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DOI: 10.1055/s-2004-834615
Fortbildung in der Notfallmedizin - Zwang, Pflicht oder Einsicht?
Continuing Education in Emergency Medicine - Force, Duty or Insight?Publication History
Publication Date:
03 February 2005 (online)
Die Notfallmedizin hat sich zwischenzeitlich nicht nur etabliert, sondern ein Niveau erreicht, das den ursprünglichen Forderungen der Vorverlagerung der klinischen Intensivtherapie entspricht. Die Bundesärztekammer definierte 1994 in ihrem gesundheitspolitischen Programm die Notfallmedizin als „schnell geleistete präklinische Medizin zur Abwendung unmittelbarer Lebensgefahr oder zur Verhinderung schwerer gesundheitlicher Schäden mit den Mitteln der Intensivmedizin am Notfallort”. Voraussetzung hierfür ist wie im klinischen Bereich nicht nur die Existenz entsprechender medizinischer Standards als Basis für ein konsentiertes Handeln, sondern auch Kenntnisse und Erfahrungen, die derzeit weder im Rahmen der Ausbildung noch durch den alleinigen Besuch eines Kurses von 80 Stunden zum Erwerb der Zusatzbezeichnung vermittelt werden können. Um den Forderungen der präklinischen Notfallmedizin und damit den Forderungen des betroffenen Patienten gerecht zu werden, bedarf es deshalb einer fundierten Fortbildung.
Notfallsituationen zu meistern bedeutet für Ärzte, ein breites Fachwissen zu haben, um schnell und sicher zu handeln. Das notfallmedizinische Fachwissen kann aber nicht unbedingt mit den beim Studium vermittelten Lerninhalten gleichgesetzt werden, da es definitionsgemäß nicht die Notfallbehandlung in den Vordergrund stellt. Es bleibt demnach der speziellen Fort- bzw. Weiterbildung vorbehalten, die nötigen Kenntnisse zu vermitteln. Diese Fort- und Weiterbildung im Bereich der Notfallmedizin kann sich aber nicht nur auf die Theorie beziehen, sondern muss entsprechend den Bedürfnissen des Einsatzes auch die Praxis mit einbeziehen, gemäß dem Motto: Übung macht den Meister. Mit Emanuel Kant kann auch heute für den Bereich der Notfallmedizin festgestellt werden „Theorie ohne Praxis ist leer - aber Praxis ohne Theorie ist blind”.
Schon vor 25 Jahren zeigte eine US-Studie, dass zwischen Operationshäufigkeit und Mortalität der Patienten eine direkte Beziehung besteht (Luft H et al. - NEJM 1979; 301/25: 1364). Zentrale Schlussfolgerung der Studie war: mit zunehmender Zahl an Operationen sinkt die Sterblichkeit von Patienten. Im Bereich der Notfallmedizin, in dem der Notarzt nicht wie im operativen Betrieb auf ein selektioniertes Patientenkollektiv trifft, sollte deshalb die Routine und Übung durch praktische Seminare und Workshops erworben werden, um den Ansprüchen der Praxis gerecht zu werden.
Es geht letztlich um die Qualität der Notfallmedizin. Qualität bedeutet in der Notfallmedizin: primär Sicherheit für den Patienten durch Effizienz des Handelns, sekundär sind es aber auch Komfort und Zufriedenheit für den Patienten. Qualität in der Notfallmedizin steht auch für Überleben und Lebensqualität schwer erkrankter oder schwer verletzter Menschen durch optimale Versorgung in der präklinischen Phase. Qualität schuldet der Notarzt den akut in Gefahr geratenen Patienten, der zu Recht fundierte Leistungen erwartet, deren Ergebnisqualität in nicht geringem Maße von der Kompetenz der Notärzte abhängt.
Viele Ärzte glauben, dass die Qualität unserer medizinischen Fortbildung gut sei. Analysen im Bereich der Notfallmedizin zeigen jedoch deutliche Lücken, denn nicht jede Veranstaltung mit dem Thema Notfallmedizin führt auch zu einer Qualitätssteigerung. Nicht immer sind die vermittelten Inhalte mit der aktuellen Datenlage identisch: „Eminenzbasierte”, oft anekdotische Erfahrungen ersetzen teilweise die Evidenz aus prospektiven Studien. Allerdings muss zugegeben werden, dass gerade in der Notfallmedizin die Studienlage schlecht ist und Ergebnisse von Studien aus entfernten Kontinenten nicht 1 : 1 übertragbar sind.
