psychoneuro 2004; 30(4): 195-199
DOI: 10.1055/s-2004-826657
Brennpunkt

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Stellungnahme - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Betreuungsgesetzes

Norbert Nedopil1 , Josef Aldenhoff1 , Mathias Berger2 , Jürgen Fritze1, 2
  • 1Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP)
  • 2Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)
Weitere Informationen
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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Jürgen Fritze

Asternweg 65

50259 Pulheim

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
11. Mai 2004 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Derzeit werden im Rechtsausschuss des Bundestages eine Novellierung und Ergänzung des Betreuungsrechts beraten. Diese Beratungen erschienen dem Bundesrat und insbesondere der Konferenz der Justizminister der Länder deswegen erforderlich, weil das zum 1. Januar 1992 in Kraft getretene Betreuungsgesetz in wesentlichen Punkten die Erwartungen nicht habe erfüllen können, die Betreuungsfallzahlen übermäßig gestiegen seien, der erhebliche Verfahrensaufwand erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen verbrauche, es Betroffene und Familien in hohem Maße durch bürokratische Verfahren beeinträchtige, wenn ein naher Angehöriger zum Betreuer bestellt werden soll und die Kosten seit Inkrafttreten des Betreuungsrechts explosionsartig gestiegen seien. Auch würden viele Betroffene die Betreuung nach wie vor mit einer Bevormundung gleichsetzen.

Der Gesetzentwurf sieht eine Reihe von Neuerungen vor. Für den Psychiater und seine Patienten sind dabei vor allem folgende Punkte von Bedeutung, und treffen dabei auch auf eine Reihe von Bedenken.

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Ehegattenvertretung (§§1358 und 1358a BGB)

Dort heißt es: „Ist ein Ehegatte infolge einer Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage, seine Rechte und Pflichten selbst wahrzunehmen und hat er weder eine andere Person für ihn zu handeln bevollmächtigt, noch ist ein Betreuer bestellt, kann ihn der andere Ehegatte nach Maßgabe des Absatz 2 gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Dies gilt nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben oder der Ehegatte einen entgegenstehenden Willen geäußert hat.”

In Absatz 2 sind die Bereiche genannt, für welche die Ehegattenvertretung gelten soll. In Absatz 3 wird bestimmt, dass es hierzu einer schriftlichen Erklärung des handelnden Ehegatten und eines ärztlichen Zeugnisses über die Handlungsunfähigkeit des verhinderten Ehegatten bedarf.

Der Ehegatte kann nach §1358a BGB unter den gleichen Bedingungen auch in ärztliche Untersuchungen, Heilbehandlungen oder Eingriffe für den verhinderten Gatten einwilligen.

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Vertretung durch Angehörige für die Gesundheitssorge (§1618b BGB)

Die Bestimmung über die Einwilligung in ärztliche Untersuchungen, Heilbehandlungen oder Eingriffe wird auf Angehörige ausgeweitet, wenn es keinen Ehepartner gibt, der mit dem Verhinderten zusammenlebt, wobei Kinder den Vorrang vor Eltern haben, die Erklärung eines Kindes genügt, der Widerspruch eines anderen jedoch „beachtlich” bleibt.

Zwangsweise Zuführung zur ärztlichen Heilbehandlung (§ 1906a BGB)

Eine zwangsweise Zuführung eines Betreuten zur ambulanten ärztlichen Heilbehandlung durch den Betreuer ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten notwendig ist, weil

  • er aufgrund seiner Krankheit krankheitsuneinsichtig ist

  • die Gefahr besteht, dass er sich der notwendigen ambulanten ärztlichen Heilbehandlung entzieht.

