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DOI: 10.1055/s-2004-833667
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Besteht eine Korrelation des Alpha-Rhythmus zu kognitiven Prozessen? - Bestimmung der EEG-phasenbezogenen Mikro-Vigilanzen
Korrespondenzadresse:
Dipl.-Physiker Priv.-Doz. Dr. rer. nat. et med. habil. Rüdiger Maier
Klinik für Kommunikationsstörungen, Universität Mainz
55101 Mainz
Publication History
Publication Date:
17 September 2004 (online)
- Zusammenfassung
- Summary
- Zur Definition der auditiven Ordnungsschwelle
- Kritische Einwände
- Gerätetechnische Voraussetzung
- Datenerfassung und Ergebnis
- Diskussion
- Danksagung
- Literatur
Zusammenfassung
Die psychophysiologische Messmethode zur Bestimmung der auditiven Ordnungsschwelle (OS) gewinnt als Testverfahren für diagnostische Zwecke sowie auch in der Sprachtherapie zunehmend an Bedeutung. Beobachtete (Makro-)Vigilanz-Schwankungen hinsichtlich der intraindividuellen Leistungen führten zu der Vermutung, dass im ZNS eine kontinuierliche Verarbeitung kognitiver Prozesse nicht erfolgt. Die Annahme einer Zeitstruktur der internen Prozeduren kann eine Erklärung für Vigilanz-Niveau-Schwankungen liefern. Die Bezugsgröße für Mikro-Vigilanz-Änderungen wird im Phasenwinkel des Alpha-EEG-Bandes vermutet. Zur Überprüfung dieser Hypothese wurde ein EEG-Komparator entwickelt, der eine phasenabhängige Triggerung der auditiven Testsignale ermöglicht. Im Vergleich zur stochastischen (nicht-phasenbezogenen) Reizung konnten bei allen phasenbezogenen OS-Tests deutlich niedrigere Schwellenwerte nachgewiesen werden. Bei der Mehrzahl der Probanden traten tendenziell die besten Ergebnisse bei den Phasenwinkeln von w = 90° und w = 270° auf. Das Ergebnis stützt die Hypothese, wonach kognitive Prozeduren mit einer Alpha-Synchronisation korrelieren. Darüber hinaus besteht die Vermutung, dass bei Denkprozessen Schwankungen der Vigilanz vorherrschen, und dabei der Alpha-Phasenbezug von Bedeutung ist.
#Summary
The psychophysiological measuring method for the determination of the auditory Ordnungsschwelle (OS) is steadily gaining importance both in diagnostics and therapy for speech disorders. Observed intraindividual variability of (macro-) vigilance lead to the hypothesis of discontinuous cognitive processing in the central nervous system. The base for the variability of micro-vigilance is hypothesized to be in the phase difference of the alpha rhythm. To test for this hypothesis, we developed an eeg-comparator which allows for an phase-dependent triggering of auditory stimuli. In direct comparison to stochastic (i.e. non-phase-dependent) stimulus presentation, the threshold in phase-dependent OS-testing is distinctly lower. There are evidences that optimal results occurred at phase angles of w = 90° and w = 270°. Our findings support the hypothesis of a correlation between alpha rhythm and vigilance processes. Furthermore there seems to be evidence that memory processes go with changes in vigilancy and in this context the alpha phase correlation seems to be important.
Für die Bewertung elementarer Gedächtnisleistungen, wie sie in den unterschiedlichen Testsituationen dem Probanden abverlangt werden, wird seit einigen Jahren auch das Verfahren zur Bestimmung der Ordnungsschwelle (OS) eingesetzt [6] [15]. Im Gegensatz zu den bekannten Reaktionszeit-Messverfahren liefert diese psychophysiologische Methode über den Zeitbedarf der verrechnenden zentralen Strukturen Hinweise auf Verarbeitungsprozeduren im semantischen Gedächtnis.
Pöppel und Mitarbeiter berichteten von Untersuchungen zu den OS aus gedächtnis-psychologischer Sicht [8]. Eine modifizierte Bewertungsmethode wird für logopädisch-diagnostische Zwecke eingesetzt [5], und auch die Verwendung des Verfahrens unter therapeutischem Gesichtspunkt ist beschrieben [2] [14].
