sind, stellen das Muster westli-chen Denkens dar [6]. Dabei wird hier nicht übersehen, dass naturwissenschaftliche Fächer, wie z. B. die Physik, sehr wohl Komplexität zum Thema haben. Für die Medizin aber gilt, dass sie in den letzten 50 Jahren nichts Zusammenhaltendes, keine Theorie mehr entwickelt hat; selbst in den Subspezialitäten ist dies nicht der Fall.

Vielmehr „regiert” eine Denkungsart, die die Sicht auf das Einzelproblem und dessen Lösung in den Vordergrund stellt bzw. zum absoluten Maßstab macht. Und Erfolge geben oder scheinen Recht zu geben. Diese Medizin ist erfolgreich - selbst wenn ein Großteil der Erfolge in der Lösung von Einzelproblemen liegt, die häufig nicht einmal Relevanz für die gesundheit-liche Lage einer Bevölkerung haben.

Was liegt bei Erfolg näher, als sich diesem anzuschließen?

7. Ein Blick in die Geschichte der praktizierten Allgemeinmedizin kann hier helfen, diese Frage zu beantworten. Auf einem Hintergrund wie diesem ist es nicht verwunderlich, dass man sich in der praktizierten Hausarztmedizin über Jahrzehnte auf „diese Medizin”, die der Spezialisten, ausrichtete: Man muss so werden wie die anderen, dann bekommt man deren Akzeptanz - und deren Honorierung.

Diese Ausrichtung hat in der deutschen Allgemeinmedizin zu dem hohen Grad von technischer Ausstattung und zusätzlicher Spezialisierung innerhalb des Faches - und bei zugleich Konkurrenz zu niedergelassenen Spezialisten - in den Jahren zwischen 1960 und 1990 geführt (Sonographie, Endoskopie, Operieren etc.). Es hat aber - wie wir heute wissen - nur zu kurzfristiger Anerkennung beigetragen, weil dann die Logik des Spezialisten, mit dem man ja konkurrierte, sich auch im Feld der Qualifikation durchsetzte: Nur der, der hochspezialisiert ist und entsprechende Leistungen regelmäßig und in hoher Zahl erbringt, darf diese - aus Gründen der Qualität - noch erbringen. So ist die gesamte Änderung der Gebührenordnung (EBM 2000) zu lesen: Es gab drei übergeordnete konzeptionelle Ziele - das eine war das gerade skizzierte, das andere die Begrenzung der Mengenausweitung, das dritte eine Einkommensgerechtigkeit.

Der Versuch der Anpassung an die Spezialisten (nach dem Muster „wir können das auch”) wurde also - nach historisch gesehen kurzer Zeit - nicht mehr dankbar aufgenommen, sondern blo-ckiert. Allgemeinmedizin wurde auf das zurückgestutzt, was es war, ein Fach des Umganges mit Patienten und mit Medizin. Für das Fach zum Nachteil war darüber jedoch, dass viele Generalisten über Jahre auf das falsche Ziel fokussiert waren und dabei vergaßen und verlernten, was ihre Stärken sind, die ihnen auch die Spezialisten grundsätzlich nicht nehmen können und wegen derer sie vom Patienten geliebt werden: Das Ganze im Auge zu behalten, abzuwägen, gemeinsame Lösungen über Aushandeln finden, immer und für alles da zu sein.

8. Die Ausrichtung der Allgemeinmedizin geht aber weiter und über die oben skizzierte berechtigte Zurückweisung auf die eigentlichen Aufgaben des Generalisten hinaus: Diese weitere Ausrichtung bedient sich wiederum der Qualitätssicherung. Und Qualitätssicherung ist gut, denn der Umgang mit Kranken, Krankheiten und der Medizin kann sehr wohl qualitativ hoch oder weniger hoch stehend sein. Nur kann man ihn in seinem komplexen Inhalt nicht mit einfachen Parameter, also eindimensional messen. Ein HbA1c bietet eine einfache Messgröße, sie ist aber für die Beurteilung des Behandlungsauftrags des Generalisten nur eine Größe, nicht einmal bei jedem Patienten die wichtigste. Man hat aber mit den bekannten qualitätssichernden Programmen, einschließlich der DMPs, zu weiten Teilen eine Qualitätssicherung aufgebaut, die nur spezialistisch eindimensional, also inadäquat für hausärztliche Versorgung, bewerten lässt. Der Qualitätszirkel ist - zumindest wenn er so betrieben wird, wie er hausärztlich entwickelt wurde [7] - nicht zu diesen inadäquaten Formen zu zählen, nur wird er interessanterweise auch nicht mehr nennenswert gefördert.

