psychoneuro 2006; 32(5): 232-233
DOI: 10.1055/s-2006-941696
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Alzheimer Demenz - Langzeitbeobachtung mit Galantamin unter Praxisbedingungen

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Publication Date:
01 June 2006 (online)

 
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Alzheimer Demenz ist eine Erkrankung, die besonders im höheren Lebensalter auftritt. Die Prävalenz für eine Demenzsymptomatik bei den über 65-Jährigen liegt bei etwa 5%, bei den 80-Jährigen sind bereits 20-25% betroffen, bei den 90-Jährigen über 30%. Derzeit leben zirka 1,2 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung schätzt man, dass bis zum Jahr 2050 die 2,5-Millionengrenze überschritten sein wird, dabei werden die Hochbetagten den größten Anteil ausmachen. Die Demenz ist eine häufige Ursache für Heimeinweisungen, darüber hinaus verursacht sie eine zunehmende gesundheitliche und materielle Belastung der Angehörigen, wobei die Schwerststadien die höchsten volkswirtschaftlichen Gesamtkosten verursachen.

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Unproblematische Erkrankung für die Krankenkassen

Volkskrankheiten können teuer sein. Die Perspektive, aus der man dies betrachtet, wird häufig auf den Anteil der Krankenkassen eingeengt. "Dabei sind Demenzerkrankungen für Krankenkassen mit Blick auf die Arzneimittelausgaben kein Problem", demonstrierte Dr. Johannes Hallauer aus Berlin, "aus diesem Grund gibt es auch keine Disease-Management-Programme und nur wenige Ansätze der integrierten Versorgung (Abb. [1])." Die Krankenkassen wenden pro Patient und Jahr zirka 1100 Euro auf und sind somit in der Gesamtkostenrechnung mit nur 3% vertreten. Mit einem weitaus höheren Anteil von 30% stehen bei der Demenz die finanziellen Aufwendungen für die stationäre und teilstationäre Versorgung im Vordergrund. Je nach Pflegeklasse betragen die monatlichen Kosten für eine vollstationäre Pflege zwischen 2110 und 2821 Euro. Davon übernimmt die Pflegeversicherung lediglich zwischen 1023 und 1432 Euro. Die Differenz müssen die Betroffenen selbst tragen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht muss man zudem die Zeiten dazuzählen, die für die Betreuung und Versorgung der Demenzpatienten durch die Gesellschaft aufgewandt werden. Etwa 65% der Pflegebedürftigen werden nämlich zuhause versorgt. "In der Regel sind das die Familien, Ehepartner und Töchter, die diese Pflegeleistungen erbringen", betonte Hallauer. Demnach darf man einen Demenz-Patienten auch nie gesondert betrachten. So ergab eine Studie (AENEAS-Studie, 2004), dass zirka zwei Drittel der pflegenden Angehörigen unter Depressionen leiden.

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Im Vergleich zu anderen "Volkskrankheiten" tragen die Pflegeheime bei dementen Patienten en weitaus größten Kostenanteil

Eine andere Dimension sind die Kosten für die medikamentöse Behandlung von Demenz-Patienten: Obwohl ältere Menschen meist mehrere Medikamente einnehmen, "beträgt der Anteil der Antidementiva am Verordnungsvolumen von 80-90-Jährigen nur 1%", sagte Hallauer. "Und davon fallen nur ein Fünftel der so genannten Antidementiva in den Bereich der evidenzbasiert wirksamen Präparate", bemängelte er. Auffällig sei, dass Präparate, deren Wirkung nicht nachgewiesen ist, dennoch in der Verordnungspraxis verbleiben. Dabei könnte der Einsatz von wirkungsvollen Präparaten die pflegenden Angehörigen beziehungsweise das Pflegepersonal zirka eine Stunde am Tag entlasten, gab Hallauer zu bedenken ([1]).

