ZFA (Stuttgart) 2006; 82(1): 8-10
DOI: 10.1055/s-2004-836268
Ausbildung

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hausärztliche Fortbildung - Ein Vorschlag zu Grundzügen der Neuorientierung

Continious Medical Education - A Proposal for an Outline of a New ConceptS. Sachtleben
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Publication Date:
18 January 2006 (online)

In der ZFA 9/2004 wird nicht zum ersten Mal über die Irrationalität hausärztlicher Therapie viraler Infekte der oberen Luftwege berichtet (Altiner A. et al., S. 366). Die Arbeit zeigt vor allem eines: es hat sich so gut wie nichts geändert. Als im hiesigen Qualitätszirkel dieses Thema besprochen wurde, war keinerlei Einstimmigkeit zu erzielen - ganz im Gegenteil: die Diskussion war dogmatisch und emotional. Das Argument, dass Viren auf Antibiotika nicht ansprechen, griff nicht, weil nicht „virale Infekte” behandelt wurden, sondern „Bronchitis”, „Scharlach”, „Angina”. Jeder war schon irgendwo auf einer Fortbildung gewesen, hatte etwas gelesen, wo von kompetenten Kollegen ganz klar gesagt worden war, wie wichtig die Antibiotikagabe ist.

Die Irrationalität der hausärztlichen Hustentherapie wirft vor allem ein grelles Licht auf die hausärztliche Fortbildung. Der State-of-the-art ist für jeden etwas anderes. Der Eine geht hierhin, die Andere dorthin, fast immer ist die Veranstaltung von einschlägigen Sponsoren abhängig. Die Fortbildungen werden zumeist von Nicht-Hausärzten gehalten, die Themen generiert der Zufall oder die gerade aktuelle PR-Situation am pharmazeutischen oder technischen Markt oder unsere Vorlieben (und nicht unsere Schwächen!). Abholz spricht in der ZFA 10/2004 völlig zu Recht vom „Verlust der Breite”. Hausarztmedizin ist mehr, muss mehr sein, als unser Lieblingsfach und wir müssen uns um diese Breite ernsthaft bemühen

Wer jedoch eine breite Fortbildung will, der sucht den tatsächlichen State-of-the-art meist vergebens. Wo ist die hausärztliche Fortbildungsinstitution, an die er oder sie sich vertrauensvoll wenden kann? Eine Institution etwa, wie es das „Royal College” in Großbritannien zumindest auch ist?

Ein weiteres Beispiel für das Problem Fortbildung sind die DMPs. Dass Leitlinien sinnvoll sind, bezweifeln zumindest in der akademischen Hausarztmedizin nur noch wenige. Jedoch, wenn Leitlinien sinnvoll sind, wieso müssen sie dann von Krankenkassen bei den Hausärzten einführt werden? Wieso ist es nicht möglich, dieses als State-of-the-art anerkannte Wissen aus der akademischen Hausarztmedizin so in die Breite zu transferieren, dass es dort auch als Fortschritt und nicht als bürokratische Vergewaltigung ankommt? Und wieder läuft der Wissenstransfer nicht über ärztliche Kommunikationswege, oder gar etablierte Transferinstitutionen - nein, wieder müssen andere, nicht ärztliche Institutionen die Fortbildung tragen.

Wie also kommuniziert man von akademischen Leitinstitutionen Wissen in die ärztliche Breite? Wie viele Leser hat die ZfA? Wie viele Mitglieder die DEGAM? - Von Breite kann (leider) nicht die Rede sein. ZfA und DEGAM-Veranstaltungen alleine genügen nicht für diesen Transfer.

Die Marktrücknahme von Vioxx ist ein weiteres Beispiel für das Problem. Auch in der ZfA (6/03, S. 288) war dazu bereits vor 2 Jahren ein eindeutiger Artikel zu lesen, von den anderen unabhängigen Publikationen ganz zu schweigen. Dennoch hat dies alles der Verordnung des Medikamentes nicht nur keinen Abbruch getan, vielmehr war die Überraschung über die Marktrücknahme vielerorts groß. Kurz: alle diese Arbeiten kommen an der Basis nicht an.

Der hausärztlichen Fortbildung kann nur aufgeholfen werden, wenn sie aus ihrer strukturellen und inhaltlichen Beliebigkeit herausfindet.

Dies ist auch politisch ein Gebot der Stunde, denn nicht nur Gesellschaft und Administration erwarten von der Hausarztmedizin eine Professionalität, die sie nicht nur erst noch entwickeln muss, sondern es gibt auch in Deutschland eine ganz bedenkliche Erosion des hausärztlichen Kompetenzansehens: in DMPs wird uns die Fähigkeit anspruchsvollerer internistischer Therapie glatt aberkannt, Kassen lassen völlig selbstverständlich unsere AU- und andere Entscheidungen vom MDK revidieren, die Hausarztpraxis, zumal die kleine Einzelpraxis muss sich von allen Seiten „Inkompetenz”-Vorwürfe anhören, im neuen EBM werden diese Praxen sogar geringer honoriert, Kollegen in stationären Einrichtungen arbeiten nur sehr ausnahmsweise mit uns zusammen, usw. (dies ist nur eine Auswahl).

Gerade wer die außerordentlich sorgfältige, um äußerste Rationalität bemühte, akademische allgemeinmedizinische Diskussion der letzten Jahre kennt, der muss feststellen, dass das öffentliche Erscheinungsbild, auch in der ärztlichen Kollegenschaft, geradezu das Gegenteil des Anspruches ist, den die akademische Diskussion an sich hat.

Hier ist ganz besonders und vor allem die DEGAM gefordert. Warum die DEGAM? Sie ist die einzige deutsche Hausarztinstitution, die sich kompromisslos akademisch versteht. Sie ist die einzige Hausarztinstitution, die Unabhängigkeit und Kompetenz glaubwürdig verbindet. Nur sie hat strukturell die Voraussetzungen unser „Royal College” zu werden. Die Rolle, die die Hausarztmedizin für die Solidargemeinschaft bereits spielt und in Zukunft noch (wieder) spielen soll, verlangt nach einer klaren Leitinstitution, für uns, für unsere Kolleginnen und Kollegen der anderen Disziplinen, für die Öffentlichkeit.

Jedoch wie?

Denkbar wären Hausarzt-Akademien, die von akademisch motivierten Kolleginnen und Kollegen vor Ort betrieben werden, als z. B. hausärztliche Fortbildungsreferate der Ärztekammern, deren curriculares Rückgrat aber von der DEGAM kommt. Zusätzlich könnten an dieses Rückgrat Veranstaltungen angebaut werden, je nach regionaler Präferenz. Diese Akademien sollten den Ehrgeiz haben, in einem 3-5-jährigen Turnus möglichst viele wesentliche allgemeinmedizinische Themen anzubieten und zwar schwerpunktmäßig als Refresher- oder Stand-der-Medizin-Vorträge, -Seminare, -Arbeitsgruppen, -Übungen, usw., und nicht als Das-Neueste-vom-Neuen-Veranstaltungen. Selbstverständlich sollte eng mit vor Ort bestehenden allgemeinmedizinischen Institutionen der Lehre und Fortbildung zusammengearbeitet werden. Als Referenten könnte man sich unter anderem sehr gut Kolleginnen und Kollegen aus den spezialisierten Fächern vor Ort vorstellen. Dies würde auch helfen klarzumachen, dass und wie wir zusammengehören.

Dieses Konzept könnte mehrere Probleme lösen.

Diese Akademien könnten jener Ort sein, wohin ein unabhängige Fortbildung suchender Hausarzt, eine Hausärztin sich vertrauensvoll wenden kann, um zu erfahren, was für unsere Arbeit von Bedeutung ist.

Die DEGAM könnte über die Curricula ihre standardisierende, den Stand der Allgemeinmedizin definierende Wirkung entfalten und sie hätte ein Mittel diese Wirkung in die Fläche zu tragen. Sollte zum Beispiel die hausärztliche Weiterbildung an diese Akademien gebunden werden, dann wird es in wenigen Jahren keine junge Kolleginnen und Kollegen mehr geben, die die DEGAM nicht kennen. So würde auch klar, dass Aus-, Weiter-, und Fortbildung keine in sich abgeschlossenen Einheiten sind, sondern lediglich zeitliche „Verdichtungen” eines fließenden Kontinuums.

Diese Akademien könnten vielleicht der Ort sein, an welchen jenes allgemeinmedizinische Zusammengehörigkeitsgefühl wohnen und wachsen könnte, welches durch die neue Weiterbildungsordnung wieder nicht möglich geworden ist. Diese Akademien könnten auch ein hilfreicher Ausgangspunkt sein, um zum Beispiel EPA oder Visitatije-Programme bekannter zu machen. Die hausärztliche Qualitätsdiskussion könnte dort ein Zuhause finden.

Und diese Akademien könnten ein nach außen hin sichtbares Gesicht der professionellen Allgemeinmedizin sein. Sie zeigen, dass wir kompetent sind, dass wir uns um Weiterentwicklung unserer Kompetenz bemühen und dass wir es ernst meinen.

Interessenkonflikte: keine angegeben

1 Donner-Banzhoff N. Schizophren, diese Situation … Von Budgets, Beziehungsfallen und dem BDA. Der Hausarzt 2002 [13], 12-13.

Prof. Dr. med., MHSc N. Donner-Banzhoff

Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin · Universität Marburg

35033 Marburg

Email: Norbert@med.uni-marburg.de

Dr. S. Sachtleben

Hausarztpraxis

Kaiserstr. 2 a

66955 Pirmasens

Email: stefan.sachtleben@t-online.de

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