Der Terminus „Ordnungsschwelle” als solcher ist irritierend; gemeint ist die minimale Zeitgröße (Schwelle), bei der noch eine Ordnung in den zentralen Verrechnungsprozessen vorgegeben ist (s. u.). Prinzipiell können OS für jene Sinnesleistungen definiert werden, bei denen Lateralitätsbezüge (Reizempfindung, separiert rechts und links) vorliegen. Für den praktischen Einsatz werden auditive und visuelle OS bevorzugt. Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf auditive OS.
#Zur Definition der auditiven Ordnungsschwelle
Für die Wahrnehmung und Verarbeitung sensorischer Reize benötigt das ZNS neben Energie auch Zeit. Während für die getrennte Perzeption zweier sequentieller auditiver Reize ein Inter-Stimulus-Intervall (ISI) von mindestens 3 bis 5 ms vorliegen muss [13], bedarf es für die korrekte kognitive Verarbeitung beider Reize eines wesentlich größeren Zeitquantums. Die bewusste Reizverarbeitung mittels einer Entscheidungsreaktion ist ein kognitiver Prozess.
Die Verrechnung solcher Prozesse erfolgt in neuronalen Strukturen auf kortikaler Ebene. Auch die Zeitbasis der verrechnenden Einheiten ist Ergebnis kognitiver Prozeduren; sie ist system-immanent. Hinsichtlich ihrer Verarbeitungsgeschwindigkeit unterliegen kognitive Prozesse einer zeitlichen Limitierung [5].
Der minimale Zeitabstand, bei dem erstens zwei sequentiell angebotene Reize noch als getrennt-appliziert erkannt werden, und zweitens die zeitliche Abfolge der Seitenzuordnungen, die Reiz-Lateralität, noch fehlerfrei bestimmt werden kann, ist als Ordnungsschwelle (OS) definiert. Der experimentelle Zugang zur OS und der Terminus OS als solcher wird in den Forschungslaboratorien jedoch unterschiedlich gehandhabt [15]. In den nachfolgenden Ausführungen geht für die Ermittlung der OS nicht nur ein Wert (Scheitelwert), sondern der gesamte Kurvenverlauf der OS in die Bewertung mit ein [3].
Im Experiment werden in der Regel Klick-Reize (Rechteckimpulse, 1 ms) über Stereo-Kopfhörer appliziert, und der Proband hat die Aufgabe, per Knopfdruck (zwei Reaktionstasten) die Lateralität jeweils des ersten der beiden Klick-Reize zu signalisieren. Begonnen mit einem ISI von 300 ms wird nach jeder korrekten Antwort-Reaktion der Reizabstand des nachfolgenden Reiz-Paars um eine definierte Zeitgröße (τ) reduziert, bei Falsch-Reaktionen dagegen das ISI um den Faktor 4τ erweitert. Nach jeder Antwort-Reaktion erfolgte automatisch bei konstanter Zeitverzögerung die nächste Klickreiz-Applikation. Es wird angestrebt, je Test-Durchlauf die acht-Minuten-Grenze nicht zu überschreiten, um die Probanden trotz bestehender Stress-Situation während der Sitzungen auf vergleichbarem Vigilanz-Niveau zu halten. Die Datenerfassung wurde deshalb auf 200 Items begrenzt [Abb. 1]. Nach dem trial-and-error-Verfahren kann so innerhalb weniger Minuten die individuelle Ordnungsschwelle durch die Versuchsteilnehmer selbst ermittelt werden.
#Kritische Einwände
Nach Langzeituntersuchungen - geprüft über mehrere Wochen - hat sich die intraindividuelle OS der Probanden als relativ konstant erwiesen [4]. Dagegen waren deutliche interindividuelle Unterschiede innerhalb der Probandengruppe hinsichtlich der erhobenen OS-Datensätze festzustellen. Berücksichtigt wurden bei diesen Untersuchungen auch zirkadian-rhythmische Randbedingungen, um die Fehler-Streubreite beim Vergleich der Ergebnisse zu minimieren. Auffallend blieb dennoch der Befund, dass die (makroskopischen) Vigilanz-Niveaus und somit die Fehlerraten in vergleichbaren Situationen Unterschiede aufwiesen, die unsere Erwartungen übertrafen.
