B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2004; 20(4): 154-156
DOI: 10.1055/s-2004-820349
FORUM

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sporttherapie bei Schulterverletzungen

Ein Bericht vom „Interdisziplinären Schulterkongress” in Köln, 5.-6. März 2004M. Steinau
Further Information

Publication History

Publication Date:
25 August 2004 (online)

Vom 5.-6. März 2004 fand an der Deutschen Sporthochschule in Köln der 11.Jahreskongress der Deutschen Vereinigung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie (DVSE) e. V. statt.

Als Kooperationspartner erhielt der DVGS die Möglichkeit, sich innerhalb des Kongresses mit einem eigenen Programm darzustellen. Gemäß der intendierten Interdisziplinarität konnten die teilnehmenden Mediziner und Bewegungstherapeuten die gegenseitigen Veranstaltungen besuchen. Der Sporttherapie kam dabei die Rolle zu, die konservativen Therapiemöglichkeiten bei Erkrankungen/Verletzungen des Schultergelenkes aufzuzeigen, aber auch die Nachbehandlungsstrategien nach operativen Zuständen.

Bei der Auswahl der Vortrags- und Workshopthemen stand der Praxisbezug im Vordergrund und damit die Absicht, den Teilnehmern Anregungen für die sporttherapeutische Alltagsarbeit zu geben. Innerhalb dieser Zielsetzung gelang es den Referenten sehr gut, die Therapiekonzepte mit ihren wissenschaftlichen Absicherungen und vor allem den praktischen Übungsanleitungen zu vermitteln.

Dieses zeigte sich in den beiden aufeinander abgestimmten Vorträgen von Prof. Freiwald und A. Gokeler. Ersterer befasste sich mit der „Sensomotorik bei Schulterverletzungen und nach Schulteroperationen”. Für das Schultergelenk selbst liegen diesbezüglich noch wenig abgesicherte Forschungsergebnisse vor. Die posttraumatischen/postoperativen Bedingungen der Sensomotorik lassen sich aber aus den Erkenntnissen, die aus den zahlreichen Untersuchungsergebnissen des Kniegelenkes gewonnen wurden, ableiten. Der immer wieder postulierte Mangel an sensorischen Informationen und zugehörigen nervalen Verarbeitungsdefiziten lässt sich nicht nachweisen. Ursache für die veränderte Bewegungsleistung bzw. die Kompensationsbewegungen scheint ein phylogenetisch bewährter Anpassungsmechanismus zu sein. Die Motorik wird angepasst und im Sinne eines Schutzmechanismusses dahingehend verändert, dass es zur sinnvollen Entlastung der geschädigten Strukturen kommt.

A. Gokeler stellte anschließend die „Diagnostik und Rehabilitation des Schultergelenkes bei Überkopfsportlern” dar. Bei unzureichendem Trainingszustand, damit verbundenem Missverhältnis zwischen der Belastbarkeit der Weichteilgewebe und gleichzeitig hoher sportlicher Belastung kann es zur Schädigung u. a. der dynamischen Stabilisatoren und anderer Weichteilstrukturen kommen (Bursitis, Tendinitis). Als Ursache kommen in Frage Dysbalancen zwischen der innen- und außenrotatorischen Muskulatur sowie eine veränderte muskuläre Führung der Scapula auf der Rückwand des Thorax. Der Humeruskopf wird nicht mehr ausreichend im Glenuhumoralgelenk stabilisiert und durch eine verringerte Elevation des Akromions werden die Rotatoren subakromial komprimiert. Im Zusammenhang mit geringer Muskelkraftausdauer kann dies zum Postero-superioren Impingement (PSI) führen.

Dem Sportler muss zunächst Transparenz geschaffen werden, dass der Reha-Verlauf 3 bis 6 Monate dauert und für 6 Wochen Überkopfsportarten auszusetzen sind. In der Akuten Phase steht im Vordergrund die Wiederherstellung der schmerzfreien Beweglichkeit (u. a. physikalische [Hochvolt, Eis/Wärme] und medikamentöse [nichtsteriodale Antiphlogistika, 1-2 Kortikoidinjektionen] Therapie) sowie aktive Therapiemaßnahmen für den Rumpf und die untere Extremität einschließlich kardiovaskulärem Training.