Bei der Betrachtung des Textes des Entwurfs und seiner Begründung stellt man sich als Psychiater, der immer wieder mit den Problemen des geltenden Betreuungsrechts konfrontiert wird und zusammen mit den Gerichten versucht, Lösungen zu erarbeiten, die Frage, welchen fachlichen Rat sich die für den Gesetzentwurf Verantwortlichen geholt haben, oder ob es ihnen darauf ankam, möglichst ungehindert durch fachlichen Rat eigene Vorstellungen zu verwirklichen, um beispielsweise die unerwartet hohen Aufwendungen, die jetzt mit dem Betreuungsrecht verbunden sind, eindämmen zu können. Die Gesetzesvorlage erstaunt den Fachmann nämlich insofern, als der Regelungsbedarf anhand von Fallkonstellationen begründet wird, bei denen es bei genauer Betrachtung eigentlich keiner Neuregelung bedürfte, und als Neuregelungen eingeführt werden, die zumindest in der vorliegenden Form zu erheblichen Rechtsunsicherheiten, zu nachhaltigen persönlichen Konflikten und letztendlich zu einer bedeutsamen Schlechterstellung psychisch Kranker aber auch alter Menschen beitragen dürften.

Das Fehlen fachlichen Rates zeigt sich an einigen, aber bedeutsamen Fehlern in der Begründung des Gesetzentwurfes und an einer einseitigen Interpretation der bisherigen Gesetzeslage, die für denjenigen, der seinerzeit (1990 bis 1992) an den Beratungen und an den Diskussionen mit Politikern und Betroffenen teilgenommen hat (N.N.), erstaunt. Die Fehler sind sowohl formaler als auch inhaltlicher Natur: so wird beispielsweise auf Seite 17 der Drucksache 15/2494 festgestellt, dass nach § 1896 BGB ein Betreuer nur bestellt werden dürfe, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen könne. Tatsächlich kann nach § 1896 BGB aber ein psychisch Kranker und sogar ein psychisch Gesunder aber körperlich Kranker seine Betreuung selbst beantragen, was wiederum nur Gültigkeit haben kann, wenn er in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen.

Als Beispiel eines inhaltlichen Fehlers soll auf die Behauptung von der „typischen” Kombination von Selbst- und Fremdgefährdung hingewiesen werden, der im Rahmen des Betreuungsrechts am besten mit der in § 1906a BGB neu geschaffenen Möglichkeit der ambulanten Zwangsbehandlung begegnet werden könne (Seite 23 der Drucksache). Diese „typische” Kombination ist dem Fachmann nur in wenigen Einzelfällen bekannt. Die weitaus meisten Patienten werden ausschließlich wegen Selbstgefährdung nach dem Betreuungsgesetz untergebracht und auch bei den meisten Unterbringungen nach Landesrecht steht die Selbstgefährdung im Vordergrund.

Zurecht weist die Begründung darauf hin, dass eine Betreuung nach § 1896 BGB keine Fürsorge in den sozialen und persönlichen Bereichen, also keine Pflege des Betreuten sei, sondern ausschließlich die rechtlichen Belange des Betroffenen zu regeln hat, wo dies erforderlich ist. Gleichwohl war bei den Beratungen im Vorfeld der Gesetzgebung 1992 auf die persönliche Betreuung der Betroffenen Wert gelegt worden und es war den Verantwortlichen klar, dass eine persönliche Betreuung in strenger Trennung von den sozialen Belangen nicht möglich ist. Insofern erscheint die Darstellung in der Begründung zur jetzigen Gesetzesnovellierung als eine etwas einseitige Interpretation.

Die mangelnde fachliche Beratung zeigt sich auch an dem Fallbeispiel, mit welchem die Notwendigkeit der gesetzliche Neuregelung der Ehegattenvertretung begründet wird (Seite 16 der Drucksache). In diesem Fall wird ein 65jähriger Patient zitiert, der postoperativ nicht handlungsfähig ist und dessen Gattin in ärztlichen Angelegenheiten für ihn entscheiden, sein Girokonto benutzen und ihm auch im Bedarfsfall häusliche Pflege oder einen Heimplatz - auch im rechtlichen Sinn - besorgen und die entsprechenden Verträge für ihn abschließen können muss. Ein wirklicher Regelungsbedarf besteht in diesem Fall allerdings nicht: Der Arzt hatte sich bislang schon bei der Behandlung an dem mutmaßlichen Willen eines einwilligungsunfähigen Patienten zu orientieren und ihn gegebenenfalls bei den Angehörigen erkunden müssen; die Banken fragen bei der Einrichtung eines Girokontos schon immer, ob eine Vertretungsvollmacht bestehen soll - und es wird gute Gründe geben, wenn ein Mensch seinen Gatten nicht bevollmächtigt. Die Organisation einer ambulanten Pflege bedarf der Einwilligung des Gepflegten zunächst nicht und die Verlegung in ein Heim ist eine Entscheidung von so großer Tragweite, dass es den Autoren fraglich erscheint, ob es mit den Grundrechten vereinbar ist, dass Gatten sie gegen oder ohne den Willen eines Betroffenen und ohne spezielles rechtliches Mandat fällen dürfen.

Nach Auffassung der Autoren wird die Gesetzesnovellierung in der vorliegenden Form zu erheblichen Rechtsunsicherheiten, zu vielen persönlichen Konflikten und zu einer bedeutsamen Schlechterstellung psychisch kranker, aber auch alter Menschen führen.

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Ehegatten- und Angehörigenvertretung

Betreuung ist bei ihnen bislang in vielen Fällen dann erforderlich, wenn rechtliche Angelegenheiten oder Gesundheitssorge sich nicht einvernehmlich regeln lassen, in der Regel deswegen, weil es den Betroffenen an einer entsprechenden Einsicht mangelt oder weil sie nicht bereit sind, die Nachteile einer Regelung in Kauf zu nehmen. Rechtlicher Eingriff ist dann notwendig, wenn ihr Wille gegen die Überzeugung der Personen steht, welche die Fürsorge für sie übernehmen (müssen) oder wenn sie nicht mehr in der Lage sind, ihren Willen zu äußern. Dies führt, wie der psychiatrische Alltag zeigt, häufig zu erheblichen Konflikten. Nicht ohne Grund werden Angehörige von psychisch Kranken in speziellen Gruppen durch psychiatrische Kliniken aufgeklärt und unterstützt oder sie stützen sich gegenseitig in Selbsthilfegruppen. Zudem haben Angehörige häufig auch ein eigenes Interesse im Umgang mit ihren Verwandten, welches sich nicht immer mit dem Willen und dem Interesse eines Kranken deckt (z.B. Verlegung in ein Heim, weil einem der alte Vater zu Haus lästig ist, z.B. Finanzierung eigener Bedürfnisse aus dem Girokonto der dementen Gattin).

Besonders problematisch erscheint die Angehörigenvertretung in Gesundheitsangelegenheiten, wenn widersprüchliche Ansichten von mehreren Kindern zu beachten sind - und dies ist bei langwierigen Krankheiten, bei denen wenig Aussichten auf Heilung besteht, verständlicherweise gar nicht so selten der Fall. Welche Lösung sieht der Gesetzentwurf für solche Fälle vor? Nach Auffassung der Autoren sind gesetzliche Regelungen dann besonders wichtig, wenn es Konfliktfälle zu lösen gibt, weil einvernehmliche Lösungen im zwischenmenschlichen und ärztlichen Bereich ohnehin selten juristisch entschieden werden müssen. Die vorgeschlagene Neuregelung ist somit mit größeren Unsicherheiten verbunden, die zu Konflikten führen, aber keine Lösungen für die Konflikte anbieten kann.

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Zwangsweise Zuführung zur ärztlichen Heilbehandlung (§ 1906a BGB)

