Rofo 2005; 177(11): 1489-1490
DOI: 10.1055/s-2005-858740
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kommentar zum Editorial

Comment to the EditorialM. Thelen1
  • 1Klinik für Radiologie, Universitätsklinikum Mainz
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Publication Date:
21 November 2005 (online)

Das von Herrn Forsting verfasste Editorial ist ein Denkanstoß, wie er in der Vergangenheit schon oft stattgefunden hat und der in Zeiten einer politisch induzierten neuerlichen „Reform des Gesundheitswesens” erneut stattfindet.

Letztlich soll aber nicht nur das Diktat der Ökonomisierung allein die Entwicklung einer Fachrichtung bestimmen, sondern der tatsächliche Fortschritt in der medizinisch-klinischen und, was besonders zu betonen ist, in der wissenschaftlichen Entwicklung, wobei auch strukturelle Gegebenheiten, die von Universität zu Universität, von Krankenhaus zu Krankenhaus und von Praxis zu Praxis verschieden sein können, einen entscheidenden Einfluss haben.

Das Spektrum, das dieser Denkanstoß abdeckt, muss also sehr weit gespannt sein.

Eine grundsätzliche Frage, die in diesem Zusammenhang ebenfalls geklärt werden muss, ist das Selbstverständnis des Radiologen. Handelt es sich bei dieser Spezies um einen zum Techniker mutierten Arzt oder um einen Arzt mit einem Spezialwissen, der neue Interpretationsmöglichkeiten der pathologischen Anatomie, Pathophysiologie oder einer gestörten Funktion in die Erkennung und Behandlung von Krankheiten einfließen lässt?

Die Geister sollten sich nicht in der Definition der Begriffe „Radiologe” und „Kliniker” scheiden, auch wenn dies sprachlich weit verbreitet ist und sich auch im vorstehenden Editorial widerspiegelt. Vor allem die universitären Ausbildungszentren bemühen sich in ihrer Mehrzahl dem radiologischen Nachwuchs das Gefühl zu vermitteln, ein vollwertiger Arzt zu sein und dies mit sichtbarem Erfolg.

Die Betreiber der „Röntgenzimmer”, aus denen die radiologischen Kliniken und Abteilungen hervorgegangen sind, haben dies von Anbeginn so gesehen und gehandhabt. Sie waren weit davon entfernt, sich das Image von Technikern, Knopfdrückern oder (moderner) „Mausklickern” zuzulegen. Mit dem Start der ersten eigenständigen Lehrstühle für Radiologie und der Gründung von Abteilungen die, wie der Autor des vorangehenden Editorials bemerkt, nur mit „groben Methoden” arbeiteten, wurde gleichfalls nie ein anderes Ziel verfolgt, als Radiologie als klinisches Fach zu sehen, auch wenn die Methode einen ausschlaggebenden Stellenwert hat. Die Berechtigung eines radiologischen Ordinariates wurde nie aus einer technischen Analyse abgeleitet. Auf die Jetztzeit übertragen bedeutet dies, dass die Installation eines CT oder MR an sich keine Legitimation für eine eigenständige Radiologie darstellt.

Die Ausweitung der medizinischen Erkenntnisse, die durch die Radiologie möglich geworden sind, führt natürlich dazu, dass sich diese ausweitet und in der Diagnostik und Therapie vieler Erkrankungen eine zunehmend größere Rolle spielt. Dies hat zwangsläufig zur Folge, dass sich die Wissensbasis verbreitern muss und eine Spezialisierung unvermeidlich ist. Dabei ergibt sich das Ausmaß des Spezialisierungsgrades im realen Leben aus der Qualifizierung und Spezialisierung der Zuweiser, die von Krankenhaus zu Krankenhaus und Universität zu Universität durchaus unterschiedlich sind.

In welchem Umfang sollen diese Spezialisierungen stattfinden? Ist es das Fach- (Organ-) Wissen allein oder zieht dies automatisch auch strukturelle oder organisatorische Veränderungen nach sich ? Man landet bei solchen Überlegungen schnell bei Departmentsystemen, mit denen andere Fachrichtungen (vor allem Innere Medizin und Chirurgie) schmerzliche Erfahrungen gemacht und die große, bis heute nicht bewältigte Probleme aufgeworfen haben (im Gegensatz zur Auffassung des Editorial-Autors). Auch jetzt noch veranlassen sie die Fachgesellschaften zu einer permanenten Änderung der Berufs- und Ausbildungspolitik, um den entstandenen Flurschaden zu beheben (nachzulesen in den jährlichen Präsidentenreden dieser Fachgesellschaften).