Damit wird Qualitätssicherung - so berechtigt sie auch generell ist - ebenfalls zum Erziehungsinstrument hin in Richtung spezialisierten Tuns, also Teil von Umerziehung des Generalisten hin zur Übernahme spezialistischer Sicht. Qualitätssicherung, so betrieben, macht den Generalisten zu jemandem, der - metho-disch gesehen - spezialistisch in der Vielzahl der Einzelteile seiner Arbeit - dann nur noch fokussiert auf den medizinischen Anteil - überprüft wird, und bei dem hierbei die Hauptaufgabe, der Umgang mit Komplexität, außen vor bei dieser Überprüfung bleibt. Damit wird systematisch und anhaltend das den Genera-listen Auszeichnende zur Unwichtigkeit erlebbar gemacht.

9. Der Druck auf die Allgemeinmedizin als Fach des Generalisten, der in der praktizierten Hausarztmedizin erst einmal zu einer Flucht (s. Pkt.7) in die Spezialisierung als Lösungsversuch geführt hatte, der dann aber - wegen Unterlegenheit zu den „wahren Spezialisten” - abgebrochen wurde, löst momentan etwas ähn-liches in der Akademischen Allgemeinmedizin aus. Auch hier beginnt man - momentan auch noch sehr erfolgreich - thematisch ins Spezialistische zu gehen. Man macht Studien, die eigentlich ganz oder weitgehend spezialistische Fragen beantworten und die die Spezifik der Allgemeinmedizin geflissentlich aussparen - weil hiermit keine Meriten zu verdienen sind. Es werden dann Publikationen, die aus diesen Studien resultieren, wesentlich nur noch in spezialistischen Zeitschriften publiziert - gibt es doch nur hier die Symbole der Anerkennung, die impact factors. Deutsche Allgemeinmedizinzeitschriften sind hierfür nicht interessant - werden aber - anders als spezialistische Zeitschriften - von der „Hoffnung der Allgemeinmedizin”, den „reflective practitioners” gelesen. Der Kontakt zu selbst diesen wird brüchiger.

Dies alles geschieht, weil man sich als akademisches Fach so besser profiliert. Nur bleibt die Frage, ob man nicht nach kurzer Zeit - und genauso berechtigt wie im Falle der praktizierten Hausarztmedizin - ersetzbar wird. Sind nicht die richtigen Spezialisten und die richtigen Methodiker die jeweils besseren - im Vergleich zum Generalisten? So wird die berechtigte Frage lauten. Dann könnte es sein, dass nach kurzer Zeit des Erfolgs man wieder „raus” aus der Forschung geworfen wird, das Fach hier dann doch untergeht, so wie es in der Praktizierten Allgemeinmedizin (s Pkt 7) geschehen ist.

Aber nicht genug mit diesem Schaden: In der Zwischenzeit, in der man als wissenschaftlicher Allgemeinmediziner zwar noch eine Karriere an der Hochschule machte, hat man mit der skiz-zierten Art von Forschung den Bezug zu den praktizierenden Allgemeinmedizinern verloren. Diese sehen ihre Fragen nicht bearbeitet und erleben gar, dass „Leute” sie beforschen, die ihre Probleme und Fragen nicht einmal kennen oder kennen lernen wollen.

10. In einer solchen Situation, in der generalistisches Denken in der Forschung immer mehr zurückgedrängt wird, und in der - gelobt sei es! - in der Praxis der Hausarztmedizin dies das einzige geblieben ist, was Bestand hatte, in einer solchen Zeit kann es für das Fach der Allgemeinmedizin nur zwei Lösungswege geben.

