B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2004; 20(6): 242-244
DOI: 10.1055/s-2004-832430
RECHT

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Rechtliche Problematik der Behandlung von Patienten durch Bewegungs- und Sporttherapeuten

Teil 1E. Boxberg1
  • 1Justiziar des DVGS e. V., Hürth
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Publication Date:
22 December 2004 (online)

Seit ca. einem halben Jahrhundert gehen die Mitglieder der medizinischen Fachberufe (früher Heilhilfsberufe) davon aus, dass die Behandlung von Patienten nur legal ist, wenn eine hierfür ausgestellte ärztliche Verordnung vorliegt. Für unsere Mitglieder würde dies bedeuten, dass die Aufnahme in die Therapieeinrichtung und die Abgabe von zulässigen Leistungen an die Vorlage einer solchen Verordnung gebunden wäre. Patienten ohne ärztliche Verordnung müssten weggeschickt werden. Diese Rechtsansicht scheint einzuleuchten, wenn man die Tätigkeit des nichtärztlichen medizinischen Assistenten als „Heilhilfstätigkeit” qualifiziert. Zur Heiltätigkeit - des Arztes - käme die Hilfstätigkeit - des Therapeuten - hinzu. Es könnte einleuchten, dass eine solche Hilfstätigkeit erlaubtermaßen nur stattfinden kann, wenn sie Hand in Hand geht mit der Heiltätigkeit, wenn sie also vom heilenden Arzt veranlasst ist oder von ihm verordnet wurde. Einer solchen Rechtsansicht wohnen jedoch Fehler inne. Rechtsdogmatisch ist es nicht so, dass nur der Arzt heilt und die Träger anderer Medizinberufe hierbei helfen. Es ist auch nicht so, dass sich das Delegationsrecht des Arztes auf alle anderen in der Medizin tätigen Berufsträger erstreckt. Am entscheidendsten ist jedoch, dass im Gesetz ein solcher hierarchischer Aufbau nicht zu finden ist. Eine Grundregel des Gesetzes ist: Was nicht ausdrücklich verboten ist oder gegen die guten Sitten verstößt, ist grundsätzlich, d. h. in aller Regel, erlaubt. Man müsste also, um eine sichere Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu finden, das Gesetz durchforsten und versuchen festzustellen, ob sich eine gesetzliche Regelung finden lässt, die den Mitgliedern der medizinischen Fachberufe gebietet, nur auf ärztliche Verordnung hin tätig zu werden oder umgekehrt, es ihnen verbietet, ohne ärztliche Verordnung Patienten zu behandeln. Bei der Suche nach einer Fundstelle stößt man auf das Heilpraktikergesetz. Dies besagt in § 1: „Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis.” Gleich im zweiten Absatz definiert das Gesetz den Begriff der Heilkunde: „Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.”

Wenden wir uns zunächst dem Begriff der Heilkunde zu. Nach der Legaldefinition des HPG kann sie nur am kranken Menschen vollzogen werden, weil sie jede Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von „Krankheiten, Leiden oder Körperschäden” ist. Die Begriffe „Krankheit”, „Leiden”, „Körperschäden” wurden vom Bundesverwaltungsgericht schon 1963 definiert. Krankheit ist „jede, also auch eine nur unerhebliche oder vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers, die geheilt, d. h. beseitigt oder gelindert werden kann und nicht nur eine normale Schwankung der Leistungsfähigkeit, der jeder Körper ausgesetzt ist, darstellt”; „Leiden” sind „lang anhaltende, häufig, kaum oder gar nicht mehr therapeutisch beeinflussbare Funktionsstörungen”; „Körperschäden” sind „grundsätzlich irreparable Veränderungen des Zustandes oder der Funktion des Körpers, einzelner Organe oder Organteile, die keine Krankheit (nach der vorangegangenen Definition) sind”. Auf den Begriff der „krankhaften Beschwerden” hätte der Gesetzgeber besser verzichtet, da er hierdurch mehr Verwirrung als Klarheit geschaffen hat; es sollen Zustände sein, die „von der gesundheitlichen Norm abweichend anzusehen sind”. Wir müssen noch einmal zurückgehen und fragen, was will das Heilpraktikergesetz überhaupt. Die Antwort lautet: Das Heilpraktikergesetz entscheidet über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Therapierfreiheit. Therapierfreiheit bedeutet wiederum, dass es den medizinischen Laien erlaubt ist, zu therapieren. Das Gegenteil von Therapierfreiheit ist Therapierverbot. Dies besagt, dass es den medizinischen Laien untersagt ist, zu therapieren. Therapierfreiheit und Therapierverbot haben sich in der Geschichte unseres Landes und anderer europäischer Länder in bunter Reihenfolge abgewechselt. Es gab Zeiten, da konnte jeder Nichtarzt Personen behandeln und lief nur dann Gefahr, staatlichen Sanktionen unterzogen zu werden, wenn hierdurch eine Person ihr Leben ließ. Es gab auch Zeiten, in denen es nicht nur den Laien untersagt war zu therapieren, sondern dem Patienten bei Strafe verboten war, sich von Laien behandeln zu lassen.

