psychoneuro 2005; 31(2): 73-74
DOI: 10.1055/s-2005-865037
Im Gespräch

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Interview mit Prof. Thomas Pollmächer, Ingolstadt - Schmerz und Depression gehen Hand in Hand

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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. Thomas Pollmächer

Chefarzt Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum Ingolstadt

Krumenauerstraße 25

85021 Ingolstadt

eMail: Thomas.Pollmaecher@klinikum-ingolstadt.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. März 2005 (online)

 
Inhaltsübersicht
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    Prof. Thomas Pollmächer

    Zwischen Schmerz und Depression besteht eine enge Beziehung. Schmerzpatienten entwickeln häufig depressive Symptome. Umgekehrt klagen Patienten mit Depression häufig über körperliche Beschwerden, insbesondere Schmerzen. Über diese Zusammenhänge und den Konsequenzen, die sich daraus für die Therapie ergeben, sprachen wir mit Prof. Dr. med. Thomas Pollmächer, Ingolstadt.

    Wie häufig entwickeln Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen Depressionen? Bei welchen Schmerzsyndromen kommt dies besonders häufig vor?

    Die in der Literatur angegebenen Zahlen schwanken zwischen 30 und 70 Prozent. Realistisch betrachtet ist davon auszugehen, dass ein Drittel bis die Hälfte aller Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen auch gleichzeitig an einer Depression leidet. Bevorzugt sind Patienten betroffen, die unter muskuloskelettalen Schmerzsyndromen leiden.

    Welche Risikofaktoren machen eine depressive Entwicklung bei Schmerzpatienten besonders wahrscheinlich?

    Die Erfahrung zeigt, dass solche Schmerzpatienten für eine depressive Entwicklung besonders anfällig sind, die schon in der Vorgeschichte entweder ein depressives Syndrom oder eine Angsterkrankung hatten. Außerdem stellen das weibliche Geschlecht und ein Lebensalter über 50 Jahre Risikofaktoren für eine depressive Entwicklung dar.

    Welche neurobiologischen Zusammenhänge erklären, dass Schmerzpatienten so häufig depressiv werden?

    Zunächst einmal sind depressive Syndrome bei allen Menschen mit schweren somatischen Erkrankungen häufiger als bei somatisch Gesunden. Ein spezifischer neurobiologischer Zusammenhang ist dadurch gegeben, dass die Schmerzverarbeitung zum Teil in denselben Hirnstrukturen stattfindet, wie die Verarbeitung von Emotionen. Dabei erfährt Schmerz auch eine emotionale Bewertung, die getrennt von der Lokalisation repräsentiert wird. Darüber hinaus sind Neurotransmitter, deren Mangel in der Neurobiologie der Depression eine zentrale Rolle spielt, insbesondere Serotonin und Noradrenalin, auch als Transmitter in den deszendierenden schmerzhemmenden Bahnen des Rückenmarks aktiv. Ein Mangel an Serotonin oder Noradrenalin führt dazu, dass die schmerzhemmende Wirkung dieser Bahnen eingeschränkt ist.

    Auf der einen Seite leiden Schmerzpatienten häufig unter Depressionen. Aber auch Patienten mit Depressionen klagen über Schmerzen. Wie häufig kommt dies vor?

    Patienten mit Depressionen klagen tatsächlich häufig über verschiedenste Schmerzen diffuser Lokalisation, ohne dass klar somatisch zuzuordnende Schmerzsyndrome vorliegen. Dies kommt bei etwa 20-25% der Patienten mit Depression vor, bei manchen in solch erheblichem Umfang, dass zunächst überhaupt nicht an eine Depression gedacht wird. Ein großer Teil der Patienten mit einer Depression sucht den Arzt wegen einer Schmerzsymptomatik auf. Neben muskuloskelettalen Schmerzen sind vor allem abdominelle Schmerzen hier von besonderer Bedeutung.

    Lässt sich dieser umgekehrte Zusammenhang mit denselben neurobiologischen Mechanismen erklären?

    Ja, die Verknüpfung von Schmerz und Depression ist sowohl in ihren morphologischen als auch in ihren biochemischen Mechanismen wechselseitig.