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Bessere Lebensqualität für Patienten und Pflegende

In einer Reihe von Untersuchungen haben sich Acetylcholinesterase-(AChE-)Hemmer als gut verträglich und wirksam in der symptomatischen Therapie leichter bis mittelschwerer Alzheimer Demenz erwiesen ([2]) und erfüllen damit die Kriterien der Evidence basierten Medizin. Auch nationale und internationale Fachgesellschaften, zum Beispiel die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und aktuell das National Institute for Clinical Excellence (NICE), bewerten diese Präparate positiv und empfehlen ihren Einsatz. Im Unterschied zu anderen Substanzen besitzt Galantamin[1] einen dualen Wirkmechanismus. Das heißt, es hemmt die Acetylcholinesterase und damit auch den Abbau des Neurotransmitters Acetylcholin. Darüber hinaus verbessert es die nikotinerge Neurotransmission, indem es allosterisch die Nikotinrezeptoren moduliert und damit die Empfindlichkeit für den natürlichen Transmitter erhöht. In kontrollierten klinischen Studien konnte Galantamin die kognitive Leistungsfähigkeit und die Alltagskompetenz der Patienten wirksam verbessern ([2]). "Durch die konsequente Behandlung kann eine deutlich geringere Funktionsverschlechterung erwirkt werden als bei unbehandelten oder insuffizient behandelten Patienten", betonte PD Dr. Pasquale Calabrese aus Bochum. Das Therapieziel ist, den Krankheitsverlauf zu verzögern und abzumildern. Damit steigt die Lebensqualität des Patienten und auch der Angehörigen, indem sich die Pflegelast ("caregiver burden") reduziert ([1]). Dadurch, dass der Arzt den Patienten nur unregelmäßig sieht, kann er diesen positiven Effekt allerdings nicht unbedingt sehen. Laut Calabrese muss er sich daher auf die objekive Studienlage rekurrieren und stadien- beziehungsweise situationsadäquate Veränderungsparameter betrachten. "Dabei gilt es, ein mehrdimensionales Symptomspektrum, das "A-B-C-D der Demenz" zu behandeln" folgerte er (Abb. [2]).

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In einer Studie von Raskind M et al. an über 500 Patienten kam es nach sechs Monaten zu einer erheblichen Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit im Vergleich zu Plazebo ([3]). Gemessen wurde mit dem so genannten ADAS-cog, einer klassischen Skala, die die kognitiven Leistungsaspekte der Patienten misst. Auffällig war der rasche Wirkeintritt von Galantamin: bereits nach der vierten Woche zeigten sich deutliche Unterschiede. "Interessant ist, dass dieser Unterschied anhält", bemerkte Calabrese, "die Kognition konnte über ein Jahr stabilisiert werden." Weitere nicht-kognitive Symptome, das heißt Verhaltensstörungen wie Aggressivität, Umtriebigkeit und Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus, nahmen während der Behandlung nicht zu. Nach der sechsmonatigen Therapie waren Patienten, die Galantamin in der 24 mg-Dosierung oder in der 16 mg-Dosierung erhielten, in einem erheblich besseren Zustand als die Patienten unter Plazebo. Auch die Alltagskompetenz konnte sich bei den Patienten in der Galantamin-Gruppe über ein Jahr stabilisieren. Zudem war der Einfluss auf die pflegenden Angehörigen beachtlich: durchschnittlich benötigte ein Patient unter Galantamin-Therapie rund 40 Minuten weniger Supervision täglich als ein Patient unter Plazebo.

In einer retrospektiven Follow-up-Studie von drei Zulassungsstudien wirkte sich Galantamin so positiv auf die Alzheimer-Symptomatik aus, dass die Einweisung in ein Pflegeheim über Monate bis Jahre hinausgezögert werden konnte (Abb. [3]) ([4]). Jedes zusätzliche Jahr Galantamin-Therapie reduzierte das relative Risiko einer permanenten Heimeinweisung um 27%. Dabei erfasste die Studie Daten von 596 Demenz-Patienten, die unterschiedlich lange mit dem AChE-Hemmer behandelt worden waren.