In der Phase zwei erfolgen Kräftigungs-/Koordinationsübungen und Brustschwimmen, um die normale scapulathorakale Anbindung wiederherzustellen. Hierzu werden Übungen eingesetzt unter axialer Gewichtsbelastung des Schultergelenkes bzw. Kompression des Humeruskopfes wie z. B. Kontrolle der Scapulastabilität im Seitstütz sowie modifizierte Liegestützübungen mit gestrecktem Ellenbogen. Kapselbandstrukturen werden geschont bei gleichzeitig erhöhter passiver Stabilität. Ergänzend folgen dynamische Stabilitätsübungen auf dem Therapiekreisel und bei guter Führung der Scapula Übungen für IR und AR aus der 0-Stellung. Anschließend kommen Lat-Zug-Übungen vor dem Körper zum Einsatz sowie Übungen an der Butterfly-Maschine. Die Ausführungen erfolgen aus der Flexion, bis maximal 60 Abduktion und in der Ebene der Scapula.

Voraussetzung für die dritte Phase ist Schmerzfreiheit bei der Übungsdurchführung und eine Drehmomentfähigkeit der Rotatoren von 70 % (180/s) der gesunden Seite. Reaktives Training geschieht in dieser Phase z. B. durch schnelles exzentrisches Abbremsen einer AR mit dem Theraband (Befestigung über Kopfhöhe an der Sprossenwand, nach erfolgtem Spannungsaufbau, Nachgeben und anschließend schnelles Abbremsen). Der M.subscapularis wird aus 90 Abduktionsstellung und der M.infraspinatus aus 90 Flexionsstellung beübt. Da die Ausdauerfähigkeit von (sekundär)präventiver Bedeutung ist, sind höhere Serienzahlen einzusetzen und auch Oberkörperergometergeräte. Der Sport kann wieder aufgenommen werden, wenn die AR 65 % der Drehmomentfähigkeit der IR haben.

Die Bedeutung des mehrgelenkigen Trainings wurde herausgestellt von B. Flatau in ihrem Vortrag „Die Bewegungstherapie nach dem Multi-Joint-Konzept bei Schulterverletzungen”. Vom Grundsatz erfordert eine eingelenkige Bewegung kaum Fertigkeit, reduziert den koordinativen Anspruch und damit naturgemäß auch umgekehrt den spezifischen Trainingsreiz. Sie ist somit für eine auf den letztendlich angestrebten Bewegungsvollzug ausgerichtete Zielsetzung inadäquat. Gleichzeitig bedeutet das mehrgelenkige Training im Gegensatz zum eingelenkigen einen geringeren mechanischen Nachteil. Allein bei einer Übung wie dem Bizeps-Curl mit der Langhantelstange gelingt es bei der mehrgelenkigen Übungsausführung die Stange nah am Körper zu führen, damit den Lastarm kurz zu halten und somit die Gelenkbelastung z. B. des Schultergelenkes zu reduzieren. Klimmzüge oder auch Pulldowns mit hoher Wiederholungszahl können vor allem bei enger Grifffassung in der oberen - voll gestreckte Arme über dem Kopf - und unteren - Arme unterhalb des Kinns - Endposition, je nach proniertem oder supiniertem Unterarm, die Gelenke stärker belasten. Ersetzt man die starre Stange durch sich drehende Ringe oder einzelne Seilzuggriffe, wird die Belastung gesenkt. Dies geschieht durch die Ermöglichung der axialen Drehung des Humerus mit proniertem Unterarm in der oberen und mit supiniertem Unterarm in der unteren Position.

An zahlreichen Beispielen zeigte die Referentin gerade auch bei den Wurfdisziplinen die Bedeutung der Rotation für die Beschleunigung des Wurfgegenstandes. Ergo darf z. B. die Wurfbewegung eines Baseballspielers sportartspezifisch nicht ohne die entsprechende Rotation im Unterarm und Handgelenk im rehabilitativen Training geübt werden. Der Muskelaufbau der Schultergürtelmuskulatur eines schulterverletzten Kanufahrers ist nicht ausreichend nur über Übungen am Ruderergometergerät oder den Lat-Zug am Seilzug zu erreichen. Für den zeitgerechten Einsatz aller beteiligten Muskeln muss vor allem in der Endphase der Trainingstherapie die spezifische mehrgelenkige Bewegungsausführung miteinbezogen werden.

C. Hetzel stellte in seinem Vortrag „AMSA - Ein Instrument zur Beurteilung von Alltagsaktivitäten bei Schulterverletzungen/-erkrankungen” ein Messinstrument vor, welches in Anlehnung an die Zielforderung der Rehabilitation nach (Wieder-)Teilhabe am Lebenskontext neben anderen Faktoren wie Schmerz vor allem die Beeinträchtigung der Schulterbewegungen in Bezug auf Alltagstätigkeiten erfasst. Weitere Details hierzu sind in dem in diesem Heft abgedruckten Artikel von C. Hetzel auf Seite 134 ff. nachzulesen.

