Geburtshilfe Frauenheilkd 2004; 64(2): 136-137
DOI: 10.1055/s-2003-44743
Kommentar

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Aktuelles zu Diabetes und Schwangerschaft

Current Information on Diabetes and PregnancyU. M. Schäfer-Graf 1
  • 1Klinik für Geburtsmedizin, Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin
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Publication Date:
09 February 2004 (online)

Mit einem Vorlauf von 2 Jahren zwischen Antragsstellung und Beschlussfassung war es Mitte November endlich soweit: Das Deutsche Ärzteblatt veröffentlichte den Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, ein Blutzuckerscreening auf Gestationsdiabetes für jede Schwangere zur Zeit nicht in die Mutterschaftsrichtlinien aufzunehmen. Das Ministerium für Gesundheit schloss sich dem Beschluss an. Wer sich den Bericht, dem diese Entscheidung zugrunde liegt, im Detail anschauen möchte, der sei auf die Webside der Kassenärztlichen Bundesvereinigung verwiesen: http://www.kbv.de/hta. Es wurde beschlossen, „die weiteren Beratungen zu diesem Thema (Screening auf Gestationsdiabetes) bis zum Vorliegen ausstehender Studienergebnisse, die zum Jahr 2004 erwartet werden, auszusetzen“. Hier wird Bezug genommen auf die HAPO-Studie (Hyperglycemia adverse pregnancy outcome), die Grenzwerte für den oralen Glukosetoleranztest evaluiert, die sich an der zu erwartenden neonatalen Morbidität orientieren. Ergebnisse, auf die auch die Fachgesellschaften dringend warten. Wer sich mit dem Thema Gestationsdiabetes ernsthaft beschäftigt, weiß jedoch auch, dass wegen Rekrutierungsproblemen vor 2006/7 mit Ergebnissen nicht zu rechnen ist. Selbst dann werden sich einige Fragen nicht beantworten lassen, da die HAPO-Studie keine Therapiestudie ist.

Vorsichtig formuliert, vermittelt der Bericht der KBV den Eindruck, dass Gestationsdiabetes keine Schwangerschaftserkrankung darstellt, geringste Auswirkungen auf den Feten bestehen, jegliche Therapie - Diät, Bewegung, Insulin - unwirksam sei und auch der Aspekt der Primärprävention für Mutter und Kind unbelegt sei. Literatur wurde entsprechend ausgewählt und gewichtet - unter Einbeziehung strengster Evidence-based-medicine-Kriterien. Wie wir wissen, entspricht das nicht immer den klinischen Erfahrungen und Erfordernissen. Wir haben in den Industrieländern einen epidemieartigen Anstieg von Adipositas und Typ-2-Diabetes-mellitus. Frauen mit Gestationsdiabetes stellen ein Risikokollektiv für einen späteren Diabetes dar und spätestens seit der Veröffentlichung der Ergebnisse des „Diabetes Prevention Trial“ 2002 im New England Journal ist bekannt, dass sich durch Lifestyleänderung die Manifestation des Typ-2-Diabetes verzögern, wenn nicht ganz verhindern lässt. Für die Kinder kann die, intrauterin durch die Mutter vermittelte Hyperglykämie eine Disposition für Adipositas und Diabetes bereits im Schulalter bedeuten. Dazu gibt es Untersuchungen basierend auf Messungen des Fruchtwasserinsulins bereits aus den frühen 90er-Jahren. Ein neuer Wissenschaftszweig „fetal programming“ beschäftigt sich mit den Auswirkungen des intrauterinen Milieus auf die spätere Gesundheit des Kindes. Die ständig steigende Zahl an Publikationen ist ein Hinweis auf die Bedeutung von Primärprävention, in Zeiten, in denen die steigenden Kosten zum Kollaps der sozialen Gesundheitssysteme führen. Man kann nur mutmaßen, unter welcher Vorgabe dieser Beschluss zustande kam. Sicherlich haben finanzielle Aspekte eine wichtige Rolle gespielt. Es stellt sich nur die Frage, ob die Kosteneinsparung sich nicht relativiert, angesichts der Kosten, die die neonatologische Versorgung eines Kindes mit diabetischer Fetopathie oder die Behandlung von diabetischen Spätkomplikationen kostet. Die Behandlung des Typ-2-Diabetes-mellitus verschlingt bereits jetzt Unsummen.

Es bleibt zu hoffen, dass eine Wiederaufnahme der Verhandlungen unter stärkerer Einbeziehung von Vertretern der betroffenen Fachgesellschaften erfolgt und das Postulat von „evidence-based medicine“, dass nur klinisch relevant ist, was mit Level-IA-Studien belegt ist, einem realistischen Umgang mit diesem durchaus wichtigen Instrumentarium gewichen ist.

Ich bin dankbar für die Initiative der Redaktion, aus aktuellem Anlass die Leser der Zeitschrift für Gynäkologie und Geburtshilfe auf zwei wichtige Leitlinien zum Thema Diabetes und Schwangerschaft aufmerksam zu machen, die 2001 bzw. 2003 jeweils von einer interdisziplinär zusammengesetzten Expertengruppe basierend auf dem vorhandenen Datenmaterial überarbeitet wurden. Die Erstellung einer Leitlinie zu Typ-1- und Typ-2-Diabetes-mellitus und Schwangerschaft wurde aktuell von der Leitlinien-Kommission der Deutschen Diabetesgesellschaft in Auftrag gegeben.

Dr. U. M. Schäfer-Graf

Klinik für Geburtsmedizin
Vivantes Klinikum Neukölln

Mariendorfer Weg 28

12051 Berlin

Email: ute.schaefer-graf@vivantes.de

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