psychoneuro 2004; 30(8): 414-415
DOI: 10.1055/s-2004-833523
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

7. Medtronic Activa®-Forum - Tiefe Hirnstimulation - State of the Art

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Publication Date:
10 September 2004 (online)

 
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Die tiefe Hirnstimulation (DBS) bei fortgeschrittenem idiopathischen Parkinson-Syndrom hat sich in den letzten Jahren zu einer wichtigen Behandlungsoption entwickelt. Wie Prof. Dr. Deuschl, Universitätsklinikum Kiel, auf dem 7. Medtronic Activa®-Forum vorstellte[1], zählt sie mittlerweile nicht nur zu den effektivsten neurochirurgischen Optionen, sondern auch zu den am schnellsten wachsenden Gebieten der Medizin. Knapp 30000 Patienten leben bereits mit dem so genannten Activa®-System (Abb. [1]).

Allein in Deutschland leiden rund 250000 Patienten an Parkinson, pro Jahr erkranken 15000 Menschen neu. Das Hauptproblem bei der Behandlung dieser Patienten sind die im fortgeschrittenen Stadium auftretenden Wirkungsfluktuationen, Dyskinesien, Dystonien und off-Zustände. Alle vier Kernsymptome der Parkinson-Krankheit, Akinese, Rigor, Tremor und posturale Instabilität, sowie die Dyskinesien und Dystonien sprechen gut auf die tiefe Hirnstimulation an.

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Indikationen für die tiefe Hirnstimulation

  • Schwere motorische Beeinträchtigungen

  • Permanenter hochamplitudiger Tremor, der zu funktionellen Beeinträchtigung führt

  • Schwere Akinese bei repetitiven Bewegungen; z.B. Unfähigkeit, aus einem Stuhl aufzustehen oder sich im Bett umzudrehen

  • Deutlich kleinschrittiger Gang, Freezing mit Stürzen, Unfähigkeit, ohne fremde Hilfe zu gehen

  • Funktionelle Beeinträchtigung der Bewegung in einer Körperregion durch Dyskinesien

  • Schwere, schmerzhafte off-Phasen-Dystonie.

Patienten mit nicht-idiopathischen Parkinson-Syndromen (z.B. Multisystematrophie, Lewy-Körperchen-Demenz etc.) scheinen dagegen nicht optimal von dieser Behandlungsmethode zu profitieren. Nur Patienten, die erwiesenermaßen gut auf L-DOPA ansprechen, sollten daher für dieses reversible stereotaktische Verfahren ausgewählt werden. Ausschlusskriterien sind schwere und objektive Beeinträchtigung, Patienten mit schweren Allgemeinerkrankungen, Depressionen, Demenz, Sturzneigung oder voraussichtlichen neurochirurgischen Kontraindikationen (ausgeprägte Hirnatrophie, Blutungsneigung).

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Was können die Patienten erwarten?

Wie Jens Volkmann, Kiel, vorstellte, wurden in den bisher vorliegenden Zwei-Jahres-Studien motorische Verbesserungen um rund 55% erzielt. Insbesondere Dyskinesien sprechen gut auf die Behandlung an (Abnahme um rund 80%). In der Zulassungsstudie der Parkinson's Disease Study Group [2] wurde eine Abnahme der Dyskinesien um 57,9% beobachtet, die off-Zeiten nahmen um 51,3% ab.

Der Behandlungserfolg bleibt auch langfristig erhalten, wie Krack et al. in einer prospektiven Studie über fünf Jahre belegen konnten [1]. Die Patienten mit fortgeschrittenem idiopathischen Parkinson-Syndrom erzielten in allen motorischen Symptomen signifikante Verbesserungen im Vergleich zu den Ausgangswerten (Tab. [2]).

Tremor und Rigidität waren auch fünf Jahre nach der Operation (beidseitige und kontinuierliche Stimulation des Nucleus subthalamicus) deutlich verringert. Im Durchschnitt lag die motorische Funktionsfähigkeit der Patienten nach fünf Jahren ohne Medikamente 54% über dem Ausgangswert, obwohl die Progression der Erkrankung durch die tiefe Hirnstimulation nicht aufgehalten werden kann. Schmerzhafte Dystonien im off-Zustand wurden bei den meisten Patienten nicht mehr beobachtet. Auch die Lebensqualität der Patienten hatte deutlich zugenommen. Die Aktivitäten des täglichen Lebens verbesserten sich um 49%. Die meisten Patienten, die zuvor alle auf pflegerische Unterstützung angewiesen waren, konnten auch fünf Jahre nach der Operation ihren Alltag selbstständig meistern.

Für die Patienten selbst ist der wichtigste Effekt die Beeinflussung der akinetischen Fluktuationen im Tagesverlauf, d.h. der sogenannten off-Zeit. Unter der tiefen Hirnstimulation wird diese off-Zeit deutlich reduziert: Die Zeit der on-Zeit ohne Dyskinesien nahm in den Studien von durchschnittlich 23% des Tages auf 53% zu (Abb. [1]). Auch die Qualität der on-Zeit verbesserte sich relevant.

Ein weiterer positiver Effekt der Stimulation ist der deutlich verringerte Medikamentenbedarf.

