Gesundheitswesen 2006; 68(6): 337-346
DOI: 10.1055/s-2006-926892
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Werden die Sprachleistungen unserer Kinder immer schwächer? Beobachtungen an sechs Einschulungsjahrgängen in Münster

Are the language skills of our children declining? Results based on the examinations at school enrollment of the years 1999 to 2004 in MünsterH. Schöler1 , J. Guggenmos2 , A. Iseke2
  • 1Pädagogische Hochschule Heidelberg
  • 2Gesundheitsamt der Stadt Münster
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Publication History

Publication Date:
07 July 2006 (online)

Zusammenfassung

Die Einschulungsuntersuchungen der Jahre 1999 bis 2004 in Münster wurden vergleichend analysiert, um zur Klärung der Frage beizutragen, ob sich die sprachliche Leistungsfähigkeit der Kinder am Schulbeginn in den letzten Jahren deutlich vermindert hat, wie dies seit längerem öffentlich diskutiert wird. Darüber hinaus sollten mögliche Einflussfaktoren, insbesondere das Sozialmilieu, in ihrer Wirkung auf die sprachlichen Leistungen untersucht werden. Die Ergebnisse zeigen, dass sich das Leistungsniveau der Kinder in dem Beobachtungszeitraum von sechs Jahren nicht vermindert hat, sondern man allenfalls eine Leistungserhöhung über diese Zeit feststellen kann. Eine Erklärung dafür, dass immer mehr und deutlichere Sprachdefizite wahrgenommen werden, liegt möglicherweise in den Einschätzungen der Therapie- und Förderbedürftigkeit der Kinder: Das Leistungsniveau der Kinder, bei denen 2004 eine Förderung oder eine Therapie empfohlen wurde, ist deutlich höher als das Leistungsniveau der Kinder, bei denen im Jahre 1999 oder 2000 eine solche Empfehlung gegeben wurde. Man könnte hier eine Sensibilisierung für solche Leistungsbereiche, bei denen Minderleistungen postuliert werden, und nachfolgend eine differenziertere Bewertung der diagnostischen Befunde vermuten. Die Ergebnisse der Untersuchungen bestätigen einmal mehr den enormen Einfluss sozialer Faktoren auf die sprachlichen Leistungen. Kinder, die in einem sozial schwächeren Milieu aufwachsen, erbringen bei den sprachlichen Aufgaben deutlich schwächere Leistungen als Kinder mit höherem Sozialstatus. Als relevant für die sprachliche Leistungsfähigkeit erweist sich auch die Dauer des Kindergartenbesuchs: Kinder, die Einrichtungen des Elementarbereichs drei und mehr Jahre besuchen, zeigen bessere Leistungen als Kinder, die keine oder nur kürzere Zeit in einer solchen Einrichtung verbringen. Vor dem Hintergrund, dass etwa ein Viertel der Kinder mit Migrationshintergrund (etwa 8 % einer Jahrgangspopulation in Münster) unzureichende Deutschkenntnisse bei Schulbeginn aufweist, scheint hier eine gute Präventionsmaßnahme gegeben zu sein.

Abstract

The physical examinations at school enrolment of the years 1999 to 2004 were subjected to comparative analysis to help clarify whether children’s language performance at enrolment has significantly decreased in recent years or not. This question has indeed been a matter of public debate for some time. Furthermore, potential influencing factors, in particular social environment, were to be examined as regards their effects on language performance. The results indicate that the children’s performance level has not significantly decreased over the six-year period of observation. Instead, rather an increase can be observed over this period of time. If, nevertheless, more and more and, in particular, more significant language deficits continue to be observed, one explanation for this may be seen in a changing assessment of children’s needs for therapy or remedial education. The performance level of children who were recommended therapy or means of remedial education in 2004 is significantly higher than that of children for whom such recommendations were given in 1999 or 2000. Perhaps an increased sensitivity for those performance areas where performance levels are found to be deficient should be postulated, and, consequently, a more differentiated assessment of diagnostic findings should be assumed. The results of the examinations once again demonstrate the enormous influence that social factors have on language performance. Children growing up in a less advantaged social environment tend to achieve significantly lower performance marks in language tests than children from more privileged social environments. Also the duration of kindergarten education appears to be relevant to children’s language performance: children who have visited institutions of preschool-education for three or more years achieve higher performance marks than children who have spent no ore only little time in these institutions. When seen against the background of circa one in four children with a migration background (around 8 % of persons of the same age in Münster’s population) having unsatisfactory knowledge of German at school enrolment, there appear to be efficient prevention measures available here.

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Prof. Dr. Hermann Schöler

Abt. Psychologie in sonderpädagogischen Handlungsfeldern, Institut für Sonderpädagogik

Keplerstr. 87

69120 Heidelberg

Email: K40@IX.urz.uni-heidelberg.de

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