Aus der psychophysiologischen Literatur ist bekannt, dass die kognitive Leistung „Entscheidungsprozess”, auch die Erwartungsphase vor einem Reiz, von EEG-Oszillationen spezieller Frequenzbänder begleitet wird [11]. So wird u. a. auf Synchronisationen im Alpha- und Theta-Band verwiesen, EEG-Erregungen, die mit sensorischen und kognitiven Ereignissen in Zusammenhang stehen [1] [9]. Als Ursache dieser Frequenz-Ausprägungen kann die Synchronisation verarbeitender neuronaler Strukturen und damit auch eine Signal-Synchronisation im Rahmen der kognitive Stringenz[1] angenommen werden; das Frequenz-Oszillationsphänomen wird damit auf ein Zeitmaß zurückgeführt.
Unsere Überlegung zielte darauf ab, dass die beobachteten Leistungsunterschiede im Test, die Schwankungen in der Fehlerstreubreite, nicht nur mit einer stress-bedingten Vigilanzverschiebung erklärt werden können. Unter vergleichbaren Testbedingungen sollte für die Veränderungen des Vigilanz-Niveaus und damit für die kognitive Leistung eine weitere (periodische?) Größe von Bedeutung sein. Ein zusätzlicher Einflussfaktor auf kognitive Prozeduren, ein Mikro-Vigilanz-Shift (MVS), wird angenommen. Die zuständige Variable vermuten wir in der jeweiligen Phasenlage des EEG-Signals.
Zur Überprüfung dieser Hypothese sollte deshalb die Stabilitäts-Abhängigkeit kognitiver Prozesse vom Phasenwinkel des EEG-Signals überprüft werden. Bezüglich der o. g. OS-Testanordnung wurde der Zeitpunkt einer Reiz-Applikation mittels Triggerung durch den Alpha-Phasenwinkel φ vorgegeben [Abb. 3]. Unter dieser Voraussetzung ist zu erwarten, dass - im Gegensatz zu der (bislang verwendeten) stochastischen Klick-Applikation - aufgrund einer phasen-determinierten Reizung das OS-Prüfverfahren zu besser reproduzierbaren, somit stabileren Aussagen führt. Zumindest aber sind in den einzelnen Test-Serien nach unserer MVS-Hypothese Unterschiede in den Fehlerraten zu erwarten. In der vorliegenden Pilotstudie beschränkten wir uns auf Test-Serien mit den Phasenwinkeln φ = 0°, 90°, 180° und 270°.
#Gerätetechnische Voraussetzung
Eine Messanordnung [Abb. 4] wurde entwickelt, die den notwendigen Vorgaben entsprach: Das vom Probanden abgeleitete EEG-Signal (FP1/O2) wird mittels eines Schwarzer/Encephaloscript vorverstärkt und dem Alpha-Komparator als analoges Signal zugeführt. Nach Unterdrückung des HF-Rauschens wird aus dem EEG-Signal die Grundwelle extrahiert. Eine Alpha-Welle wird als solche erkannt, wenn zwei gültige und stabile Perioden auf einander folgen. Daraus wird die Periodendauer in Echtzeit berechnet und ein Triggerimpuls gesetzt. Die Phasenlage des Triggers ist am Gerät im Bereich φ = 0° ... 360° einstellbar. Damit wird der Zeitpunkt für den Start des auditiven Reizpaares durch den Generator (OSA) vorgegeben.
