Rofo 2004; 176(12): 1719-1722
DOI: 10.1055/s-2005-861691
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Die Kniegelenke des Mannes aus dem Eis

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Publication Date:
12 January 2005 (online)

 

Im Auftrag des Südtiroler Archäologiemuseums wurden im Krankenhaus Bozen an einer Gletschermumie, weltweit unter dem Namen "Der Mann aus dem Eis" oder "Ötzi" bekannt, eine Reihe von Röntgenuntersuchungen durchgeführt. Obwohl bis jetzt weder am Skelett noch an den Weichteilen Veränderungen gefunden wurden, die eindeutig auf eine Krankheit des Mannes zum Zeitpunkt des Todes hinweisen, kamen einige bemerkenswerte Befunde zum Vorschein, die schwer zu beurteilen sind und deshalb einem paläoradiologisch interessierten Leserkreis vorgestellt werden sollten. An allen großen Gelenken, und zum Teil auch an den kleinen, finden sich dieselben Veränderungen, wenn auch in sehr verschiedenem Ausmaß. Für diese Mitteilung wurden die Kniegelenke stellvertretend für die übrigen Skelettabschnitte gewählt.

Abb. 1: Beide Kniegelenke: verwaschene Struktur mit leicht fleckig vermehrter Transparenz der Gelenkkörper. Links Fremdkörper in den Weichteilen (Pfeil).

Größe und Konfiguration der Gelenkkörper sind auf der traditionellen Röntgenaufnahme unauffällig, ihre Struktur erscheint leicht verwaschen mit etwas verminderter Strahlentransparenz. Die Computertomographie zeigt jedoch im Bereich der Spongiosa beiderseits asymmetrische Areale mit deutlich verminderter Dichte. Diese Zonen sind fleckförmig, inhomogen und verschieden groß. Sie weisen eine unregelmäßige und unscharfe Begrenzung auf, sind zum Teil exzentrisch gelegen und reichen an einigen Stellen bis an die Kortikalis und in die Markhöhle. In diesen hypodensen Arealen sind die Knochenbälkchen unscharf und teilweise zerstört. Die Dichtewerte liegen zwischen 0 und -536 Hounsfield-Einheiten (HE). An der noch gut erhaltenen Kortikalis von Femur und Tibia werden Werte zwischen +1043 und +1168 HE gemessen. Wo die hypodensen Flecken an sie heranreichen, ist sie unregelmäßig verdünnt, verwaschen und teilweise völlig aufgelöst. An mehreren Stellen finden sich Haarrisse mit kleinen Frakturfragmenten. Bei diesen großen, hypodensen Arealen handelt es sich wohl um postmortal aufgetretene Veränderungen. Eine der Ursachen kann sein, dass im Rahmen der Mumifizierung und des wiederholten Auftauens der Mumie Flüssigkeit durch Knochenfissuren ausgetreten und Luft an ihre Stelle eingetreten ist. Wahrscheinlicher ist es, dass sich die gasförmigen Substanzen zum größten Teil im Knochenmark selbst beim Zersetzungsprozess der Leiche gebildet haben. Ähnliche Herde wurden nämlich auch in den parenchymatösen Organen wie Leber und Hirn gefunden. Es stellt sich die Frage, ob Mikroorganismen dabei beteiligt sind, und wenn ja, welche und in welchem Ausmaß. Eine klare Antwort auf diese Frage wäre für die Konservierung der kostbaren Mumie von Bedeutung. Um ihre Integrität jedoch nicht zu beeinträchtigen, wird von invasiven Untersuchungsmethoden, wie etwa einer Gewebeentnahme, möglichst Abstand genommen. Es bleibt unklar, warum von diesen Knochenveränderungen bis jetzt vorwiegend die kaudale Hälfte des Skeletts betroffen ist. Die Wirbel sind weniger befallen, Schädel- und Thoraxknochen sind praktisch frei.

Abb. 2: CT in Höhe der Kniescheiben: unregelmäßige Auflagerungen an den Gelenkflächen der Kniescheiben. Hypodense Areale in den Knochen.

Die Konturen der Gelenkflächen sind zum Teil glatt, zum Teil finden sich unregelmäßige Auflagerungen, namentlich an den Femuropatellargelenken. Möglicherweise handelt es sich dabei um ausgetrocknete Knorpelreste. Die medialen Kondylen der Femurotibialgelenke und die lateralen Gelenkfacetten der Kniescheiben zeigen eine mäßig vermehrte subchondrale Mineralisierung, was auf eine stärkere Belastung dieser Gelenkabschnitte im Sinne von Genua vara geringen Grades und auf eine beginnende Arthrose hinweist. An keiner Gelenkfläche lassen sich Geröllzysten oder marginale Knochenwülste erkennen.

Abb. 3: Frontale CT-Rekonstruktion: vermehrte Mineralisierung an den medialen Tibiakondylen. Der linke Teil der Gelenkspalten ist verbreitert. Der rechte laterale Meniskus ist nach außen gedrückt. Zerfallsherd in der rechten Tibia.

