Gesundheitswesen 2007; 69: S2
DOI: 10.1055/s-2007-962898
Grußwort

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erinnern!

G. F. Kerscher1
  • 1Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz
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Publication Date:
14 February 2007 (online)

Die vorliegende Publikation „Das Gesundheitsamt im Nationalsozialismus” stellt am Beispiel eines kleinen staatlichen Gesundheitsamtes in einem ländlich geprägten Landkreis Bayerns eine beachtliche Dokumentation zum dunkelsten Abschnitt der jüngeren deutschen Geschichte dar. Es ist das Verdienst von Johannes Donhauser, selbst Arzt am Gesundheitsamt dieses Landkreises, den Leserinnen und Lesern und gerade den Ärztinnen und Ärzten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes einen weiteren vertieften Einblick in dieses Kapitel zu ermöglichen.

Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz dankt daher Herrn Dr. Donhauser für sein Engagement und unterstützt diese Publikation im Interesse des Öffentlichen Gesundheitswesens.

Wir haben uns der grausamen Untaten, des millionenfachen Leids, des unglaublichen Unrechts und der Schuld stets bewusst zu sein. In der Medizin, besonders der Hygiene und Genetik, gab es frühe Strömungen, die den Boden bereitet hatten für den Irrweg im sogenannten Dritten Reich, für die Verblendung, für schließlich menschenverachtendes, mörderisches Handeln in einer pervers perfektionierten Organisation. Der Öffentliche Gesundheitsdienst Deutschlands wurde aber nicht nur von den politisch Verantwortlichen missbraucht, hat sich nicht nur gefügt. Angehörige dieses Dienstes wurden selbst Täter mit unmenschlicher Kälte und erschreckender Akribie.

Die heutige Ablehnung des - nationalsozialistischen - Paradigmas der „Volksgesundheit” und Vorbehalte gegenüber einer staatlich organisierten „Bevölkerungsmedizin” oder auch nur die Schwierigkeiten einer Übersetzung von Public Health als Öffentliche Gesundheit lassen sich aus unserer Geschichte heraus verstehen.

Der moderne Öffentliche Gesundheitsdienst in Deutschland knüpft an seine Wurzeln, an die Hygiene und Sozialmedizin vor allem des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts an. Er integriert zugleich, was unter dem Begriff von (New) Public Health international weiterentwickelt wurde und auch hierzulande seit nun etwa zwei Jahrzehnten wieder fortentwickelt wird: Gesundheitsförderung und Prävention mit dem Ziel der Chancengleichheit aller Bürgerinnen und Bürger für Gesundheit.

(New) Public Health und das Wirken eines Öffentlichen Gesundheitsdienstes sollten auch begleitet werden von einer öffentlichen kritischen Diskussion um Rechte und Pflichten des Einzelnen für seine Gesundheit, der Rolle der Solidargemeinschaft und des Staates und seiner Organe. Entscheidungen über die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger müssen transparent in demokratisch legitimierten Verfahren und Gremien fallen. Dies ist eine Verpflichtung aus der Geschichte heraus.

Politische Entscheidungen zur öffentlichen Gesundheit bedürfen unverzichtbar einer fachlichen, rechtlichen und ethischen Reflexion im Lichte grundlegender Werte des modernen Sozialstaats: Solidarität und Subsidiarität.

Auch die vorliegende Dokumentation kann nicht Wiedergutmachung leisten. Sie ist aber Aufforderung zu steter Wachsamkeit: principiis obsta!

Sie sollte weiterhin dauerhaft allen Ärztinnen und Ärzten gerade des Öffentlichen Gesundheitsdienstes Mahnung sein, sich stets nur leiten zu lassen vom uralten Grundsatz ärztlichen Handelns: nil nocere!

Prof. Dr. med. Günther F. Kerscher
Ministerialdirigent
Leiter der Abteilung Gesundheit
Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz
www.gesundheit.bayern.de

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