Qualitätsmängel sind nicht nur aus ethischer Sicht zu beseitigen, sondern auch aus ökonomischen Gründen nicht hinnehmbar, da sie neben Leid auch enorme Kosten verursachen. Qualitativ hochwertige Notfallmedizin kann einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit und Effizienz im Gesundheitswesen leisten. Diese Qualität kann jedoch nur durch eine kontinuierliche Fortbildung erreicht werden. Neben Professionalität ist handwerkliche Kompetenz gefordert, die geübt werden muss. Ein learning by doing ist heute erst recht in der Notfallmedizin nicht mehr vertretbar.
Leider kann das Problem der Qualitätssicherung nicht einfach durch einen Rückgriff auf „Leitlinien” gelöst werden, nachdem auch deren Qualität sehr verschieden und nicht immer am akuten Notfall im präklinischen Bereich orientiert sind. Der einzelne Arzt muss die Leitlinien kritisch hinterfragen und sie individuell in seine Tätigkeit integrieren. Dem einzelnen Patienten wird nur gerecht, wer sein erworbenes Wissen mit seiner persönlichen Erfahrung zu verbinden in der Lage ist, um dem speziellen Problem gerecht zu werden. Dem Fortbildungswilligen kann nicht erspart bleiben, sich selbst ein Bild zu machen und ein Urteil zu fällen. Es ist inzwischen erwiesen, dass durch Überzeugungskraft unter Kollegen speziell von fachkompetenten Referenten, die durch ihre praxisbezogene Darstellung akzeptiert werden, auf entsprechenden Veranstaltungen sich mehr ausrichten lässt als durch gedruckte Leitlinien.
Gerade in der Öffentlichkeit wurde in jüngster Vergangenheit Ärzten ganz allgemein bezüglich ihrer Fortbildung ein schlechtes Zeugnis ausgestellt und in den Medien hieraus resultierend unterstellt, dass ärztliche Leistungen unzureichend seien. In dem vor zwei Jahren publizierten Gutachten des Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen findet sich die gravierende Feststellung, dass „die ärztliche Fortbildung in Deutschland mangelhaft sei”. Dies führte im Gegensatz zu anderen notwendigen Reformen im Gesundheitswesen zu der Reaktion des Bundesgesetzgebers, dass im GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) eine Fortbildungspflicht für die an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Ärzte eingeführt wurde. Als Hintergrund dieser Verpflichtung wird festgestellt, dass bei einer Verdoppelung des medizinischen Wissens pro Jahrzehnt eine Adaptation des ärztlichen Vorgehens erforderlich sei. Obwohl im Bereich der Notfallmedizin eine derartig weit gehende Veränderung in dieser Zeiteinheit nicht durchgehend angenommen werden kann, darf doch unterstellt werden, dass auch in der Notfallmedizin wesentliche Veränderungen in die präklinische Tätigkeit einfließen.
Der Vorwurf der Bundesregierung der unzureichenden Qualität der ärztlichen Leistungen und der fehlenden Fortbildungsmöglichkeiten als Begründung für die Fortbildungspflicht kann zumindest im Bereich der Notfallmedizin, was das Fortbildungsangebot angeht, nicht akzeptiert werden, wenn dort festgestellt wird, dass „das Angebot ärztlicher Fortbildungsmöglichkeiten, ebenso wie die Nachfrage, sowohl quantitativ, als auch qualitativ verbesserungsbedürftig” sei. Derartige pauschale Vorwürfe können im Bereich der Notfallmedizin nicht zutreffen. Trotzdem zeigt nicht nur die tägliche Praxis, sondern inzwischen auch der Inhalt juristischer Auseinandersetzungen, dass nach wie vor einzelne Kollegen diese Möglichkeit der Fortbildung nicht nutzen und damit auch im Rahmen der präklinischen Versorgung Leistungen erbringen, die dem heutigen Standard nicht entsprechen. Wenn derartige Vorwürfe erhoben werden, treffen sie bestimmt nicht für die Allgemeinheit der Notärzte zu, sondern nur für Einzelne, die aus welchen Gründen auch immer, das derzeitige Fortbildungsangebot nicht in gebotenem Maße nutzen.
