Gesundheitswesen 2007; 69: S3
DOI: 10.1055/s-2007-962899
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K. R. Walter1
  • 1Gesundheitsamt Aalen, 73431 Aalen
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Publication Date:
14 February 2007 (online)

„Durch die gesundheitspolitischen Fernwirkungen des Nationalsozialismus wurde in Deutschland die breite Kultur kommunaler Gesundheitssicherung, wie sie sich in der Weimarer Republik entwickelt hatte, nachhaltig vernichtet. Dies galt für die gruppen- und gemeindeorientierte Gesundheitsfürsorge und -vorsorge als wissenschaftliche und praktische Disziplin der Medizin als auch für das Verständnis der - in heutiger Terminologie - Gesundheitsförderung als Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung. Die Kenntnis historischer Quellen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen ist für das Verstehen und die Bearbeitung heutiger Probleme und Gefahren von hohem Nutzen. Dies gilt insbesondere für das zentrale Thema des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD), nämlich für die Dialektik von Kontrolle und Fürsorge.

Die Entstehung und Wirkung des „Gesetzes über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens” vom 3.7.1934 und seiner Durchführungsverordnungen - im Rahmen der langfristigen Entwicklungslinien des staatlichen und kommunalen Gesundheitswesens wurde in den 80er-Jahren von einer Reihe von Medizinhistorikern (z. B. Labisch/Tennstedt) aufgearbeitet, auch einzelne großstädtische Gesundheitsdienste haben sich dieser bitteren Aufgabe gestellt. Diese Arbeiten belegen, dass die obrigkeitsstaatliche und schließlich nazistische Variante der Staatsmedizin, welche von den flächendeckend ab 1935 im Deutschen Reich eingerichteten Gesundheitsämtern abverlangt, teils von ihnen auch freiwillig bis messianisch realisiert wurde, den Ansatz von Gesundheitsaufsicht und Prävention in der Hand des Staates desavouierte und für lange Zeit die Erinnerung an kommunal organisierte Modelle qualifizierter Beratung und Behandlung benachteiligter Gesellschaftsgruppen ausschloss (Schmacke, 1996). Die Aufarbeitung würdigt nicht nur die unterdrückten und vertriebenen Gegner des nationalsozialistischen Systems, mit denen ein ganzheitlich definierter Ansatz von Gesundheitsschutz, Beratung und Betreuung auf lange Zeit verloren ging, sondern auch die unzählbaren Verstümmelten und Getöteten der nationalsozialistischen „Erb- und Rassenpflege”. Diese Staatsdoktrin bediente sich des formal legalen Instruments der staatlichen und auch kommunalen Gesundheitsämter.

Obwohl die kritische historische Aufarbeitung und deren Reflexion auf die Gegenwart keine Wiedergutmachung leisten kann, unterstützt der Bundesverband des öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht nur finanziell die Veröffentlichung von Dr. Johannes Donhauser. Er bekennt sich auch zu dessen Zielsetzung. „Deshalb ist es aus meiner Sicht die wichtigste Aufgabe für heute und für die Zukunft, sich intensiv mit diesen Leitgedanken auseinander zu setzen, welche die Basis für das Morden bildeten und zu prüfen, in welcher Kontinuität aktuelle Debatten stehen.”

Auch der Bundesverband und alle seine Mitglieder, die Ärztinnen und Ärzte an den Gesundheitsämtern in Deutschland, sehen sich in der Pflicht, heute die Entwicklungen genau zu beobachten und Ansätze zu erkennen, damit der ÖGD sich nie mehr zu einer Bürokratie entwickeln kann, die solche Verirrungen wie in der Zeit des Nationalsozialismus zulässt oder gar fördert. Somit ist diese Dokumentation Ansporn und Verpflichtung zugleich.

Der Bundesverband der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes wird die Verbreitung und Verteilung dieses wichtigen Sonderheftes der Zeitschrift DAS GESUNDHEITSWESEN unterstützen, indem er das Sonderheft allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Bundeskongresses, der vom 26. bis 28.4.2007 in Bad Lausick, Sachsen, stattfinden wird, kostenlos zur Verfügung stellen wird. Das Sonderheft wird den Teilnehmern zusammen mit den Kongressunterlagen überreicht.

Als Vorsitzender des BVÖGD bedanke ich mich im Namen aller Mitglieder des Bundesverbandes der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes bei Herrn Kollegen Dr. Johannes Donhauser aus Feldheim für sein langjähriges vielfältiges Engagement (Präsentationen, Ausstellungen, Publikationen) in der Aufarbeitung der Rolle der Amtsärzte und des öffentlichen Gesundheitsdienstes während der Zeit des Nationalsozialismus. Er leistet damit aus dem ÖGD heraus einen wesentlichen Beitrag auch für die gegenwärtige fachliche und gesellschaftspolitische Positionierung einer an sozialer Teilhabe interessierten und verpflichteten Öffentlichen Gesundheit. 

Dr. Klaus R. Walter Vorsitzender des Bundesverbandes der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes