psychoneuro 2004; 30(4): 210-214
DOI: 10.1055/s-2004-826660
Schwerpunkt

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Lebensqualität und Krankheitsverlauf von Krebspatienten - Stand des Wissens zur Wirksamkeit psychosozialer Interventionen

Monika Keller1
  • 1Psychosoziale Nachsorgeeinrichtung, Chirurgische Klinik der Universität Heidelberg
Further Information
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Korrespondenzadresse

Dr.med. Monika Keller

Psychosoziale Nachsorgeeinrichtung, Chirurgische Universitätsklinik

Im Neuenheimer Feld 155

69121 Heidelberg

Email: monika_keller@med.uni-heidelberg.de

Publication History

Publication Date:
11 May 2004 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Psychosoziale Interventionen orientieren sich an spezifischen Belastungen mit denen Krebskranke konfrontiert sind, sowie an verfügbaren Ressourcen. Das Spektrum psychoonkologischer Interventionen umfasst edukative Maßnahmen, wie Information, psychosoziale Beratung, symptomorientierte Maßnahmen zur Reduktion krankheits- und therapiebedingter Beschwerden, Krisenintervention, und kognitiv-behaviorale oder supportive Therapie von unterschiedlicher Dauer, ergänzt durch kreative Therapieverfahren. Niedrigschwellige, zeitlich limitierte Einzel- und Gruppeninterventionen verbessern die Lebensqualität von Tumorpatienten, insbesondere nach Beendigung der Primärtherapie und bei günstiger Prognose. Patienten mit psychischer Komorbidität und in fortgeschrittenen Krankheitsphasen profitieren von verschiedenen therapeutischen Ansätzen mit anhaltender Reduktion von Angst und Depressivität, um so mehr, je stärker sie initial belastet sind. Zur differentiellen Wirksamkeit unterschiedlicher therapeutischer Ansätze liegen bisher keine gesicherten Ergebnisse vor. Ob psychotherapeutische Interventionen den somatischen Krankheitsverlauf beeinflussen, erscheint fraglich.

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Summary

Cancer patients are confronted with a variety of factors causing considerable psychosocial distress. Amongst these, the threat of a potentially life-threatening disease, uncertainty about the future and invasive cancer treatment are predominating. Psychosocial interventions aim at reducing distress, and at mobilising patients' resources. Evidence from controlled trials confirms the efficacy of several psycho-educative and supportive interventions, by enhancing patients quality of life, by reducing anxiety and depression and by fostering their coping capacities. Patients who exhibit high distress level, and those found with psychological disorder, show a more pronounced benefit from individual as well as group interventions, even from short-term treatment. Behavioral interventions aimed at reducing treatment-related symptoms are effective in reducing nausea, vomiting and chronic cancer pain. Psychosocial interventions were also shown effective in reducing anxiety and depression in patients with progressive, late-stage disease. Beyond this clear evidence as to cancer patients' quality of life, there is little support from the majority of trials for the assumption that psychosocial interventions may influence the course of the disease, e. g. that they may prolong survival.

Mit zunehmender Etablierung der Psychosozialen Onkologie in Patientenversorgung und Forschung stellt sich die Frage nach ihrer Wirksamkeit: Was können psycho-onkologische Interventionen bewirken, was ist ausreichend gesichert, was wahrscheinlich oder eher zweifelhaft? Patienten, nicht weniger ihre behandelnden Ärzte, sehen sich mit einer kaum noch übersehbaren Vielfalt von Informationen konfrontiert, deren wissenschaftliche Seriosität oft nur schwer einzuschätzen ist. Eine kritische Sichtung ist daher unumgänglich. Die vorliegende Übersicht hat zum Ziel, den aktuellen Stand empirisch gesicherter Ergebnisse von kontrollierten Studien darzustellen, um daraus Empfehlungen für die onkologische Praxis abzuleiten.

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Ziele psychosozialer Interventionen bei Tumorpatienten

Die Definition von Behandlungszielen setzt eine Klärung des zugrundeliegenden Krankheitsverständnisses voraus. In der wissenschaftlich fundierten Psychoonkologie wird dabei von folgenden - empirisch ausreichend belegten - Voraussetzungen ausgegangen:

  • Krebs ist keine „psychosomatische” Erkrankung. Frühere Annahmen zur Psychoätiologie von Tumorerkrankungen sind aufgrund neuerer, methodisch sorgfältiger Untersuchungen nicht aufrechtzuerhalten

  • Wer an Krebs erkrankt, ist nicht zwangsläufig psychotherapiebedürftig. Psychotherapeutische Unterstützung ist dann sinnvoll und notwendig, wenn das Ausmaß krankheitsbedingter Belastungen die eigenen Ressourcen übersteigt - mit einer Beeinträchtigung von psychischem Befinden oder sozialen Beziehungen

  • Psychoonkologische Interventionen zielen vor allem darauf ab, die subjektive Lebensqualität Krebskranker zu erhalten, und wenn möglich, sie zu verbessern. Priorität haben, im Unterschied zur Psychotherapie neurotischer Störungen, das individuelle Krankheitserleben und konkrete Belastungen im Gefolge von Krankheit und Behandlung, deren nachteilige Auswirkungen auf psychisches Befinden und soziale Beziehungen so weit wie möglich verringert werden sollen [10].

Zu den spezifischen Belastungen von Tumorpatienten zählen:

  • Bedrohung und tiefgreifende Verunsicherung durch eine potentiell lebensbedrohliche Krankheit

  • Auswirkungen der oftmals eingreifenden Tumorbehandlung, z.B. körperliche Beschwerden, funktionelle Beeinträchtigung, Verlust sozialer Rollen

  • Anhaltende Ungewissheit auch bei günstigem, aber kaum vorhersagbaren Krankheitsverlauf.

Psychosoziale Interventionen orientieren sich einerseits an häufigen Belastungen, andererseits an den verfügbaren Ressourcen. Das Spektrum psychoonkologischer Interventionen umfasst:

  • edukative Verfahren, wie Information, Beratung, Patientenschulung

  • symptomorientierte Maßnahmen zur Reduktion krankheits- und therapiebedingter Beschwerden

  • psychotherapeutische Verfahren, z.B. Krisenintervention, supportive oder kognitiv-behaviorale Therapie.

Üblicherweise werden, im Einzel- oder Gruppenformat, mehrere Elemente kombiniert. Interventionen, die das kreative Potenzial von Patienten nutzen, z.B. Kunst-, Musik- oder Bibliotherapie, werden vor allem in der stationären Rehabilitation eingesetzt. Längere psychodynamische Psychotherapien sind seltener, bei etwa 5 % aller Patienten indiziert. Zielgruppen sind in erster Linie Patienten, aber auch nahestehende Bezugspersonen, Partner und Kinder.

Die folgenden Abschnitte geben einen Überblick über den aktuellen Stand der Interventionsstudien, soweit sie die methodischen Voraussetzungen für ausreichend aussagekräftige Ergebnisse erfüllen [1] [3] [6] [8] [11].

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Verbesserung von „Lebens-qualität” - was können sychosoziale Interventionen leisten?

Basale psychosoziale Unterstützung umfasst alle Hilfen, die die emotionale und kognitive Orientierung fördern. Sie erleichtern Patienten vor allem in der Initialphase der Tumorerkrankung den schrittweisen Wiedergewinn von Kontrolle, Selbstwirksamkeit, und von Zukunftsperspektive. Priorität hat kurzfristiges Krisenmanagement, orientiert an aktuellen Anliegen und Problemen [9].

Sogenannte „Breitbandinterventionen” - mit niedrigem psychologischen Anspruch - zielen auf häufige Probleme und Belastungen zu Beginn der Erkrankung ab und berücksichtigen das Bedürfnis vieler Patienten nach konkreten Orientierungshilfen und Handlungsanweisungen [3]. Sie fördern eine aktive Haltung bei der Auseinandersetzung mit der Tumorerkrankung. In Form von Einzelberatung oder Gruppen werden sie meist während oder nach Beendigung der Primärbehandlung, zeitlich limitiert auf drei bis zwölf Sitzungen, angeboten. Je nach therapeutischer Ausrichtung sind sie entweder thematisch strukturiert, als „Kurse” mit psychoedukativen und verhaltensmodifizierenden Komponenten, oder orientieren sich, vorwiegend supportiv, mehr an individuellen Bedürfnissen der Patienten. Übungsorientierte Elemente, bei denen geeignete Formen der Krankheitsbewältigung und Problemlösungsstrategien erprobt werden, zielen darauf ab, die soziale und Handlungskompetenz zu erweitern, häufig werden sie ergänzt durch Entspannungsverfahren, geleitete Imagination oder körperliches Training. In Gruppen haben der Austausch untereinander, die Erfahrung gemeinsamer Betroffenheit und gegenseitige Unterstützung einen hohen Stellenwert für Patienten. Ein pragmatisch-edukativer Einstieg erleichtert besonders denjenigen Patienten den Zugang, die explizit psychologischen Hilfen skeptisch gegenüberstehen.

Die evaluierten Interventionen belegen einhellig positive Effekte auf psychisches Befinden, Angst, Depressivität, hinsichtlich aktiver Bewältigungsstrategien, sozialer Aktivitäten und körperlicher Funktionen (z.B. Schlaf, Mobilität), und zwar bei unterschiedlichen Tumorlokalisationen. Neuere Meta-Analysen bestätigen die spezifische Wirksamkeit: Niedrigschwellige, zeitlich limitierte Interventionen verbessern die Lebensqualität von Tumorpatienten, insbesondere nach Beendigung der Primärtherapie und bei günstiger Prognose.

Bis jetzt hat sich keiner der verschiedenen therapeutischen Ansätze als eindeutig überlegen erwiesen, so dass bisher keine gesicherten Aussagen zur differentiellen Wirksamkeit gemacht werden können. Einzel- und Gruppeninterventionen sind gleich effektiv, bei individuellen Problemen (z.B. Partnerschaft, Sexualität) sind jedoch Einzel- oder Paarinterventionen vorzuziehen. Für eine sekundär präventive Wirkung sprechen anhaltend positive Effekte bis zu einem Jahr nach Intervention, während bei unbehandelten Kontrollpersonen Verschlechterungen beobachtet werden.

Für die Praxis resultiert daraus: nicht alle Patienten benötigen professionelle psychosoziale Unterstützung; da aber die meisten davon profitieren, sollten sie idealerweise allen Patienten zur freiwilligen Inanspruchnahme offen stehen. Bereits kleine „Interventionsmengen” - in Form gezielter Beratung, umfassender Information und Aufklärung, weniger ärztlicher Gespräche, oder psychoedukativer Interventionen - z.B. als Wartezimmergruppen in onkologischen Praxen - können dazu beitragen, krankheitsbedingte psychosoziale Belastungen zu verringern. Sie erfordern keine spezifisch psychotherapeutische Kompetenz, ausreichend sind Grundlagenkenntnisse der Psychoonkologie und der psychosomatischen Grundversorgung.

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Interventionen bei behandlungsbedingten Belastungen

Behandlungsbedingte Belastungen betreffen Ängste und Verunsicherung vor Therapiebeginn, sowie Nebenwirkungen und Komplikationen als Therapiefolge. Ängste und Besorgnis der Patienten erreichen unmittelbar vor Beginn der Strahlen- oder Chemotherapie ihren Höhepunkt. Wirksame Formen der Angstreduktion stehen mit einer Reihe psycho-edukativer Interventionen zur Verfügung.

Kontrollierte Studien belegen, dass eingehende präoperative Aufklärung durch Chirurgen anhaltend Ängstlichkeit und Depressivität reduziert. Ebenso erhöhen vorbereitende Interventionen vor Strahlen- oder Chemotherapie den Kenntnisstand und verringern die Belastung. Mit einem Orientierungsprogramm - bestehend aus eingehender individueller Aufklärung, Führung durch Behandlungsräume und Erklärung des Behandlungsablaufs, ergänzt durch Video-Material oder Broschüren - wird Angst durch den Zugewinn an mentaler Antizipation und Kontrolle verringert. Supportive Begleitung durch Pflegekräfte vor und während der Behandlung erzielt vergleichbare Effekte, wobei der Zeitaufwand zwischen 20 Minuten und 1,5 Stunden beträgt. Auch psychotherapeutische Gruppen- und Einzeltherapien während Bestrahlung haben sich als praktikabel und effektiv erwiesen.

Die Ergebnisse belegen eindrücklich, dass Wissen Angst verringern kann, besonders in einer Phase ausgeprägter situativer Angst und Verunsicherung. Entscheidend für den hohen Wirkungsgrad ist, dass gezielte „Mini-Interventionen” zum richtigen Zeitpunkt, d.h. bei Belastungsspitzen eingesetzt werden. Einfache edukative Verfahren sind nachweislich effektiv, ökonomisch, und können ohne psychoonkologische Fachkräfte mit geringem Aufwand in die onkologische Behandlungsroutine integriert werden [12].

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Symptomorientierte Verfahren

Schmerzhafte diagnostische und therapeutische Prozeduren, Übelkeit, Erbrechen und Erschöpfung begleiten unvermeidlich fast jede onkologische Behandlung. Ätiologisch multifaktoriell, haben alle Symptome eine - individuell unterschiedlich ausgeprägte - psychische Komponente. Wirksame übende Verfahren zur Symptomreduktion haben sich auch in der Praxis bewährt. Die Effektivität von Entspannungsmethoden kann ergänzend durch Imagination oder hypnotherapeutische Techniken erhöht werden, dies trifft für posttherapeutische wie auch antizipatorische Beschwerden (z.B. Übelkeit bereits vor Therapie) zu.

Während sich kein einzelnes Entspannungsverfahren als überlegen erwiesen hat, hat sich die Progressive Muskelrelaxation als robustes, universell anwendbares Verfahren praktisch bewährt [2]. Alle setzen jedoch, und hierin liegt eine häufige Ursache für unzureichende Effekte, regelmäßiges Üben voraus, um die angestrebte Gegenkonditionierung und vegetative Umstimmung dauerhaft zu etablieren.

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Ergänzende Behandlung von chronischen Tumor-schmerzen

Die psychologische Mitbehandlung von chronischen Schmerzzuständen bei Tumorpatienten verfolgt zum einen das Ziel, das Verständnis für und die Compliance mit der medizinischen Schmerzbehandlung mit psycho-edukativen Methoden zu verbessern, zum anderen die Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung mit psychologischen Verfahren zu erleichtern. Da das subjektive Schmerzerleben in erheblichem Umfang von der affektiven Befindlichkeit modifiziert und durch kognitive Attributionen (z.B. Schmerz als Indikator für Tumorprogredienz) beeinflusst wird, können psychologische Verfahren ergänzend zur pharmakologischen Analgesie schmerzbedingte Beeinträchtigungen auch bei chronischen Schmerzen wirksam beeinflussen. Aufmerksamkeitsablenkung und hypnotherapeutische Verfahren, bei Kindern ausgesprochen effektiv, können mit gleichen Erfolgschancen auch bei Erwachsenen angewendet werden. Gute Erfolge werden auch von kreativtherapeutischen Verfahren, Musik- oder Maltherapie berichtet.

Patienten können mittels systematischem Selbst-Monitoring, unter Verwendung eines Schmerztagebuchs, individuell geeignete Möglichkeiten finden, wie sie ihr Schmerzerleben beeinflussen können. Ungeachtet der Wirksamkeit ergänzender psychologischer Verfahren sind sie in Deutschland bisher nur vereinzelt in Behandlungskonzepten für Tumorschmerzen etabliert.

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Identifizierung von persönlichen und krankheits-bedingten Risikofaktoren

Etwa 20-30 % aller Tumorpatienten leiden im Krankheitsverlauf an krankheitswertigen Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen, meist unter dem klinischen Bild von Angst und Depressivität. Schwere psychische Störungen, z.B. major depression, finden sich dagegen nicht häufiger als in der Durchschnittsbevölkerung. Für eine orientierende Einschätzung eignet sich ein Screening von Risikofaktoren, die auf ein ungünstiges Verhältnis von Belastungen und Ressourcen hinweisen.

Die wichtigsten Risikofaktoren für psychische Komorbidität sind krankheits- und therapieassoziiert: die „psychische Tumorlast” nimmt zu in fortgeschrittenen Krankheitsstadien, während belastender Behandlungen, und je mehr funktionelle Beeinträchtigungen und körperliche Beschwerden zu verarbeiten sind. Auf eine hohe individuelle Vulnerabilität weisen prämorbide psychische Störungen, Abhängigkeit/Sucht und belastende Lebensumstände hin. Risikopatienten können anhand einer Fremdeinschätzung durch den behandelnden Arzt oder Selbsteinschätzung durch die Patienten selbst identifiziert werden, etwa mittels praktikabler standardisierter Fragebogen mit zufriedenstellendem prädiktiven Wert. Screening-Instrumente ersetzen allerdings nicht die Diagnostik, potentielle „Fälle” psychosozialer Komorbidität müssen durch ein diagnostisches Interview verifiziert werden.

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Psychotherapeutische Interventionen für hochbelastete Risikogruppen

Psychotherapeutische Interventionen bei Patienten mit psychosozialer Komorbidität haben zum Ziel, emotionale Entlastung und Symptomreduktion in einem supportiven Beziehungskontext zu vermitteln. Im Zentrum steht die subjektive Bedeutung der Tumorerkrankung, ggf. im biographischen Kontext, mit ihren Auswirkungen auf emotionales und körperliches Befinden, Verhalten und soziale Beziehungen. Mit der Mobilisierung eigener Ressourcen wird ein Zugewinn an Autonomie und Kontrolle - über das eigene Leben, nicht die Erkrankung - angestrebt.

Unterschiedliche psychotherapeutische Verfahren sind effektiv bei hochbelasteten Krebskranken mit Anpassungsstörungen - wie übereinstimmende Ergebnisse mehrerer Studien belegen [1] [6] [8]. Patienten profitieren von diesen Interventionen, unabhängig von Tumorlokalisation, Alter und Geschlecht. Sowohl Einzel- als auch Gruppentherapien, mit unterschiedlichen therapeutischen Ansätzen, verringern Angst, Depression und verbessern Krankheitsbewältigung und soziale Beziehungen. Bemerkenswert ist, dass bereits relativ kleine Interventionsmengen, vier bis zwölf Sitzungen innerhalb von zwei bis drei Monaten, wirksam sind; nicht nur kurzfristig, sondern bis zu einem Jahr anhaltend. Die Frage nach der differentiellen Therapieindikation ist noch nicht endgültig zu beantworten. Je spezifischer die Probleme eines Patienten, umso eher ist eine „maßgeschneiderte”, an der individuellen Situation orientierte Intervention Erfolg versprechend. Der gesicherte Nutzen, in Form verbesserter Lebensqualität und Belastungsreduktion, begründet die Indikationsstellung für Patienten mit psychosozialer Komorbidität.

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Interventionen bei Patienten in fortgeschrittenen Krankheitsstadien

Unter den evaluierten Interventionen mit Patienten in metastasierten Krankheitsstadien überwiegen Gruppeninterventionen bei Brustkrebspatientinnen. Die Therapiekonzepte sind zumeist langfristig angelegt, mit supportiv-expressivem Ansatz, der die Auseinandersetzung mit terminaler Krankheit, Tod und Sterben erleichtert und gleichzeitig den weitgehenden Erhalt von Autonomie, Selbstwert und sozialen Beziehungen fördert. Fast alle kontrollierten Studien mit Einzel- und Gruppentherapien belegen kurzfristig positive Auswirkungen auf verschiedene Dimensionen der Lebensqualität. Empfehlungen zu Behandlungsdauer und Interventionsumfang lassen sich aus der aktuellen Datenlage nicht ableiten. Langfristige Effekte konnten bisher nicht belegt werden, was teilweise mit der begrenzten Lebenserwartung bei progredienter Tumorerkrankung zu erklären ist. Während sich bisher keines der therapeutischen Verfahren als überlegen erwiesen hat, profitieren in besonders hohem Maß Patienten mit ausgeprägter initialer Belastung.

Einschränkend ist anzumerken, dass es eine kleine Gruppe von Patientinnen in fortgeschrittenen Krankheitsstadien ist, die mit hohem subjektiven Gewinn von einer Gruppentherapie profitieren. Für die meisten Patienten in progredienten Stadien ist die supportive Einzel- oder Paarbetreuung mit längerfristiger Perspektive das geeignete und praktikable Vorgehen. Dies entspricht nicht zuletzt dem Wunsch vieler Patienten nach Sicherheit in einer kontinuierlichen Beziehung, als Gegengewicht zu den vielfältigen Verlusten und Abbrüchen in progredienten Krankheitsstadien [6].

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„Psychotherapie gegen den Krebs”? Effekte psycho-sozialer Interventionen auf den Krankheitsverlauf

Viele Patienten, die aus eigener Initiative psychotherapeutische Behandlung aufsuchen, haben den mehr oder weniger explizit geäußerten Wunsch, damit zu ihrer Gesundung beizutragen. Aus der Laienpresse und Populärpsychologie erfahren sie von einleuchtenden Erklärungsmodellen, wie sie mit einer Stärkung der „Abwehrkräfte” die Kräfte der Seele zu ihrer Heilung nutzen können. So nachvollziehbar der Wunsch nach einer Hoffnungsquelle, für viele der letzte rettende Strohhalm, ist, so sehr man auch als ärztlicher oder psychotherapeutischer Behandler an solche „Wunder” glauben möchte, sollte Wunschdenken nicht den Blick auf die Realität trüben. Ungeachtet eindrücklicher Einzelfälle mit unerwartet günstigem Krankheitsverlauf sorgt die Sichtung der aktuellen Datenlage eher für Ernüchterung.

