ZFA (Stuttgart) 2006; 82(7): 281
DOI: 10.1055/s-2006-942092
Editorial

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Zu spät, du rettest den „Freund” nicht mehr

M. M. Kochen1
  • 1Abt. Allgemeinmedizin der Georg-August-Universität Göttingen
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Publication Date:
17 July 2006 (online)

Vier Jahre sind es jetzt her, seit die Bundesärztekammer (BÄK) in Rostock eine Reform der Weiterbildungsordnung beschloss, in der ein gemeinsamer Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin empfohlen wurde. Ich kann mich gut erinnern, dass dieser Plan keineswegs von allen Allgemeinärztinnen und -ärzten begrüßt wurde. Ängste wurden laut, ob unser Fach im Rahmen der angestrebten „Vereinigung” nicht Teile seiner Identität preisgeben müsste.

Dennoch haben damals alle beteiligten Verbände ihre Bedenken zurückgestellt und für die Vernunft votiert: Argumente für die Existenz zweier Arten von Hausärzten existieren nur in den Köpfen mancher Berufspolitiker des Internistenverbandes; eine einheitliche Sortierung in Hausärzte und Spezialisten (wie sie das SGB V schon lange festgeschrieben hat) würde unseren Patienten und dem Gesundheitssystem zugute kommen.

Inzwischen haben zwar die17 Landesärztekammern den Beschluss umgesetzt und das Gebiet „Innere und Allgemeinmedizin” in ihre Weiterbildungsstruktur übernommen. Die Ärztekammern Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Thüringen haben aber daneben den Facharzt für „Allgemeine Innere Medizin” in ihren Novellen verankert (da alle anderen Kammern neben dem Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin lediglich acht Schwerpunktbezeichnungen vergeben, wird dies als 9. Säule bezeichnet). Die Beschlüsse der fünf Landesärztekammern haben zu Rückfragen der EU-Kommission geführt, die sicherstellen will, dass in- und ausländische Allgemeininternisten bundesweit tätig sein dürfen.

Die Bundesärztekammer hat bereits im Vorfeld des Magdeburger Ärztetages beschlossen, die Gespräche darüber zunächst auf der Arbeitsebene mit den zuständigen Fachgesellschaften und Berufsverbänden zu führen. Das Thema wird also erst im nächsten Jahr auf dem Ärztetag in Münster zurückkehren. Zeitgleich mit diesen Gesprächen erscheinen zunehmend häufiger prominent platzierte Publikationen, die für die Beibehaltung des Allgemeininternisten votieren - welcher Zufall!

Klar ist, dass der Allgemeininternist weniger als 50 % aller Beratungsanlässe abdeckt. Klar ist auch, dass Allgemeininternisten ohne weitere Qualifikationen erhebliche Probleme hätten, sich z. B. in zunehmend unterversorgten ländlichen Regionen zu behaupten, in denen chirurgische, pädiatrische und z. T. gynäkologische Fähigkeiten gefragt sind. Von den psychosozialen Fertigkeiten ganz zu schweigen.

Die entscheidende Frage aber ist, ob sich die verantwortlichen internistischen Berufspolitiker und ihre Verbündeten in den Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung, langfristig einen Gefallen getan haben. Bekanntlich erzeugt Druck Gegendruck, gerade wenn es um die Verhöhnung jeglicher Vernunft geht. Es mehren sich nun die Stimmen unter Mandatsträgern der Allgemeinmedizin, die einer Revision der gemeinsamen Weiterbildung und einem Rückzug ins eigenen Fachgebiet das Wort reden.

Darüber hinaus könnte die konsequente Schaffung eigener hausärztlicher Gremien die Idee einer gemeinsam agierenden Ärzteschaft zunehmend als Wunschtraum erscheinen lassen. Sollten die vermeintlichen Freunde später einmal um „ärztliche Solidarität” in eigener Sache bitten, dürfte ihre nachträgliche Rettung definitiv zu spät kommen.

Herzlich
Ihr Michael M. Kochen

Prof. Dr. med. M. M. Kochen, MPH, FRCGP

Abt. Allgemeinmedizin · Georg-August-Universität

Humboldtallee 38

37073 Göttingen

Email: mkochen@gwdg.de

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