Am linken Knie ist der laterale Teil des Gelenkspaltes verbreitert, der mediale verschmälert, am rechten ist der mediale Teil des Gelenkspaltes verbreitert, der laterale weitgehend konsumiert. Die Menisken sind durch das Vorhandensein von gasförmigen Substanzen in den Gelenken beiderseits gut abgrenzbar und erscheinen homogen ohne Kalkeinlagerungen oder Frakturzeichen. Der rechte laterale und der linke mediale Meniskus sind etwas komprimiert, der rechte laterale ist zusätzlich nach außen gedrückt. Dies ist wahrscheinlich so zu erklären, dass im Eis ein leichter, aber kontinuierlicher Druck auf die linke Seite der Unterschenkel ausgeübt wurde.

Abb. 4: Sagittale CT- Rekonstruktion: Zerfallsherd im linken Femur, in der rechten Tibia und in den Kniescheiben. Die hinteren Kreuzbänder sind gut abgrenzbar mit einer Kalkauflagerung am proximalen Ansatz des linken Bandes.

Alle Weichteile sind stark geschrumpft, da bei der Mumifizierung des Mannes aus dem Eis die Austrocknung im Vordergrund stand. Sein Lebendgewicht wird auf ca. 50 kg geschätzt, die Mumie wiegt jetzt ca. 13 kg. Durch die gasförmigen Substanzen im Gelenk und in den periartikulären Geweben lassen sich Gelenkkapseln, Bänder, Ansätze von Muskelsehnen und zum Teil auch Muskelzüge relativ gut abgrenzen. Die Dichtewerte der Weichteile sind verglichen mit denen eines Lebenden deutlich vermindert (-60 und +44 HE) und weisen auf fettige Degeneration hin. In der rechten und linken A. poplitea, die relativ dicht erscheinen und deshalb gut abgrenzbar sind, findet sich in Höhe der Tibiagelenkflächen je ein kleiner verkalkter Plaque. Auffallend sind mehrere kleine Verkalkungen in Sehnen und Bändern und dies besonders nahe ihrer Knochenansätze. Am linken Kniegelenk lässt sich am proximalen Ansatz des hinteren Kreuzbandes eine Kalkauflagerung nachweisen. Diese winzigen Verkalkungen können sich post mortem gebildet haben. Wenn dem aber nicht so wäre, hätten sie eine pathologische Bedeutung, etwa als Ausdruck einer Fehlbelastung oder chronischen Entzündung. Eigenartig im Aussehen sind 7 perlschnurartig aneinandergereihte etwa 1 mm große rundliche Verkalkungen am distalen Ende des M. semimembranaceus, an der Stelle, wo der Muskel in die Sehne übergeht. Degenerative Verkalkungen sind gewöhnlich nicht so regelmäßig. Differenzialdiagnostisch kommt auch eine Parasitose in Frage. Dies auch, weil in anderen Weichteilpartien ebenfalls winzige kalkdichte Punkte aufscheinen, besonders deutlich im Bereich der rechten Schulter. Da die Mumie äußerlich sauber erscheint, ist eine Verschmutzung der Gewebe durch feinen Gletschersand nicht anzunehmen.

Abb. 5: CT in Höhe der Fossa intercondylica: Mikroverkalkungen in der rechten Fossa intercondylica mit vermehrter subchondraler Mineralisierung (Pfeilspitzen), Verkalkung im linken M. semimembranosus (Pfeil).

Ein länglicher Fremdkörper mit Dichtewerten um 1600 stellt sich in den Weichteilen medial vom linken Tibiaplateau dar. Er hat einen Längsdurchmesser von 35 mm und einen Querdurchmesser von 6 mm. Seine Konsistenz ist inhomogen, zum Teil körnig. Er ist von unten nach oben eingedrungen, so dass sein unteres Ende unter der Haut liegt, sein oberes Ende den Knochen berührt. In diesem Fall handelt es sich wahrscheinlich um einen zerbröckelten Steinsplitter. An der Stelle, wo dieser Fremdkörper eingedrungen ist, findet sich an der Leiche ein 15 mm langer Hautschnitt ohne livide Verfärbung der scharfen Wundränder. Im Röntgen ist eine, wenn auch nur geringe, Gewebsverdichtung um den Fremdkörper nachweisbar. Eine prämortale Verletzung kann nicht kategorisch ausgeschlossen werden, auch wenn derzeit eine Bergungsverletzung am wahrscheinlichsten ist. Eine diesbezügliche sichere Abklärung wäre für die Rekonstruktion der Ereignisse kurz vor dem Tod des Mannes von Bedeutung.

Abb. 6: Sagittale CT - Rekonstruktion am linken Kniegelenk: Perlschnurartige Verkalkung im M. semimembranaceus (Pfeil). Zerfallsherd im Femur und in der Kniescheibe.

Abschließend sei noch bemerkt, dass die Beurteilung der Röntgenbilder von Leichen oder gar Gletschermumien für Radiologen ungewöhnlich und schwierig ist, da Erfahrung fehlt und Fachliteratur spärlich ist. Stellungnahmen sind daher erwünscht.

Literatur bei den Autoren

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