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Risiken und Nebenwirkungen der tiefen Hirnstimulation

Die tiefe Hirnstimulation gilt als gut verträgliche Behandlung. Wie bei jedem operativen Verfahren können jedoch operative Komplikationen und technische sowie stimulationsinduzierte Nebenwirkungen auftreten. Außerdem sind therapieassoziierte unerwünschte Effekte, das Persistieren von off-Symptomen, Effekte der Medikamentenreduktion sowie Probleme der Anpassung an die neue Lebenssituation ("Burden of Normality") möglich. Intrazerebrale Blutungen durch kleinere Gefäßverletzungen treten bei etwa 2% der Patienten auf und heilen in der Regel ohne Folgen ab. Vorübergehende therapiebedingte Nebenwirkungen, z.B. Verwirrtheitszustand, Psychose, depressive Störungen, hypo- oder manische Episoden, werden nach den Untersuchungen aus Kiel (n=50) bei etwa 2-20% der Patienten beobachtet und können durch eine Anpassung der Stimulationsintensität beseitigt werden. Neuropsychologische Nebenwirkungen wie Depressivität und Anhedonie sind vermutlich auch auf die postoperativ erforderliche Reduktion der dopaminergen Medikation zurückzuführen (L-Dopa-Entzugssyndrom). In den ersten Wochen nach der Operation klingen die Nebenwirkungen in der Regel vollständig ab.

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Ein implantierbarer Stimulator, ähnlich wie ein Herzschrittmacher, stimuliert elektrisch eine genau gezielte Region im Hirn, um die Symptome der Krankheit zu behandeln

Insgesamt handelt es sich bei der tiefen Hirnstimulation um ein sicheres Verfahren, wenn die Ausschlusskriterien und Indikationen genau beachtet werden und der Eingriff in einem versierten Zentrum durchgeführt wird.

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Durchführung der tiefen Hirnstimulation

Häufigster Zielpunkt für die tiefe Hirnstimulation ist heute der Nucleus subthalamicus (STN), die Stimulation im Globus pallidus internus oder Nucleus ventralis intemedius des Thalamus werden nur noch bei besonderen Fällen empfohlen. Alternative Läsionen, die mit einem hohen Nebenwirkungsrisiko behaftet sind, wurden in den letzten Jahren zunehmend durch die tiefe Hirmstimulation abgelöst, erklärte Prof. Alfons Schnitzler, Düsseldorf. Die Überlegenheit des reversiblen stereotaktischen Eingriffs konnte jetzt auch in der ersten randomisierten und kontrollierten Vergleichsstudie zwischen der tiefen Hirnstimulation und der Palledotomie bestätigt werden [1]. Beispielsweise verbesserten sich die Parkinson-Symptome während des off-Zustands in der Stimulationsgruppe um durchschnittlich 49%, in der Pallidotomiegruppe nur um 20%. Auch hinsichtlich der on-Phasen, mittlerer Dyskinesiedauer und präoperativen Medikamentenbedarfs profitierten die Patienten deutlich stärker von der Stimulation.

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Kosten

Die tiefe Hirnstimulation ist eine anerkannte Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung, die sich in den entsprechenden Leistungskatalogen wiederfindet. In der Krankenhausfallpauschalenverordnung 2004 wurde die Finanzierung der stationären Leistung erstmals durch DRGs (Fallpauschalen) zuzüglich Zusatzentgelte (ZE27) für explizit dieses Verfahren aufgenommen. Problematisch ist die unbefriedigend geregelte Budgetsituation im Krankenhaus. Sie hat bereits zu Diskussionen über Rationierung geführt. Um diese für Ärzte wie Patienten gleichermaßen unerträgliche Situation abzuwenden, setzen sich die relevanten Fachgesellschaften (DGNC, DGN), Krankenhäuser und betroffene Patientengruppen mit Nachdruck dafür ein, dass die tiefe Hirnstimulation bei der Budgetbereitstellung angemessen berücksichtigt wird.

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Fallbeispiel

Ein 54-jähriger Patient mit akinetisch-rigidem Parkinsonsyndrom, der im Alter von 44 Jahren erkrankt war. Der Patient war fast durchgehend im on-Zustand mit deutlich choreatiformen Dyskinesien. Die Medikation betrug präoperativ 1250 mg L-Dopa und zusätzlich Entacapon. Der Patient arbeitete trotz seiner Behinderung erfolgreich als Rechtsanwalt mit eigener Praxis.

Zwei Wochen nach der OP konnte der Patient nach Hause entlassen werden. Die Medikation wurde auf 1-2 mg Cabaseril/die reduziert. Drei Wochen später begann der Patient wieder zu arbeiten. Die Dyskinesien waren unter der Stimulation vollständig zurückgegangen.

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Literatur

  • 1 Esselink RA , et al.  . .  Neurology. 2004;  62(2) 201-207
  • 2 Deep-Brain Stimulation for Parkinson's Disease Study Group.  N Engl J Med. 2001;  345 956-963
  • 3 Krack P , et al.  . .  N Engl J Med. 2003;  349(20) 1925-1934

02 7. Medtronic Activa®-Forum am 12.-13.03.2004 in Berlin

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Literatur

  • 1 Esselink RA , et al.  . .  Neurology. 2004;  62(2) 201-207
  • 2 Deep-Brain Stimulation for Parkinson's Disease Study Group.  N Engl J Med. 2001;  345 956-963
  • 3 Krack P , et al.  . .  N Engl J Med. 2003;  349(20) 1925-1934

02 7. Medtronic Activa®-Forum am 12.-13.03.2004 in Berlin

 
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Ein implantierbarer Stimulator, ähnlich wie ein Herzschrittmacher, stimuliert elektrisch eine genau gezielte Region im Hirn, um die Symptome der Krankheit zu behandeln

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