#Datenerfassung und Ergebnis
Die Untersuchungen fanden im EEG-Labor der Helios-Kliniken Erfurt statt. 16 freiwillige Probanden der Altersklasse 13 bis 52 Jahre (mittleres Alter 23,15) nahmen an den Untersuchungen teil. Die Ableitung des EEG erfolgte mittels eines Encephaloscript ED 24/16 von Mandaus-Schwarzer (Ableitpunkte FP1/O2). Für die Signalgewinnung wurde dieses Gerät gewählt, weil ein analoges Signal für die Steuerung des Komparators benötigt wird. Die Verarbeitung digitalisierter Signale war in dieser Version noch nicht vorgesehen.
Bei Versuchsbeginn wurden die Probanden instruiert, mit geschlossenen Augen sich auf die Reiz-Applikation zu konzentrieren und die Seitenzuordnung des jeweils ersten Klick-Reizes (s.o.) zu signalisieren.
OS-Testablauf und Datenerfassung erfolgten als Serie in fünf Blöcken: Block 0-4. Bei der determinierten Reiz-Applikation triggert dabei ein Komparator mit vorgegebenen Phasenwinkeln:
-
Block_0: Stochastische Reizung: Klickapplikation ohne Phasenbezug (immer am Anfang einer Test-Serie)
-
Block_1: Phasenbezug φ = 0°
-
Block_2: Phasenbezug φ = 90°
-
Block_3: Phasenbezug φ = 180°
-
Block_4: Phasenbezug φ = 270°.
Die Untersuchung erfolgte als Blindversuch, die zeitliche Abfolge der Blöcke 1 bis 4 wurde im Sinne des overcross variiert. Je Messwerte-Block waren 200 Items vorgegeben, zur Daten-Auswertung wurde jedoch nur die kritische zweite Kurvenhälfte (Item 101-200) verwendet: Das Integral bzw. die Summe aller Messwerte dieses Kurvenabschnittes wurde für die Leistungsbewertung herangezogen.
Zwei Ergebnisse konnten gewonnen werden:
-
Im Gegensatz zur stochastischen Reizdarbietungen (Block 0) traten in nahezu allen Fällen bei phasenbezogenen Reizvorgaben niedrigere Schwellen-Leistungen auf. Die resultierenden kürzeren OS-Zeitwerte stehen für gesteigerte kognitive Leistungen. Dies entspricht - verglichen mit der stochastischen Reizung - einem Vigilanzanstieg
-
Innerhalb der Gruppe der phasenbezogenen Reiz-Applikationen waren Unterschiede nachzuweisen. Hohe kognitive Leistungen, d. h. niedrige OS-Werte, traten in der Gruppe der Probanden bei den Phasenbezügen φ = 90° und φ = 270° auf. In Bild 5, der Wiedergabe eines Einzelbefundes, ist der prozentuale Zeitbedarf der phasenabhängigen Reizbedingungen, jeweils bezogen auf die phasen-unabhängige („stochastische”) Reizbedingung, bei den vier geprüften Phasenbezügen, dargestellt; vergleichsweise geringe Werte im Test treten bei φ = 90° und φ = 270° auf.
Für eine über das Gesamt-Kollektiv gemittelte prozentuale Darstellung [Abb. 6] konnten auf Grund von Störungen während der Messung nur zwölf der 16 Datensätze in die Betrachtung einbezogen werden. Auch diese zusammenfassende Ergebnisbewertung stützt die Aussage, dass eine Korrelation zwischen Phasenwinkel der Reizapplikation und der kognitiven Leistung vorliegt. Bei diesen zwölf Probanden zeigen sich Abweichungen zwischen den Reizbedingungen φ = 0° / 180° und φ = 90° / 270°. Dabei zeigten sich in der erstgenannten Gruppe höhere Fehlerraten als in der letztgenannten.
Zur statistischen Auswertung wurde der nicht-parametrische Wilcoxon-Test verwendet. Dies empfiehlt sich bei kleinen Stichproben. Die Berechnungen wurden mit dem Modul EXACT durchgeführt. Nach diesem Auswerteverfahren ergibt sich für die zweiseitige Signifikanz zwischen der stochastischen Messung und allen phasenbezogenen Messungen ein Wert von p≤0,001. Dies zeigt, dass sich die phasenbezogenen Reizungen im Test hinsichtlich der Fehlerraten signifikant von den stochastischen Reizungen unterscheiden. Im folgenden wurden Mittelwerte gebildet aus den Messwerten bei den Phasenbezügen w = 0° und 180° und bei φ = 90° und 270° und diese Werte gegeneinander getestet. In den erstgenannten Phasenbezügen zeigten sich höhere Fehlerraten als in den letztgenannten. Die Analyse zeigt, dass sich diese Mittelungen mit p = 0,063 tendenziell signifikant unterscheiden, was Hinweise gibt auf unsere Vermutung, dass bestimmte Prävalenzen im Phasenbezug vorliegen. Auf Grund des explorativen Charakters der Studie wurde auf eine Alpha-Justierung verzichtet.
#Diskussion
Die Gesamteinschätzung unserer Messergebnisse lässt den Schluss zu, dass phasenbezogene Reizung signifikant bessere Ergebnisse liefert als stochastische Reizung. Bei unseren Untersuchungen mit zwölf Probanden ergab sich zudem, dass bei den Phasenwinkeln von 90° und 270° im Mittel die geringsten Fehlerraten auftraten.
Die vergleichsweise geringe Anzahl der Probanden lässt jedoch noch nicht den Schluss zu, dass die Reizung bei Phasenwinkel von 90° und 270° grundsätzlich zu besseren Ergebnissen im Kognitions-Test führen. Vielmehr sollte in einer weiteren Untersuchung geprüft werden, ob bzgl. der Phasenwinkel und der auftretenden Fehlerraten interindividuelle Prävalenzen nachzuweisen sind.
Die Vigilität, die Wachheit des Organismus im Sinne der Bereitschaft, auf zufällige oder auch selten auftretende Ereignisse zu reagieren, wird per definitionem in drei Teilaspekte aufgegliedert [16]:
-
den relaxierten Wachzustand (relaxed wakefulness)
-
den Zustand der wachen Aufmerksamkeit (alert attentiveness) und
-
den Zustand starker Erregung (strong excited motion).
Nach unserem Verständnis handelt es sich bei diesen Formen um vergleichsweise niederfrequente Schwankungen der Vigilanz. Unsere Definition einer zusätzlichen Vigilanz-Komponente, des Mikro-Vigilanz-Shifts, ist im Sinne einer „Modulation” z.B. der alert attentiveness zu verstehen: in Abhängigkeit vom EEG-Phasenwinkel sind kurzzeitige Vigilitäts-Schwankungen zu vermuten, und diese Verschiebungen des Vigilanz-Niveaus bilden die Ursache für die unterschiedlichen Fehler-Auftrittswahrscheinlichkeiten im OS-Test.
Die vorgestellten Ergebnisse stützen unsere Hypothese, wonach - zumindest im Falle auditiver Reizung - eine kontinuierliche Verarbeitung auf kognitiver Ebene nicht erfolgt. Vielmehr muss angenommen werden, dass nur in definierten Zeitfenstern bei hoher Vigilanz optimale Verarbeitungsbedingungen bestehen, es sind (nicht-statische) Zeitintervalle, die sich durchaus auch durch eine Dynamik ausweisen. Interessant hierzu ist die subjektive Bewertung des jeweiligen Schwierigkeitsgrades, wie es eine Probandin zu Protokoll gab: Die Aufgabe sei leicht, erfolge mit Lust, spielerisch etc. (φ = 90°), oder aber, die Bewältigung der Aufgabe erfolgte unter großen innerem Aufwand, nur mit Widerwillen (φ = 0°). Ein emotionaler Faktor könnte hier zusätzlich angesprochen sein, der sich über die Motivation beeinträchtigend auf die kognitive Leistung auswirkt.