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Je länger die Patienten mit dem Acetylcholinesterase-Hemmer behandelt wurden, desto später erfolgte die Einweisung in ein Pflegeheim

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Reminder: Therapie unter naturalistischen Bedingungen

Calabrese betonte, dass unter doppel-blinden, randomisierten, kontrollierten und plazebokontrollierten Studienbedingungen eine Präselektion von Patienten mit gutem Allgemeinzustand, wenig Komedikation und hoher Compliance unter optimalem Monitoring erfolge. Dagegen herrsche unter Praxisbedingungen keine Vorselektion und hohe Komorbidität mit entsprechender Komedikation. Die Arztkontakte seien seltener und die Compliance geringer. Kontrollierte klinische Studien sind für die Zulassung eines Medikamentes von entscheidender Bedeutung. Ob solche Studiendaten auf die Praxisrealität übertragbar sind, soll "Reminder" klären, eine naturalistische Studie, die im Februar 2006 begann und voraussichtlich im Februar 2008 beendet sein soll. "Ziel der Studie ist die Dokumentation patientenrelevanter Endpunkte bei Patienten mit Alzheimer-Demenz", berichtete Dr. Frank Bergmann aus Aachen. In der prospektiven, multizentrischen, parallelen Anwendungsbeobachtung sind 2000 Patienten in 500 Praxen von Neurologen, Internisten sowie Allgemeinärzten und praktischen Ärzten erfasst. Die Behandlung erfolgt über 12 Monate mit Galantamin (n = 1500) oder Nootropika wie Piracetam oder Ginkgo (n = 500), je nach individueller Therapieentscheidung des jeweiligen Arztes. Von jedem Patienten werden Vitalparameter erfasst, zudem das Krankheitsstadium (GDS = Global Deterioration Scale/FAST = Functional Assessment Staging), die kognitive Funktionsfähigkeit (MMST = Mini-Mental-Status-Test), die Demenz-Medikation sowie Begleitmedikationen und unerwünschte Ereignisse. Daneben werden Demenz-assoziierte Symptome, Zeitpunkt einer Heimeinweisung, Belastung der pflegenden Person sowie die Pflegezeit dokumentiert. Ein externes Institut (Clinical Research Organisation) erfasst die Daten online, was ein zeitsparendes Handling und automatisierte Abläufe ermöglicht. Durch elektronische Dokumentationsbögen, automatische Plausibilitätsprüfungen und Online-Schulungen zur Erfassung unerwünschter Ereignisse wird die Qualität erhöht. Zudem werden die anonymisierten Daten durch ein Monitoring überprüft. "Das ist ein neuer intelligenter Ansatz, die Qualität von Anwendungsbeobachtungen zu erhöhen und die Verträglichkeit eines Medikamentes nach Zulassung zu dokumentieren", freute sich Bergmann, "auch die Verbindung mit der Pflegestufe wurde bisher noch nicht untersucht".

ts

Quelle: Pressekonferenz "Reminder: Langzeittherapie der Demenz unter naturalistischen Bedingungen", April 2006 in Wiesbaden. Veranstalter: Janssen Cilag GmbH, Neuss.

Bei Fragen oder Teilnahmewünschen können sich Ärzte und Ärztinnen telefonisch unter 0641/43178857 oder per Email über Email: info@alcedis.de, Stichwort "Reminder", melden.

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Literatur

  • 02 Sano M . et al . The effects of galantamine treatment in caregiver time in alzheimer disease.  Int J Geriatr Psychiatr. 2003;  10 945-950
  • 03 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Demenz. 3. Aufl. 2004. 
  • 04 Raskind M . et al . Neuroloy. 2000;  54 2261-2268
  • 05 Feldmann H et al. Poster zum 8th European Federation of Neurological Societies, Paris, Sept. 2004. 

01 Reminyl® 1xtäglich, Janssen Cilag

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Literatur

  • 02 Sano M . et al . The effects of galantamine treatment in caregiver time in alzheimer disease.  Int J Geriatr Psychiatr. 2003;  10 945-950
  • 03 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Demenz. 3. Aufl. 2004. 
  • 04 Raskind M . et al . Neuroloy. 2000;  54 2261-2268
  • 05 Feldmann H et al. Poster zum 8th European Federation of Neurological Societies, Paris, Sept. 2004. 

01 Reminyl® 1xtäglich, Janssen Cilag

 
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Im Vergleich zu anderen "Volkskrankheiten" tragen die Pflegeheime bei dementen Patienten en weitaus größten Kostenanteil

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Je länger die Patienten mit dem Acetylcholinesterase-Hemmer behandelt wurden, desto später erfolgte die Einweisung in ein Pflegeheim