Einmal: Weitere Anpassung an die Spezialisten und an deren „eindimensionales Denken”; hier gibt es aber für die praktizierte Hausarztmedizin kaum noch Möglichkeiten und auf keinen Fall eine „Belohnung” in Form von Anerkennung oder Honorierung.

Anders ist dies - zumindest momentan noch - in der akade-mischen Allgemeinmedizin, die heute erst dort steht, wo die praktizierte Allgemeinmedizin vor gut 30 Jahren stand, nämlich vor der Möglichkeit, sich in dem Feld der Spezialisten noch zu entwickeln, hier den neuen Schwerpunkt zu suchen. Nur wird ein solcher Weg für die akademische Allgemeinmedizin aller Wahrscheinlichkeit nach so enden, wie er für die praktizierte Allgemeinmedizin endete, nämlich am Ausgangspunkt.

Dies wird dann nur mit weniger Akzeptanz denn je für die geschehen, die sich in die here Welt der akademischen Spezia-listen einschleichen wollten. Man wird also feststellen, dass die besseren Spezialisten die Spezialisten selbst, nicht die Genera-listen, die sich so ausgerichtet haben, sind. Und man wird sich fragen, was denn die Generalisten anzubieten haben, aber doch über Jahre nicht anboten.

Damit wird man nicht mehr wissen, warum man diese akade-mische Allgemeinmedizin überhaupt noch braucht, gar noch fördern soll, und man wird ihre Institute schließen.

11. Zum anderen aber könnte es eine Entwicklung geben, die einen harten Kampf beinhaltet: Explizit machen, was generalistisches Denken anders und ergänzend zu spezialistischem Denken und damit so wichtig macht. Dies kann für den Bereich der Versorgung - hier sind Politiker zu gewinnen - recht einfach gelingen. Zudem haben die praktizierenden Hausärzte inzwischen wenig zu verlieren, können sich also entsprechend exponieren - nachdem der Traum vom Mini-Spezialisten ausgeträumt ist.

In Bezug auf die akademische Welt aber verlangt eine solche Position anfangs auch große Opfer. Die, die hier aktiv Stellung gegen Spezialisten und spezialistische Sicht im Sinne der Eigen-Profilierung für das Fach Allgemeinmedizin nehmen müssten, haben etwas aufzugeben, nämlich ihre kurz- oder mittelfristige „Karriere” auf dem gerade eingeschlagenen Weg einer Ausrichtung nach dem Motto „Wir sind so wie Ihr”. Eine Abkehr davon wird man übel nehmen und abstrafen, so wie Erziehung ausrichtend straft.

Aber es wird sich auch lohnen, diesen Weg zu gehen, weil es der einzige ist, der uns unersetzbar macht.

Interessenskonflikt: keine angegeben.

Literatur

  • 1 Abholz HH, Pentzek M. Der Hausärztliche Umgang mit Patienten mit einer Demenzerkrankung - Überlegungen auf Basis von Erfahrung und Studien.  Z Allg Med. 2007;  83 61-65
  • 2 Marcuse H. One-dimensional man. Beacon Pr. Boston 1964
  • 3 Marks HM. The progress of experiment. Cambridge/Mass 1997
  • 4 Sielk M, Brockmann S, Wilm S. Qualitative Forschung - Hineindeuten in oder Abbilden von Wirklichkeit?.  Z Allg Med. 2004;  80 334-42
  • 5 Weisz G. A comparative history of medical spezialisation. Oxford, New York 2006
  • 6 Berg M. Rationalizing medical work. Cambridge/Mass 1997
  • 7 Bahrs O, Gerlach FM. Szecsenyi (Hrg) Ärztliche Qualitätszirkel. 1994 ÄrzteVerlag, Köln

Korrespondenzadresse

Prof. Dr H.-H. Abholz

Facharzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Innere Medizin

Abt. Allgemeinmedizin

Heinrich-Heine-Universität

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

Email: abholz@med.uni-duesseldorf.de