Bei Betrachtung der Resultate erhebt sich die Frage, warum die stochastische Reizbedingung, verglichen mit allen vier phasenbezogenen Darbietungen, bezüglich der kognitiven Leistungen schlechter abschneidet, somit zu höheren OS-Werten führt. Es ist ein Befund, der in den Datensätzen nahezu aller Probanden zu beobachten ist. Eine erste Vermutung, wonach durch den eingangs erfolgenden Block_0 (s.o.) ein Lernprozess zur allmählichen Leistungssteigerung führen könnte, und deshalb immer der erste Durchgang (hinsichtlich der OS-Werte) benachteiligt ist, musste aus zwei Gründen fallengelassen werden: Zum einen gelangten nur die Werte Item 101-200 jeder Kurve zur Auswertung, ein messbarer Lernprozess nach bereits 100 Items kann hier ausgeschlossen werden. Zum anderen wurden einige Probanden nach beendeter Sequenz der fünf Durchgänge einer zusätzlichen Messung (stochastische Reizung) unterworfen; es war eine Wiederholung von Block_0. Diese sechste Messung war im Ergebnis nahezu identisch zur Eingangsmessung (Block_0). Auffallend aber war der Ergebnisunterschied bei den Konstellationen zweier zeitlich benachbarter Sequenzen (Bedingungen: φ = 90°, stochastische Applikation).Vergleichbare hohe kognitive Leistungen (geringe OS-Werte) standen deutlich schlechteren Leistungen (im sechsten Durchgang) gegenüber. Wegen allgemeiner zunehmender Ermüdung über den gesamten Versuchsablauf sollten aber solch gravierende Unterschiede in diesen beiden benachbarten Testläufen nicht zu beobachten sein. Eine überzeugende Erklärung für diese o.g. Frage kann somit zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben werden.
Dagegen kann für den Befund einer kognitiven Optimierung bei ausgewählten Phasenbezügen (z.B. φ = 90°) nachfolgende Erklärung vorgeschlagen werden. Dieser Erklärungsansatz wird auch durch Literaturhinweise gestützt. Danach ist es denkbar, dass kognitive Prozeduren nur in definierten Zeitfenstern erfolgen, und diese Zeit-Taktung selbst Resultat komplexer zentraler Prozeduren ist [7]. Dabei wird die Annahme vertreten, dass die Hör-Gedächtnisleistung als Bestandteil sematischer Prozeduren diskontinuierlich ist - Schneider definiert die Hör-Merkspanne der auditiven Wahrnehmung als eine von Kurzzeitgedächtnis, Konzentration und Aufmerksamkeit abhängige Fähigkeit [12]. Alternierende Zeitfenster beeinträchtigen nach diesem Verständnis die Kontinuität kognitiver in-situ-Leistungen, und der beobachtete Phasen-Leistungsbezug hinsichtlich der OS-Werte könnte hierin eine Erklärung finden. Roth verweist auf psychologische Befunde, wonach die semantische Informationsverarbeitung über mehrere Prozesse zu verfolgen ist, und Reizinhalte über Kurzzeitgedächtnis und eine Konsolidierungsphase in das Langzeitgedächtnis gelangen [10]. Dass diese unterschiedlichen Verarbeitungsphasen wegen ihrer Komplexität einem strengen Timing unterliegen und damit der Zeitbasis kognitiver Prozeduren ein entscheidender Stellenwert zukommt, kann vorausgesetzt werden. Auch aufgrund eigener Befunde können wir diese Hypothese erhärten, wobei wir zusätzlich die Annahme vertreten, dass die zeitlichen Strukturen mentaler Leistungen als Korrelat im Alpha-Rhythmus des EEG auftreten, und die beobachteten Mikro-Vigilanzschwankungen über die Zeitbasis der verrechnenden neuronalen Einheiten zu erklären sind.
Die hier vorgestellten Untersuchungen zum auditiven OS-Test konzentrieren sich bislang auf den Phasenbezug des Alpha-EEG's. Im Gegensatz zur visuellen Reizgebung sind bei Probanden mit geschlossenen Augen die EEG-Alpha-Wellen gut ausgeprägt. Ob auch (in Analogie zur auditiven Reizung) nach visueller Reizgebung ausgewählte Phasenbezüge im Beta-Band (13-20 Hz) mit kognitiven Verarbeitungsleistungen korrespondieren, muss erst noch überprüft werden. Aus gedächtnispsychologischer Sicht scheint die hier angesprochene Fragestellung auch von grundsätzlicher Bedeutung zu sein. Die Wirkungsweise einer elementaren Gedächtnisfunktion lässt sich mit unserem Ansatz überprüfen. Unter dieser Voraussetzung kann der hier vorgestellte Befund als Beitrag zum tieferen Verständnis kognitiver Prozeduren gewertet werden.
#Danksagung
Wir danken Herrn Dipl.-Psych. Alexander Georgi, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim, für Beratung und Unterstützung bei den statistischen Auswertungen.
#Literatur
- 1 Basar E. et al. . Gamma, alpha, delta and theta oscillations govern cognitive processes. Int J Psychophysiology. 2001; 39 241-248
- 2 Kühn-Inacker H, Weinmann S. Training der Ordnungsschwelle - Ein Ansatz zur Förderung der Sprachwahrnehmung bei Kindern mit einer Zentralen Auditiven Verarbeitungsstörung (ZAVS)?. Sprache - Stimme - Gehör. 2000; 24 119-125
- 3 Maier R. Besteht eine Beeinträchtigung der ZNS-Aktivität durch gepulste elektromagnetische Felder?. Biomed. Technik. 2001; 46 18-23
- 4 Maier R, Keilmann A. Die Ordnungsschwelle und die Bewertung zentraler auditiver Leistungen. Untersuchungen zur Zeitstruktur kognitiver Prozesse. In: Gross M (Hrsg.). Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte. Berlin, Renate Gross Verlag 1997: 300-304
- 5 Maier R, Schöler H, Holm-Stett B. Der Ordnungsschwellen-Referenzquotient: Eine Untersuchung zur Messung von Sprachtherapieerfolgen. Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2000/2001. Heidelberg, Median 2001: 164-166
- 6 Meister H. et al. . Auditive Ordnungsschwellen normalhörender Versuchspersonen. Sprache - Stimme - Gehör. 2000; 24 65-70
- 7 Merzenich M. et al. . Temporal processing deficits of language-learning impaired children ameliorated by training. Science. 1996; 271 77-81
- 8 Pöppel E. Temporal mechanisms in perception. Int Re. Neurobiol. 1994; 37 123-129
- 9 Rom D. et al. . The role of theta and alpha oscillations for language comprehension in the human electroencephalogram. Neurosci Lett. 2001; 310 137-140
- 10 Roth G. Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Frankfurt, Suhrkamp 2001
- 11 Sauseng P. et al. . The interplay between theta and alpha oscillations in the human electroencephalogram reflects the transfer of information between memory systems. Neurosci Lett. 2002; 324 121-124
- 12 Schneider H. Verringerte Hörmerkspanne oder Beeinträchtigung im Sinnesverständnis?. Sprache - Stimme - Gehör. 1985; 9 47-51
- 13 Spitznagel A, Macek U. Auditiver Fusionspunkt bei Nichtsprachauffälligen und Sprachauffälligen verschiedener Altersgruppen. Forschungsbericht. Gießen, Univ. Gießen. FB Psychologie, Sprachpsychologie 1994
- 14 Tewes U. Forschungsbericht über das Forschungsvorhaben zum Einsatz des Brain-Boy-Universal und des Lateraltrainers nach Warnke. Hannover, Med. Hochschule, Abt Med. Psychologie. 2002;
- 15 Warnke F. Der Takt des Gehirns. Freiburg, VAK Verlag 1995
-
16
www://medpsych.uni-freiburg.de/OL/glossar/body-vigilanz.htm
1 Zeit-Stringenz kognitiver Prozesse - Verrechnung in den neuronalen Strukturen: gleicher Zeitbedarf bei identischen Verarbeitungsschritten
#Korrespondenzadresse:
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Klinik für Kommunikationsstörungen, Universität Mainz
55101 Mainz
Literatur
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16
www://medpsych.uni-freiburg.de/OL/glossar/body-vigilanz.htm
1 Zeit-Stringenz kognitiver Prozesse - Verrechnung in den neuronalen Strukturen: gleicher Zeitbedarf bei identischen Verarbeitungsschritten
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