Auch die wissenschaftliche Diskussion belebte sich enorm, nachdem zwei randomisierte Studien zu überraschenden Ergebnissen gekommen waren: In einer Studie überlebten Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs, die über ein Jahr an einer wöchentlichen supportiv-expressiven Gruppentherapie teilgenommen hatten, im Mittel fast doppelt so lang, wie Patientinnen der Kontrollgruppe (36,8 vs 18,9 Monate). Die Autoren interpretierten den Überlebenszeitunterschied als Effekt der Gruppenintervention, während Kritiker dies für die Folge einer Selektion besonders ungünstiger Krankheitsverläufe in der Kontrollgruppe hielten.

Auch Patienten mit Malignem Melanom hatten sechs Jahre nach einer sechswöchigen psychoedukativen Gruppenintervention eine, auch nach Kontrolle medizinischer Prognosefaktoren signifikant niedrigere Todesrate sowie eine tendenziell niedrigere Rezidivrate als die Kontrollgruppe. Nach zehn Jahren zeigt sich weiterhin ein geringer, aber signifikanter Überlebenszeitunterschied. Demgegenüber konnten insgesamt sechs weitere, methodisch sorgfältige Studien keinen Überlebenszeitvorteil feststellen, wenn medizinische Prognoseparameter kontrolliert wurden.

Schließlich konnten in einer großen multizentrischen Replikationsstudie die Ergebnisse der Studie von Spiegel nicht repliziert werden [5].

Die Einhelligkeit der neueren Ergebnisse sorgt für skeptische Ernüchterung. Demnach erlaubt die derzeitige Datenlage nur eine äußerst zurückhaltende Schlussfolgerung: Es ist nicht auszuschließen, dass psychotherapeutische Interventionen den somatischen Verlauf von (Brust-) Krebserkrankungen beinflussen können, wahrscheinlich ist es allerdings nicht. Eine Empfehlung für Patienten, mit „Psychotherapie gegen den Krebs” anzukämpfen, ist aus der aktuellen Datenlage nicht zu begründen.

Bezieht man weitere Ergebnisse aussagekräftiger Studien mit ein, die ganz überwiegend keinen Zusammenhang zwischen psychosozialen Faktoren (z.B. Krankheitsbewältigung, einschneidende Lebensereignisse) und dem somatischen Verlauf von Tumorerkrankungen belegen konnten, so lässt sich daraus eine Botschaft formulieren, die vor allem diejenigen Patienten entlasten könnte, die sich zum Vorwurf machen, „nicht genug gegen den Krebs gekämpft” zu haben. Es wäre zu einfach, wenn eine Krebserkrankung mit „positivem Denken” in den Griff zu bekommen wäre.

Möglicherweise gibt es eine kleine Zahl von Respondern unter den Tumorpatienten, bei denen psychische Faktoren eine vergleichsweise größere Rolle spielen, und bei denen psychotherapeutische Interventionen in der Lage sein könnten, den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen.

Bisher ist kaum etwas über Wirkmechanismen und Mediatoren bekannt, die psychobiologische Interaktionen vermitteln [4]. Die Bedeutung protektiver Immunfunktionen, von Patienten und Populärpsychologen gleichermaßen propagiert, ist bei den meisten Krebserkrankungen mehr als spekulativ. Trotz gesicherter Wechselwirkungen zwischen psychischen Prozessen, endokrinem und Immunsystem ist noch unklar, ob sie bei Krebserkrankungen überhaupt eine Rolle spielen, und wenn, unter welchen Bedingungen. Zukünftige Forschung wird einen differenzierteren Ansatz zu verfolgen haben, der sowohl Merkmale von Tumorerkrankung und Therapie, als auch der erkrankten Personen mit ihren biopsychosozialen Interaktionen berücksichtigt. Empfehlungen an Patienten, ihr Immunsystem als wirksame Waffe gegen den Krebs aufzurüsten, erscheinen nicht gerechtfertigt; so sehr sie in deren subjektivem Erleben als bedeutsame Metapher der Hoffnung einen hohen Stellenwert haben. Dass es keinem Behandler ansteht, solche Hoffnungen zu zerstören, sollte nicht mit unkritischer Unterstützung eines illusionären Wunschdenkens verwechselt werden.