Das Heilpraktikergesetz wendet sich also in erster Linie an den medizinischen Laien und regelt dessen Berechtigung zur Behandlung von kranken Personen. Man sollte an dieser Stelle auch hinterfragen, welchen Zweck das Gesetz mit seiner Regelung verfolgte. Zur Zeit des Ersten Weltkrieges und in den Jahren danach waren Kurpfuscherei und Scharlatanerie im Gesundheitswesen in Mode gekommen. Das Heilpraktikergesetz versuchte, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Dies sollte durch den § 2 erfolgen, der bestimmte: „Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, bisher berufsmäßig nicht ausgeübt hat, kann eine Erlaubnis nach § 1 in Zukunft nur in besonders begründeten Ausnahmefällen erhalten.” Daraus geht die gesetzgeberische Absicht hervor: Der Besitzstand sollte gewahrt werden und den tätigen Heilpraktikern ihre Berufserlaubnis erhalten bleiben. Neue Heilpraktiker sollten nicht mehr nachwachsen können (nur in begründeten Ausnahmefällen), sodass erwartet wurde, dass der Heilpraktikerberuf in längstens einem halben Jahrhundert ausstirbt.

Das Gegenteil war der Fall. Das Heilpraktikerwesen hat eine nicht geahnte neue Blütephase erreicht. Wie konnte dies passieren? Das Heilpraktikergesetz entstand im Jahre 1939 und wurde am 20.2.1939 im Reichsgesetzblatt verkündet. Einige Jahre später bekam die Bundesrepublik Deutschland durch das Grundgesetz ihre neue Verfassung. In Artikel 12 erhielt die Berufsfreiheit ihre Verfassungsgarantie. Jeder konnte ungehindert von allen denkbaren einschränkenden Gesetzen den Beruf seiner Wahl ergreifen und ausüben. Ausübungseinschränkungen sind nur aufgrund gesetzlicher Maßnahmen zulässig.

Der Heilpraktiker übt einen Beruf aus, wenngleich die ihn zum Heilpraktiker befähigende Prüfung kein positives Fachwissen verlangt, sondern Kenntnisse über die Grenzen der Heilpraktikerbefugnis voraussetzt. Dennoch schützte die verfassungsmäßig garantierte Berufsfreiheit die Heilpraktiker nach Erlass des Grundgesetzes davor, nur noch in besonders begründeten Ausnahmefällen diesen Beruf ergreifen zu können. Dieser Vorbehalt fiel dem Rotstift des Verfassungsgesetzgebers zum Opfer.

Wenden wir uns wieder dem Heilpraktikergesetz zu, dessen Bedeutung oder besser dessen Problematik durch die geschilderten Ereignisse gestiegen ist. Es fällt auf, dass diesem Gesetz wesentliche Mängel anhaften. Heilkundliche Tätigkeit kann sich nach den Vorschriften des Heilpraktikergesetzes nur am kranken Menschen (Krankheit, Leiden, Körperschäden, krankhafte Beschwerden) vollziehen. Über die heilkundliche Tätigkeit am gesunden Menschen sagt das Heilpraktikergesetz nichts aus. Bei Anwendung des Satzes, dass das erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist oder gegen die guten Sitten verstößt, bedeutet dies: Am gesunden Menschen können von jedem medizinischen Laien heilkundliche Eingriffe vorgenommen werden. Das würde bedeuten, dass alle chirurgisch indizierten Operationen (Schönheitsoperationen) und alle vorsorglich vorgenommenen Operationen (Astronaut lässt sich vor dem Flug ins All vorsorglich den Wurmfortsatz entfernen) vom Laien vorgenommen werden dürfen, ohne dass dieser mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Sogar der Heilschwindler - der gar nicht heilen, sondern betrügen will - käme ungestraft (jedenfalls nach den Regeln des Heilpraktikergesetzes) davon. Da dies nicht gewollt sein konnte (und nur auf einem groben Fehler des Gesetzgebers beruhte), musste dieser Zustand durch die Rechtsprechung nachgebessert werden, im Übrigen auch deshalb, weil die gesamte Prävention den medizinischen Laien anheim gegeben war (weil sich diese auch am gesunden Menschen vollzieht). Das Gesetz war in diesem Punkt zu eng ausgefallen: Es erfasste Sachverhalte nicht, die von einem guten, sachorientierten Gesetz erfasst worden wären.

Auf der anderen Seite ist das Gesetz zu weit gefasst. Es werden Sachverhalte behandelt, deren Regelung sinnlos erscheint. Wenn nur approbierte Ärzte und Heilpraktiker berechtigt sein sollen, zu diagnostizieren und zu therapieren, dann ist dies dem Medizinstudenten verwehrt, obwohl er - vorwiegend in den klinischen Semestern - nichts anderes als dies tun muss, um sein Berufsziel später verwirklichen zu können. Sollte das Gesetz in diesen Fällen nach der redaktionellen Fassung Anwendung finden, so könnte es allenfalls dazu dienen, die medizinische Wissenschaft zum Stillstand zu bringen.