Es ist sicher richtig, dass durch kontinuierliche ambulante Behandlung von psychisch Kranken stationäre Behandlungen und auch Zwangseinweisungen vermieden werden können und dass die Zuführung zu einer ambulanten Behandlung sowohl rechtlich wie auch im Empfinden von Patient und seinem Umfeld ein weniger gravierender Eingriff ist als die Zwangsunterbringung. Insofern sind sich Psychiater durchaus bewusst, dass es sinnvoll sein kann, den Druck auf einen Patienten zu erhöhen, um ihn zu einer kontinuierlichen Wahrnehmung ambulanter Behandlungstermine zu bewegen. Zwischen der Erhöhung eines Druckes und einem Zwang bestehen jedoch wesentliche Unterschiede. Diesem Zwang stehen sowohl rechtlich-ethische als auch praktische Bedenken entgegen. Obwohl eine ambulante Zwangsbehandlung in mehreren europäischen Ländern überlegt wurde, ist sie bislang wegen dieser Bedenken nicht eingeführt worden. In Schottland wurde vor einigen Jahren versucht, die Zwangsbehandlung gesetzlich zu regeln; diese Regelung wurde wegen der praktischen Undurchführbarkeit jedoch kaum angewandt und wieder abgeschafft. In einzelnen Staaten der USA wurde ein sog. „outpatient commitment” eingeführt. Die Ergebnisse dieser neuen Behandlungsmodalitäten sind keineswegs ganz eindeutig. Zudem sind in den USA die ethischen Bedenken, wie sie etwa von den verschiedenen europäischen Kommissionen, die sich mit Menschenrechtsfragen befassen, insbesondere der Europäischen Kommission zur Wahrung der Menschenrechte, geäußert werden, oft zweitrangig; bei uns sind sie jedoch bedeutsam und werden auch vom Europäischen Gerichtshof beachtet. Auf die Gefahr der Verletzung von Grundrechten wurde auch in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf hingewiesen.

Aus psychiatrischer Sicht sind die praktischen Fragen ebenso von Bedeutung. Wer soll den Zwang ausüben? Wenn es, wie es aus der Stellungnahme der Bundesregierung abzuleiten ist, die Polizei ist, wer ist ihr gegenüber weisungsberechtigt, zumal es bei der Zuführung zur ambulanten Behandlung nach dem Willen der Initiatoren des Gesetzentwurfs nicht um unmittelbare Abwehr von Gefahren, die auch für den Laien erkennbar wären, geht? Wie wird der Betreuer oder ggf. die Polizei des Patienten habhaft? Wer kann den Arzt verpflichten, unter Zwangsbedingungen Injektionen zu verabreichen, ohne dass eine akute Gefährdung besteht? Wie werden Ärzte reagieren, wenn ihnen die Patienten in Handschellen oder in Polizeibegleitung zur Verabreichung der Depotmedikation ins Wartezimmer gesetzt werden? Welche Langzeitkonsequenzen hat die ambulante Zwangsbehandlung für die Arzt-Patienten-Beziehung?

Während stationäre Zwangsmaßnahmen, d.h. sowohl die zwangsweise Unterbringung selbst, wie stationäre Behandlungen unter Zwang während des stationären Aufenthaltes mit dem Patienten bearbeitet und damit entschärft und für den Patienten erträglich gemacht werden können, entfällt diese Möglichkeit bei ambulanten Zwangsmaßnahmen, weil hierfür weder Zeit noch Ressourcen zur Verfügung stehen. Aus rechtlicher Sicht sind die stationären Zwangsmaßnahmen explizit und detailliert geregelt, die Rechtsorgane und die Psychiater der Kliniken, in denen untergebracht wird, sind mit dem Maßnahmenkatalog vertraut. Die ambulante Zwangsbehandlung soll ohne jeden rechtlichen oder praktischen Erfahrungsschatz eingeführt werden und ohne dass die oben genannten Fragen und möglicherweise eine Vielzahl unbekannter Fallkonstellationen bedacht und Lösungen für sie erwogen worden sind.

Hier bedürfte es zunächst einer ausführlichen Beratung durch Fachleute und einer Diskussion unter den Fachleuten, die zumeist von dem Inhalt der Gesetzesinitiative überrascht sein dürften.

Die Mitglieder des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags sollten diese fachlichen Bedenken zur Kenntnis nehmen und sie bei der Beratung und Umsetzung des Vorschlags einer Gesetzesnovelle berücksichtigen. Die Experten der Vorstände der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) stehen dem Rechtsausschuss ggf. gerne für fachliche Informationen zur Verfügung.

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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Jürgen Fritze

Asternweg 65

50259 Pulheim

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Prof. Dr. Jürgen Fritze

Asternweg 65

50259 Pulheim