    Woran erkannt man, ob der Schmerz oder die Depression das primäre ist?

    Diese Frage ist häufig außerordentlich schwer zu beantworten. Die Klärung der primären Erkrankung erfordert zum einen eine komplette Anamnese der zeitlichen Zusammenhänge, also der Frage, welche Symptomatik zuerst aufgetreten ist, und zum anderen oft auch den Versuch, zunächst an einem der beiden möglichen Systeme therapeutisch anzusetzen.

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    Wird in der Diagnostik von chronischen Schmerzpatienten Depression routinemäßig erfasst oder sollte dies geschehen? Mit welchen Instrumenten?

    Nein, auf breiter Front wird bei chronischenSchmerzpatienten keine Diagnostik einer möglichen Depression durchgeführt. Die Häufigkeit eines gemeinsamen Auftretens macht dies allerdings für die Zukunft sehr wünschenswert. Denn das Übersehen einer Depression bei einem Patienten mit chronischen Schmerzen wirkt sich erheblich negativ auf den Verlauf und die Dauer der Erkrankung aus. Der beste Weg einer Depressionsdiagnostik ist immer eine ausführliche psychiatrische Untersuchung. Screening-Instrumente, wie z.B. Selbstbeurteilungsfragebögen, können allerdings eine erste Orientierung bieten, z.B. kann das Beck'sche Depressions-Inventar hier durchaus Anwendung finden.

    Welche Konsequenzen hat eine komorbide Depression auf den Erfolg einer Schmerztherapie?

    Diese Frage ist zum Teil schon mit der vorherigen beantwortet. Eine behandlungsbedürftige depressive Störung hat erheblichen negativen Einfluss auf den Erfolg einer Schmerztherapie, weil bei einem depressiven Patienten die emotionale Schmerzverarbeitung neben den peripheren neurobiologischen Mechanismen der Schmerzentstehung eine ganz entscheidende Rolle spielt.

    Kann man erwarten, dass eine suffiziente analgetische Therapie auch das Problem der Depression löst?

    Eine suffiziente analgetische Therapie ist in der Lage, eine begleitende leichtgradige Depression verschwinden zu lassen. Besteht allerdings eine behandlungswürdige Depression im Sinne einer Major-Depression, so ist in fast allen Fällen eine zusätzliche spezifische pharmakologische und oft psychotherapeutische Therapie nötig.

    Wie sollte therapeutisch vorgegangen werden bei Schmerzpatienten mit komorbider Depression?

    Bei Schmerzpatienten mit komorbider Depression ist zusätzlich zur klassischen Therapie des Schmerzes eine intensive Therapie der affektiven Störung indiziert. Hierbei gibt es prinzipiell keine Unterschiede zu einer Depression, die ohne ein gleichzeitig vorhandenes Schmerzsyndrom auftritt. Gerade in verhaltenstherapeutischer Hinsicht empfehlen sich die gleichen Methoden, insbesondere kognitiv-verhaltensmedizinischer Art. Im Bereich der Psychopharmakologie depressiver Störung bei Schmerzpatienten gibt es allerdings bestimmte Medikamente, von denen besonders positive Effekte zu erwarten sind. Zu diesen zählen vor allem sedierende Antidepressiva, von den trizyklischen Antidepressiva Amitriptylin und Mirtazapin. Aber auch selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer oder kombinierte Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer können durchaus indiziert sein.

    Was lässt sich mit Verhaltens- oder Psychotherapie erreichen?

    Eine verhaltensmedizinisch orientierte Psychotherapie hat einen ganz zentralen Platz im Rahmen eines integrativen Therapiekonzeptes. Isoliert durchgeführt ist sie vor allem bei leichtgradig depressiven Syndromen hilfreich und Erfolg versprechend, in Kombination mit psychopharmakologischen Strategien bei mittelschweren bis schweren depressiven Syndromen.

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    Prof. Dr. med. Thomas Pollmächer

    Chefarzt Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum Ingolstadt

    Krumenauerstraße 25

    85021 Ingolstadt

    eMail: Thomas.Pollmaecher@klinikum-ingolstadt.de

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    Chefarzt Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum Ingolstadt

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