Ähnliches gilt jedoch auch für die vielen Berufe und Berufsträger, die sich mit medizinischen Aufgaben befassen, ohne Arzt zu sein. Nach dem Wortlaut des - ungeheuer misslungenen - Heilpraktikergesetzes dürften Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten, Hebammen oder Diätassistenten nur noch unter ständiger Aufsicht eines Arztes oder Heilpraktikers tätig sein. Eine Tätigkeit in eigener Praxis nach Verordnung oder auch ohne Verordnung eines Arztes wäre unzulässig.

Es kommt leider gar nicht so selten vor, dass der Gesetzgeber das selbst gesteckte Ziel verfehlt. In solchen Fällen kann er nachbessern. Das wird jedoch wegen anderer, dringlicher erscheinender Aufgaben nicht allzu häufig gemacht. In den verbleibenden Fällen hat die Rechtsprechung nachzubessern, im konkreten Fall, hier, um berufssoziologische Fehler zu vermeiden. Im Falle des Heilpraktikergesetzes waren hierzu mehrere Schritte notwendig. Die zu enge Fassung des Gesetzes wurde dadurch korrigiert, dass man das Gesetz nicht nur in den Fällen für anwendbar erklärte, wenn es darum ging, Krankheiten, Leiden oder sonstige körperliche Beschwerden zu erkennen und zu behandeln, sondern immer dann, wenn ärztliches Fachwissen erforderlich erscheint. Das redaktionell nachgebesserte Gesetz würde demzufolge lauten: „Ausübung der Heilkunde ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden beim Menschen sowie jede Tätigkeit, die ärztliches Fachwissen darüber hinaus voraussetzt, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.” Mit dieser Korrektur subsumierte man den chirurgisch indizierten und vorsorglich vorgenommenen operativen Eingriff unter das Heilpraktikergesetz (obwohl auch die heute lesbare Fassung des Gesetzestextes dies keineswegs erkennen lässt).

Die zu weite Erfassung des Gesetzes korrigierte man dadurch, dass man die Berufsgesetze und Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen der Mitglieder der medizinischen Fachberufe zu leges speciales des Heilpraktikergesetzes machte, indem man diesen Berufsgesetzen und ergänzenden Verordnungen eine das Heilpraktikergesetz ergänzende Berufsausübungslegitimation zusprach. Dies ist nur unvollkommen gelungen. Viele heilkundliche Berufe haben kein Berufsgesetz. Sporttherapeuten oder Kunsttherapeuten z. B. werden an Fachhochschulen oder Hochschulen ausgebildet, ohne dass diese Ausbildung sich nach bundesweit geltenden Berufsgesetzen oder Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen zu richten hätte. Maßgeblich sind hier hochschuleigene Satzungsregelungen. Es war also weiterhin nachzubessern, damit auch die Ausbildungsregeln dieser Berufe den rechtlichen Status von leges speciales besitzen. Bis dahin sollten allerdings noch viele Jahre vergehen. Wie das Heilpraktikergesetz zu falschen Rechtsanwendungen verleiten kann, soll an dem folgenden Beispiel erläutert werden. Das Verwaltungsgericht Oldenburg hatte in einem bestimmten Fall zu untersuchen, ob die selbstständige Tätigkeit eines Masseurs und med. Bademeisters, der u. a. die Fußreflexzonentherapie ausübte, rechtmäßig sei oder nicht. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der betroffene Masseur und med. Bademeister nur tätig werden dürfe, wenn ein Arzt oder Heilpraktiker ihn unmittelbar beaufsichtigen und seine Tätigkeit kontrollieren könnte. Hieran knüpfte das Gericht die aus juristischen Gründen fast zwangsläufige Folgerung, dass der Masseur mit dem Arzt durch einen Anstellungsvertrag verbunden sein müsse. Das Verwaltungsgericht bezeichnete die selbstständige Betätigung des Masseurs in eigener Praxis als unzulässig. Angesichts der bereits seit 60 Jahren sich selbstständig betätigenden Mitglieder medizinischer Fachberufe erschien das Ergebnis - obwohl das Gesetz wortgetreu angewandt wurde - unhaltbar. Die Angelegenheit wurde im Berufungsverfahren an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht getragen. Das Oberverwaltungsgericht, das das - offensichtlich redaktionell misslungene - Heilpraktikergesetz nachbessern musste, fand die Rechtsregel, dass Berufsgesetze und Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen, auch wenn sie selbst nur einen Berufsbezeichnungsschutz, aber keinen Tätigkeitsschutz aussprechen - als leges speciales zum Heilpraktikergesetz heranzuziehen seien. In diesem Zusammenhang verweise ich auf das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26.2.1996, AZ: 8 M 6826/95.

Fortsetzung und Schluss in B&G 1/05

Korrespondenzadresse

Dr. Ernst Boxberg

Justiziar des DVGS e. V.

Vogelsanger Weg 48

50354 Hürth

Email: info@dr-boxberg.de

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