Psychiatr Prax 2005; 32(4): 209-210
DOI: 10.1055/s-2005-869452
Fortbildung und Diskussion
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Publication Date:
09 May 2005 (online)

 

Marcia Angell war seit 1979 bis zum Jahr 2002 in verschiedenen Funktionen Mitherausgeberin des New England Journal of Medicine (NEJM) [[1]]. Sie hat in ihrem im August 2004 erschienenen Buch die Geschäftspraktiken von "Big Pharma" [[2]] und die fast allumfassende Korrumpierung medizinischen Handelns, im Besonderen die von Forschungsprozessen und deren Publikation, scharf kritisiert.

Ein gutes Beispiel für die Problematik bietet für das psychiatrische Fachgebiet die in den USA geführte Diskussion um die Verordnung von Zyprexa (Lilly9s "top-seller and the six-biggest-selling drug in the world") im Rahmen von staatlichen Medicaid-Programmen [[3]]. Die Kosten für Tagesdosen von Zyprexa lagen 2002 in den USA bei etwa 10 $ und waren damit ungefähr doppelt so hoch wie die vergleichbarer Medikamente wie Risperdal oder Seroquel [[4]]. Ein Hearing in Kentucky kam zu dem Ergebnis, dass neue Medicaid-Patienten zuerst mit anderen Medikamenten (auch Atypica!) behandelt werden sollten, bevor sie auf Zyprexa wechseln konnten. Der Anteil von Zyprexa an den Antipsychotikakosten in Kentucky (2002: 80 Mill. Dollar) fiel daraufhin innerhalb eines Jahres von 41 auf 28%. Die Kosten für Antipsychotika insgesamt stiegen allerdings um 19%, u.a. deshalb weil der "Off-Label"-Gebrauch dieser Medikamente drastisch zunahm.

M. Angell bestreitet in ihrem Buch, dass die hohen Kosten der Medikamente mit Forschungs- und Entwicklungskosten (research and development = R D) legitimiert werden können: "Big pharma likes to refer to itself as a "research-based industry", but it is hardly that. It could be best described as an idea-licensing, pharmaceutical formulating, clinical testing, patenting and marketing industry" (M. A., S. 73). Wirklich neue und innovative Medikamente, die zu einem Drittel Erfindungen an Universitäten und in kleinen Biotech-Firmen sind, machten ohnehin nur einen geringen Teil des Geschäfts der Pharmafirmen aus (im Jahr 2002 14% der neu von der FDA zugelassenen Medikamente). Die Mehrzahl neuer Medikamente ist gegenüber vorhandenen Substanzen nur geringfügig verändert ("Me-Too-Drugs"). Ihre Effektivität muss zur Zulassung nur gegenüber einem Plazebo nachgewiesen werden. "They do not have to show, that they are more effective than (or even as effective as) what is already being used for the same condition. They just have to show that they are better than nothing" (M. A., S. 75). In diesem Konstruktionsfehler sieht M. Angell den wesentlichen Schlüssel zum Verständnis der modernen Pharmaindustrie: "...it has enabled the industry to transform itself into a giant me-too business" (S. 76).

Angell beschreibt in ihrem Buch in vielen Details die daraus folgenden verschiedenen Strategien zur Beeinflussung des Marktes und die des "Big Target-Doctors". Zwei Beispiele seien hier herausgegriffen: Am Beispiel des "Neurontin-Case" wird die Methode, für eine Substanz einen "Off-Label-Use" durch eine "Publications Strategy" zu etablieren geschildert: Sponsern von "Minimal-Forschung" (schlechtes Design, kleine Stichproben, etc.), Vorbereitung von Zeitschriftenartikeln, Einkauf von Forschern, um deren Namen unter die Artikel zu schreiben, Sponsern von Konferenzen, auf denen die "Autoren" Erfolge propagieren, etc.. Im Falle des Neurontin war diese Strategie erfolgreich: 2,7 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr 2003 bei einem "Off-Label"-Anteil von 80%. Es wirkte sich etwas Gewinn reduzierend aus, dass Pfizer sich bereit fand, 430 Millionen Dollar im Rahmen eines Gerichtsverfahren wegen illegalen Marketings zu zahlen, das durch die Mitteilungen eines ehemaligen Angestellten zustande gekommen war [[5]]. In einen ähnlichen Kontext von "Marketing Masquerading as Research" (Angell) gehören als Variante von Phase-IV-Studien viele so genannte "Anwendungsstudien": Ärzte werden dafür bezahlt, Patienten mit bestimmten Medikamenten zu behandeln und einen Minimalsatz von Fragen zu beantworten. Kontrollgruppen oder gar Randomisierung existieren meist nicht und so ist es in der Regel auch nicht möglich, irgendwelche validen Schlussfolgerungen zu ziehen [[6]].

