Rofo 2004; 176(11): 1704-1705
DOI: 10.1055/s-2004-836951
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Radiologie und Recht - Konkurrentenklagen im Vertragsarztrecht

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Publication Date:
19 November 2004 (online)

 
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Das Bundesverfassungsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung vom 17.8.04 (Az.: 1 BvR 378/00) die defensive Konkurrentenklage für niedergelassene Vertragsärzte gegen die Ermächtigung von Krankenhausärzten zugelassen. Die sich aus diesem Urteil ergebenden Veränderungen der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Zulassungsentscheidungen sind erheblich, da zukünftig auch am Verfahren nicht unmittelbar beteiligte Vertragsärzte, für die eine Neuzulassung oder Ermächtigung eine Konkurrenz darstellt, hiergegen klagen können.

Dem Verwaltungsrecht sind Konkurrentenklagen bekannt im Wirtschafts-, Gewerbe- und Beamtenrecht. Konkurrentenklagen haben manche Berührungspunkte mit den sog. Drittklagen im Bau-, Gewerbe- und Immissionsschutzrecht, bei denen ein Dritter gegen den den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt ("Verwaltungsakt mit Drittwirkung") einen Rechtsbehelf einlegt.

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Zulassungsbeschränkungen und Budgetierung fordern Beschränkungen des Wettbewerbs

Derartige Konkurrenzsituationen sind auch zwischen den gemäß § 95 SGB V an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringern an der Tagesordnung, zumal es sich aufgrund der Bedarfsplanung nach § 101 SGB V um einen staatlich reglementierten Markt handelt, der den ungehinderten Zugang aufgrund der bestehenden Zulassungsbeschränkungen in den meisten Planungsbereichen verhindert. Die Begrenzung der Arztzahlen dient nach dem Willen des Gesetzgebers der Kostenreduzierung und damit einer Stabilisierung des Systems insgesamt. Gleichzeitig wird aber auch der einzelne Vertragsarzt begünstigt, der innerhalb des geschlossenen Systems der vertragsärztlichen Versorgung nur einer für ihn noch tragbaren Konkurrenz ausgesetzt ist.

Die Zulassungsbeschränkungen und die Deckelung der Gesamtvergütung haben das System des Vertragsarztrechts spätestens seit dem In-Kraft-Treten des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266) am 1. Januar 1993 verändert. Für die Vertragsärzte hat sich das Spektrum an Dienst- und Sachleistungen verengt, das mit den Krankenkassen abgerechnet werden kann. Die Vergütungen der Vertragsärzte sind gekürzt und die Zuwächse bei den Vergütungen an die beitragspflichtigen Einnahmen gekoppelt worden (§ 85 SGB V).

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Forcierung des Wettbewerbs durch den Gesetzgeber

In dieser Situation ist der vom Gesetzgeber in den vergangenen Jahren forcierte Wettbewerb unter den Leistungserbringern in der ambulanten Versorgung als rechtlich problematisch anzusehen. Neben das Angebot niedergelassener Ärzte tritt seit jeher das Angebot ermächtigter Krankenhausärzte, soweit für deren ambulante Tätigkeit nach §116 SGB V ein entsprechender Bedarf besteht. Daneben hat jedoch der Gesetzgeber zunehmend auch Krankenhäusern das Recht zur ambulanten Behandlung eingeräumt (vgl. § 115 a, 115 b, 116 a, 116 b, 117, 120). Im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes hat der Gesetzgeber daneben sog. Medizinische Versorgungszentren nach § 95 Abs. 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Andererseits wird die Konkurrenzsituation durch Entscheidungen der Zulassungsgremien verändert, wenn etwa der Planungsbereich geöffnet wird oder eine Sonderbedarfszulassung nach § 101 Abs. 1 Ziff. 2 SGB V i.V.m. den Bedarfsplanungs-Richtlinien ausgesprochen wird.

Dem Aspekt einer quantitativ begrenzten Konkurrenz kommt für die Berufsausübung des einzelnen Vertragsarztes wegen der budgetierten Gesamtvergütung wachsende Bedeutung zu. Je mehr Ärzte Leistungen erbringen und abrechnen, desto geringer ist potenziell der Wert der einzelnen ärztlichen Leistung; die Punktwerte sinken ab. Bereits zugelassene und auch ermächtigte Ärzte haben unter diesen Bedingungen ein berechtigtes Interesse daran, dass eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der Zulassungsgremien möglich ist.

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Bisherige BSG-Rechtsprechung benachteiligte Drittbetroffene

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts war die Möglichkeit für sog. defensive Konkurrentenklagen jedoch ausgesprochen gering. So hatten niedergelassene Ärzte nur wenig Möglichkeiten, die Erteilung einer Ermächtigung für Krankenhausärzte zu überprüfen. An dem Verfahren vor den Zulassungsgremien waren bisher die in der Region konkurrierenden Vertragsärzte jedoch nicht direkt beteiligt. Sie wurden allenfalls im Vorfeld von der Kassenärztlichen Vereinigung bez. der Versorgungssituation befragt und teilweise auch vor dem Zulassungsausschuss als Zeugen dafür angehört. Eigene Verfahrensrechte und Möglichkeiten, sich selbst gegen eine Erteilung der Ermächtigung zu wenden, bestanden jedoch grundsätzlich nicht.