In seinem Workshop „Der Einsatz des Moflex-Systems innerhalb der Trainingstherapie bei Schulterverletzungen” erläuterte O. Kieffer die Vorteile eines isokinetischen Zugapparates. Sind innerhalb der Trainingstherapie auch aufgrund der Vorgaben der Kostenträger die „komplexen” isokinetischen Test- und Trainingsgeräte verbreitet und im Therapeutenkreis bekannt, so trifft dies nicht in gleichem Maße auf den motorgesteuerten isokinetischen Zugapparat zu. Er repräsentiert ebenso die allgemeinen Vorteile eines isokinetischen Trainingsgerätes wie u. a. konstante Winkelgeschwindigkeit, variabler Widerstand - damit Anpassung an Ermüdung und Schmerz -, einstellbare Kraftgrenzen und Biofeedback. Gerade in der Frühphase der Schulterrehabilitation - Training der afferenten Sets, Stoffwechselförderung - ist der Aktiv-Assistiv-Modus von Vorteil. Im Anschluss an die theoretischen Ausführungen erhielten die Teilnehmer die Möglichkeit, dieses isokinetische Test- und Trainingsgerät auszuprobieren, wobei einzelne schadensbildspezifische Fragestellungen zur Diskussion kamen.

D. Schulz und K. Beinert gelang es in ihrem gut besuchten Workshop „Trainingstherapeutische Behandlungsmöglichkeiten bei ventraler Schulterinstabilität” auf der Basis wissenschaftlich begründeter Erklärungsansätze, therapeutische Zielsetzungen und Therapievorschläge praxisbezogen zu vermitteln. Ausgehend von der häufig vorkommenden Vergesellschaftung der ventralen Schulterluxation und dem Impingement sind kennzeichnend für das Schadensbild eine gestörte Wechselwirkung zwischen dem aktiven und passiven System sowie dem neuronalen Kontrollsystem. Dies äußert sich in einer veränderten Sensomotorik und neuromuskulären Reaktionsbereitschaft einhergehend mit Kraft- und Ausdauerdefiziten der Muskulatur. Begleitend sind zentral und peripher gesteuerte Hemmprozesse anzutreffen. Die Folge sind dann eine gestörte Gleitbewegung der Scapula auf der Thoraxrückwand bzw. eine verringerte Aufwärtsrotation und eine ungenügende Zentrierung des Humeruskopfes innerhalb der dynamischen Bewequngsabläufe (s. hierzu auch A. Gokeler weiter oben). Mit dieser Instabilität einher geht das Risiko, dass die Kapsel laxer wird bei gleichzeitigem Auftreten von Mikrotraumen. Allerdings ist es, wie so oft auch hier, schwierig zu beurteilen, was Ursache oder Folge ist, sprich „Henne” oder „Ei”.

Untersuchungsergebnisse belegen bei diesem Schadensbild eine verringerte Aktivität des M. serratus anterior, eine ebenso erhöhte des M. trapezius pars descendens. Des Weiteren sind Dysbalancen in der Muskelaktivität der scapulathorakalen Muskulatur anzutreffen und im Kraftverhältnis zwischen Agonist und Antagonist der glenohumeralen Rotatoren.

Die Therapieziele sind somit die Wiederherstellung der propriozeptiven Fähigkeiten und der dynamischen Stabilisationsfähigkeit einschließlich der Reaktivierung der neuromuskulären Reaktionsbereitschaft. Für den Muskelaufbau bedeutet dies vor allem die Kräftigung des M. serratus anterior und des M. trapezius pars ascendens, der glenohumeralen Innen- und Außenrotatoren sowie der thorakalen Rückenstrecker.

Im Anschluss an die theoretischen Ausführungen übten die Teilnehmer in verschiedenen Ausgangsstellungen die Aktivierung der Muskelschlingen und den Muskelaufbau der spezifischen Muskeln, sowohl ohne Gerät aus der Bauchlage, dem Vierfüßlerstand oder Sitz wie auch am Seilzugapparat.

Zum Schluss auch an dieser Stelle ein Dank an die Firmen Stolzenberg GmbH aus Erftstadt und Proxomed aus Alzenau, die ihre Trainingsgeräte für die Durchführung der Workshops zur Verfügung stellten.

Dr. Martin Steinau

Steppenbergallee 58

52074 Aachen

Email: Martin.Steinau@t-online.de

    >