Für Marcia Angell war die Publikation eines Artikels im NEJM über die Kombination zwischen Pharmakotherapie und Verhaltenstherapie bei chronischen Depressionen [[7]] offenbar eine Art Markstein. Es war eine eigene Website nötig, um alle "Conflict-of-Interest-Disclosures" (finanzielle Verbindungen zur Pharmaindustrie) der Autoren darzustellen. So schrieb M. Angell im selben Heft ein Editorial mit dem Titel "Is Academic Medicine for Sale?" [[8]], in dem manche Thesen des späteren Buches vorweg genommen sind. Sie erhielt in einem Leserbrief einige Wochen später eine Antwort: "Is academic medicine for sale? No. The current owner is very happy with it" [[9]].

Angell M. The Truth about the Drug Companies: How They Deceive Us and What to Do about It. New York: Random House, 2004, 305 Seiten, € 21,-

Anmerkungen

01 Das New England Journal of Medicine rangiert in der Rangliste der "Top 100"-Journals mit einem Impact-Faktor von 34,5 im Jahr 2003 auf dem fünften Platz. (Lancet: 18,3 auf Platz 28, Archives of General Psychiatry: 10,5 auf Platz 78)

02 "The collective name for the largest drug companies". Firmen mit einer Pharma Revenue (Erlös) von mehr 10 Milliarden Dollar waren im Jahr 2003 (39,6 - 11,8 Milliarden): Pfizer, GlaxoSmithCline, Merck, Johnson Johnson, Aventis, Astra Zeneca, Novartis, Bristol-Myers Squibb, Roche, Lilly, Wyeth (Quelle: www.contractpharma.com/2004topcos.htm).

03 Gardiner Harris. Drug Maker Resist State Efforts to Cut Medicaid Expenses. New York Times 2003, December 18: C7

04 Nach deutschen Preisen im Dezember 2004 kosteten 15mg Zyprexa: 8,96 € , 4mg Risperdal: 4,64 € , 600mg Seroquel: 7,95 €.

05 Gardiner Harris. Pfizer to Pay $ 430 Million over Promoting Drug to Doctors. New York Times, May 14, 2004: C1

06 Man kann in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse der auch in Deutschland aktuell durchgeführte LASER-"Studie" von Janssen-Cilag gespannt sein, speziell darauf, welche Schlussfolgerungen aus der unkontrollierten (und inkl. Dokumentation mit 120 €honorierten) Umsetzung von Patienten auf Risperdal-Consta (Dokumentation über 2 Jahre: 570 €) gezogen werden. Es wird kritisch zu diskutieren sein, ob dadurch - wie im LASER-Begleitheft angekündigt - "durch ihre Teilnahme...ein wesentlicher Beitrag zu klinisch relevanter Forschung" geleistet werden kann.

07 Keller MB, McCullough JP, Klein DN et al. A Comparison of Nefazodone, the Cognitive Behavioral-Analysis System of Psychotherapy, and Their Combination for the Treatment of Chronic Depression. N Engl J Med 2000; 342: 1462-1470

08 Angell M. Is Academic Medicine for Sale? N Engl J Med 2000; 342: 1516-1518

09 Ruane TJ. Letter. N Engl J Med 2000; 343: 510