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Konkurrentenklagen zukünftig auch bei Sonderbedarfszulassungen und Institutsermächtigungen

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts billigte den Vertragsärzten nur in extremen Ausnahmefällen, nämlich falls die Ermächtigung insgesamt oder teilweise willkürlich oder mit der gezielten Absicht der Benachteiligung der Vertragsärzte erteilt wurde, ein eigenes Klagerecht gegen die Erteilung der Ermächtigung zu. In allen anderen Fällen bestand für die betroffenen Vertragsärzte nur die Möglichkeit, auf ihre Kassenärztliche Vereinigung einzuwirken, dass diese im Interesse der Vertragsärzte gegen die Ermächtigung des Krankenhausarztes Klage bzw. Widerspruch einlegte. Die prozessuale Rechtslage ist auf andere Bereiche übertragbar. So dürften nach der bisherigen Rechtslage auch die Überprüfung von Sonderbedarfszulassungen, Institutsermächtigungen und die ambulante Behandlung von Krankenhäusern bei Unterversorgung durch die bereits zugelassenen Vertragsärzte nicht überprüfungsfähig gewesen sein.

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Berufsfreiheit fordert ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten

Die bisher vom Bundessozialgericht vorgenommene Beschränkung der Zulässigkeit der defensiven Konkurrentenklage auf die Fälle, bei denen besonders schwere materielle Mängel in der Begründung der angefochtenen Ermächtigungsentscheidung vorlagen, wird nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes der Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht, da Verfahrensrechte nicht erst bei Willkürentscheidungen einsetzen. Zwar gewährt Art. 12 Abs. 1 GG keinen Schutz vor Konkurrenz und Vertragsärzte haben auch allein aufgrund ihres Zulassungsstatus keinen Rechtsanspruch auf die Sicherung einer wirtschaftlich ungefährdeten Tätigkeit. Allerdings kann eine Wettbewerbsveränderung durch Einzelakt, wie hier durch die Ermächtigung eines Krankenhausarztes, die erhebliche Konkurrenznachteile zur Folge hat, das Grundrecht der Berufsfreiheit beeinträchtigen, wenn sie im Zusammenhang mit staatlicher Planung und der Verteilung staatlicher Mittel steht. Genau dies ist bei der Tätigkeit des Vertragsarztes der Fall, da dieser im System der stark regulierten vertragsärztlichen Versorgung tätig ist. Eine zusätzliche Ermächtigung von Krankenhausärzten kann zu einer erheblichen Reduzierung des für den Vertragsarzt erzielbaren Honorars führen, so dass das Bundesverfassungsgericht nunmehr entschieden hat, dass in jedem Fall der Vertragsarzt die Möglichkeit haben muss, die Entscheidung über die Ermächtigung des Krankenhausarztes gerichtlich überprüfen zu lassen.

Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem klargestellt, dass der Grundrechtsschutz des einzelnen Vertragsarztes nicht dadurch hinreichend abgesichert gewesen ist, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen die Ermächtigungsentscheidung anfechten können. Denn je nach Einfluss und Gewicht einzelner Arztgruppen und den Konstellationen im Binnenraum könnten die Interessen einzelner Ärzte von denen der Mehrheit in den Organen der Kassenärztlichen Vereinigung abweichen.

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Wettbewerbsvorteile der Krankenhäuser gegenüber niedergelassenen Ärzten

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist zu begrüßen, weil es die formale Rechtsstellung bereits zugelassener Vertragsärzte gegenüber Zulassungsentscheidungen erheblich verbessert. Ein niedergelassener Radiologe kann nunmehr gegen eine seiner Meinung zu Unrecht erteilte Ermächtigung selber Klage vor dem Sozialgericht erheben bzw. gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses Widerspruch einlegen. Dies erscheint gerade im Bereich der Radiologie sachgerecht, da dem niedergelassenen Vertragsarzt hier hohe Investitionskosten zugemutet werden.

Das Urteil beleuchtet auch die Frage des Wettbewerbsverhältnisses zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhausärzten in der ambulanten Versorgung. Krankenhausärzte haben nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts aufgrund ihrer Einbindung in den Krankenhausbetrieb gewisse Marktvorteile gegenüber den niedergelassenen Ärzten, da sie mit dem Krankenhaus zusammenarbeiten und eine gemeinsame Geräteauslastung herbeiführen und darüber hinaus auf mit staatlichen Mitteln geförderte Investitionen zurückgreifen können. Für den nicht ausgelasteten niedergelassenen Radiologen können die hohen Investitionskosten hingegen ruinös sein. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt daher auch Ansätze für Wettbewerbsmaßstäbe zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern in einem sich weiter verschärfenden Konkurrenzkampf, den der Gesetzgeber des GMG bewusst zugelassen hat.

Rechtsanwalt Dr. Peter Wigge

Rechtsanwälte Dr. Wigge, Hamm/Westfalen

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