Wo liegen die Probleme dafür, dass diese Departmentmodelle in der Republik so schlecht funktioniert haben bzw. funktionieren? Es ist die häufig fehlende kritische Masse an organbezogener Subspezialität, die fehlende Langzeitperspektive derartiger Spezialisten (wo sind die Stellen, wo der Markt?) - selbst Chefärzte sind bei uns unvermittelbar, bei Sektionschefs ist dies kaum anders; und - besonders zu betonen - bei uns gibt es kaum eine Kultur der Integrationswilligkeit und -fähigkeit der (Organ-) Spezialisten. Alle bisherigen Vorstöße in dieser Richtung kommen letztendlich einer intellektuellen und organisatorischen Zersiedelung gleich. Größere radiologische Einrichtungen können sich logischerweise mehr Spezialisten erlauben als zahlenmäßig kleinere Institutionen. Um solche Spezialisten zu beschäftigen, ist eine jeweilige Mindestzahl an Untersuchungen notwendig, die ggf. durch Insourcing erzielt werden kann. Ein alleiniges Spezialistenmodell führt mittelfristig zumindest außerhalb der Kerndienstzeiten zu vermehrten Kosten, da mehr Leute verfügbar sein müssen.

Falls die Organspezialisierung mit der Absicht einer organisatorischen Segmentierung erfolgt, bedeutet dies eine Auflösung klinischer Einrichtungen in mehrere selbstständig arbeitende Abteilungen oder Sektionen. Dies heißt nicht notwendigerweise eine optimierte Patientenversorgung und kann auch für die umfassende Ausbildung des Nachwuchses kontraproduktiv sein. Die entstehenden kleineren universitären Einrichtungen neigen, wie an vielen Beispielen belegbar, zu Verkrustungen. Dies ist ein Problem für die klinische Wissenschaft. Es geht in der wissenschaftlichen Ausrichtung dieser Einheiten oft weniger darum, die medizinischen Erkenntnisse in Diagnostik und Therapie weiterzubringen, sondern die eigene Existenzberechtigung zu dokumentieren und zu untermauern.

Allerdings könnte man aus der Analyse und Erkenntnis der gescheiterten und vor allem der ausländischen erfolgreichen Departmentmodelle ein Konstrukt der neuen Art vorlegen. Dass diese neuen Modelle auch klare Leitungs- und Richtungskompetenzen brauchen und zwar auf der Ebene der medizinischen Krankenversorgung, der wissenschaftlichen Konzeption und der Ökonomie (inkl. Management) ist selbstredend. Dass die alten Modelle mit kleinen, eigenständigen strukturellen und organisatorischen Einheiten (Bsp. Neuroradiologie) auch in ein problematisches Fahrwasser steuern können, zeigen Entwicklungen in einigen deutschen Universitäten, in denen die neurologischen Kliniken im Kontext mit der theoretischen Medizin massive Rückführungstendenzen aus der Neuroradiologie betreiben und dabei in ihrem Sinn beachtliche Erfolge aufzuweisen haben.

Der Misserfolg der früheren bundesdeutschen Modelle liegt dann vielleicht auch in der Leitungsstrukturierung inkl. eines Rotationsleitungsmodells. Befristete Vertragsgestaltungen auch bei Leitungspositionen, wie sie an den Hochschulen zunehmend häufiger eingeführt werden, könnten wegweisend sein.

Besonders pikant ist in diesem Zusammenhang die Frage nach der gerechten Verteilung der erzielten Gewinne. Nach Abschaffung der Privatliquidation wird diese Frage aber weniger von Ärzten als vielmehr von den Universitäts- und Krankenhausvorständen zu beantworten sein. Eine nachvollziehbare Bemessung auf der Basis des Leistungsprinzips sollte ausschlaggebend sein, wobei sich Leistung nicht ausschließlich im Engagement in der Krankenhausversorgung, sondern auch in der Verantwortung für die Gesamtstruktur widerspiegeln muss. Dies gilt sowohl für die adäquate Bezahlung der Klinikchefs wie auch der Sektionschefs und Oberärzte.

Das Ziel des Editorials, einen Anstoß zu geben, aktiv aus der Radiologie Visionen für das Fach zu entwickeln und vor allem umzusetzen, ist ein wertvoller Beitrag für die Zukunft unseres Faches. Der Blick auf eigene Probleme und die von Nachbarfächern, wie die Innere Medizin und Chirurgie inkl. ihrer Fehlentwicklungen, sollte aber nicht verstellt sein und genauestens analysiert werden. Das Letzte, was wir uns leisten und riskieren können, ist ein Bruch im Fach. Radiologie muss eine höchst attraktive Fachrichtung sein, sonst wären die Begehrlichkeiten anderer nicht so groß. Radiologie muss schon etwas Besonderes sein; honorieren wir dieses also und kämpfen wir darum.

Prof. Dr. med Manfred Thelen

Klinik für Radiologie, Universitätsklinikum Mainz

Langenbeckstr. 1

55131 Mainz

Phone: ++ 49/61 31-17 73 71

Email: thelen@radiologie.klinik.uni-mainz.de