Deshalb haben nicht nur Standesorganisationen, sondern auch die Vertreter der Notärzte eine verpflichtende Fortbildung abgelehnt, mit dem Hinweis auf die bereits bestehende allgemein berufsrechtlich verankerte fachliche Fortbildungsverpflichtung des Einzelnen. Die berufsrechtliche Pflicht des Arztes, sich laufend fortzubilden, ist keine Errungenschaft der vergangenen Jahre oder Ausdruck eines besonders politischen Engagements, sondern schon immer standesrechtlich in den Kammergesetzen der Länder fixiert. Allerdings erfolgte diese Fortbildung im Gegensatz zu anderen freien Berufen immer auf freiwilliger Basis. Derzeit ist die Pflicht zur Fortbildung durch das GMG lediglich für an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligte Ärzte verbindlich. Es wird dort ausgeführt „sich in dem Umfang fachlich fortzubilden, wie es zur Erhaltung und Fortentwicklung der zu seiner Berufsausübung in der vertragsärztlichen Versorgung erforderlichen Fachkenntnisse notwendig ist”. Damit ist jedoch nicht primär die notärztliche Versorgung gemeint und betroffen, nachdem die Tätigkeit als Notarzt nicht allgemein zum Umfang der vertragsärztlichen Versorgung gehört. Trotzdem erscheint für notärztliche Tätigkeiten bei der jetzigen Rechtssituation der Nachweis einer speziellen Fortbildung nicht nur sinnvoll, sondern haftungsrechtlich evident. Darüber hinaus greift im Bereich der Krankenhausärzte der § 137 Abs. 1 Ziff. 2 SGB V, nachdem bereits jetzt auch für diese Ärzte eine Fortbildungspflicht, deren Einzelheiten noch ausgehandelt werden müssen, besteht.
Die Arzthaftung basiert auf dem allgemein anerkannten Stand der Medizin, nach dem sich die ärztliche Behandlung zu richten hat, die unter anderem vom Stand der Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung abhängt. Da sich die Medizin als Wissenschaft ständig weiterentwickelt, führt dies zu einer laufenden Änderung der Standards, sodass der Ausspruch von Erlinger (Anästhesist 2004; 53: 80 - 84) nicht ohne juristische Brisanz ist: „Der Standard von heute ist der Behandlungsfehler von morgen”. Um den jeweils aktuellen Behandlungsstandard auch in der Notfallmedizin gewährleisten zu können, muss sich der Arzt unabhängig von allen berufs- und vertragsrechtlichen Gründen laufend fortbilden, wie eine Reihe von Gerichtsentscheidungen gezeigt hat. Die Gerichte einschließlich des Bundesgerichtshofes stellen an die Fortbildung des Arztes hohe Anforderungen, in dem sie fordern „dass im Bereich der Humanmedizin der Arzt gehalten ist, sich bis an die Grenze des Zumutbaren über die Erkenntnisse und Erfahrungen der Wissenschaft zu unterrichten”. Wenn diese strengen Anforderungen schon für den Bereich der Routineversorgung gefordert werden, gelten sie ohne Frage auch im Bereich der Notfallmedizin, wo das Rechtsgut - Leben und Gesundheit - in sehr viel höherem Maße und in weit größerem Ausmaß bedroht ist.
Sofern der Notarzt versucht, diese Fortbildung ausschließlich aus den derzeit vielfältig zur Verfügung stehenden Publikationen und Medien zu nehmen, wird er schnell an zeitliche Grenzen stoßen. Auch hierzu hat inzwischen das Oberlandesgericht Hamm eine Stellungnahme abgegeben. Es wird ausgeführt: „wenn von einem Arzt auch nicht gefordert werden kann, zu seiner Weiterbildung sämtliche medizinischen Fachzeitschriften zu halten und zu lesen, muss doch von ihm verlangt werden, dass er jedenfalls von dem Inhalt der Fachzeitschriften Kenntnis nimmt, die er selbst für so wichtig ansieht, dass er sie hält”. Über dies hinaus bedarf es einer fachkundigen Auswahl der Publikationen, die für die Tätigkeit als Notarzt bedeutend sind.
Obwohl inzwischen ein indirekter Zwang zur Fortbildung durch die genannten Vorgaben geschaffen wurde, besteht doch gerade in den Reihen der Notfallmediziner, wie deren Engagement zeigt, die Einsicht, sich eine fundierte Fortbildung auf freiwilliger Basis anzueignen. Damit darf unterstellt werden, dass bei einer großen Anzahl von Notärzten es dieses Zwanges nicht bedurft hätte. Nicht nur die Vielzahl der Fortbildungsangebote, sondern auch deren Akzeptanz, sind dafür ein deutliches Zeichen. Die Arbeitsgemeinschaften der Notärzte und deren Publikationsorgan „Der Notarzt” bieten die Gewähr für die fachliche Kompetenz des Angebotes, sodass zumindest im Bereich der Notfallmedizin pauschale Vorwürfe ins Leere gehen und die Forderung nach einer verpflichtenden Rezertifizierung nicht erforderlich gewesen wären.
Prof. Dr. med. Peter Sefrin
Zentrum für Operative Medizin · Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie · Sektion für Präklinische Notfallmedizin
Oberdürrbacher Straße 6
97080 Würzburg