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Fazit für die Praxis

Tumorpatienten profitieren in allen Krankheitsstadien von verschiedenen edukativen und psychotherapeutischen Interventionen mit einer Verbesserung ihrer Lebensqualität. Krankheitsbedingte psychische Belastungen und therapiebedingte Nebenwirkungen können wirksam, bereits mit geringer Interventionsdosis reduziert werden. Da besonders Patienten mit hoher psychosozialer Belastung und während behandlungsbedingter Belastungsspitzen von psychosozialen Interventionen profitieren, ist die treffsichere Identifizierung behandlungsbedürftiger Patienten durch den behandelnden Arzt Voraussetzung für effektive psychotherapeutische Behandlung. Ob psychotherapeutische Interventionen den somatischen Verlauf von Tumorerkrankungen günstig beeinflussen, ist zumindest fraglich.

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Literatur

  • 1 Andersen BL. Psychological interventions for cancer patients to enhance the quality of life.  Journal of Consulting and Clinical Psychology. 1992;  60 552-568
  • 2 Burish TG, Redd WH. Symptom control in psychosocial oncology.  Cancer. 1994;  74 1438-44
  • 3 Fawzy FI, Fawzy NW, Arndt LA, Pasnau RO. Critical review of psychosocial interventions in cancer care.  Archives of General Psychiatry. 1995;  52 100-113
  • 4 Fox B. Psychosocial factors in cancer incidence and prognosis.  In: Holland JC (ed.). Psycho-Oncology.  New York, Oxford: Oxford University Press. 1998;  110-124
  • 5 Goodwin P, Leszcz M, Ennis M, Koopmans J, Vincent L, Guther H. et al. . The effect of group psychosocial support on survival in metastatic breast cancer.  N Engl J Med. 2001;  34 1719-26
  • 6 Keller M. Die Psychosomatik des Brustkrebses aus der Sicht des Therapeuten.  Psychotherapie in Psychiatrie, Psychosomatik, Psychologie. 1998;  3 124-136
  • 7 Keller M. Effekte psychosozialer Interventionen auf Lebensqualität und Krankheitsverlauf von Krebspatienten - Stand des Wissens.  Onkologe. 2001;  7 133-142
  • 8 Maguire P. Psychosocial interventions to reduce affective disorders in cancer patients: research priorities.  Psycho-Oncology. 1995;  4 113-119
  • 9 Moorey S. Adjuvant psychological therapy for anxiety and depression.  In: Watson M (ed.). Cancer patient care: psychosocial treatment methods.  Cambridge New York: BPS Books Cambridge University Press. 1991;  94-110
  • 10 Schwarz R. Psychotherapeutische Grundlagen der psychosozialen Onkologie.  Psychotherapeut. 1995;  40 313-323
  • 11 Trijsburg RW, Van FC Knippenberg, Rijpma SE. Effects of psychological treatment on cancer patients: a critical review.  Psychosomatic Medicine. 1992;  54 489-517
  • 12 Wenz F, Steinvorth S, Keller M. Effekte psychoonkologische Belastungen und Interventionsmöglichkeiten in der Radioonkologie.  Onkologe. 2001;  7 178-184
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Korrespondenzadresse

Dr.med. Monika Keller

Psychosoziale Nachsorgeeinrichtung, Chirurgische Universitätsklinik

Im Neuenheimer Feld 155

69121 Heidelberg

Email: monika_keller@med.uni-heidelberg.de

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Literatur

  • 1 Andersen BL. Psychological interventions for cancer patients to enhance the quality of life.  Journal of Consulting and Clinical Psychology. 1992;  60 552-568
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  • 12 Wenz F, Steinvorth S, Keller M. Effekte psychoonkologische Belastungen und Interventionsmöglichkeiten in der Radioonkologie.  Onkologe. 2001;  7 178-184
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Korrespondenzadresse

Dr.med. Monika Keller

Psychosoziale Nachsorgeeinrichtung, Chirurgische Universitätsklinik

Im Neuenheimer Feld 155

69121 Heidelberg

Email: monika_keller@med.uni-heidelberg.de