psychoneuro 2003; 29(10): 469-471
DOI: 10.1055/s-2003-43530
Übersicht

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gesundheitsziele für Deutschland: - Eine Initiative wird konkret

Anke Bramesfeld1 , Matthias Wismar1 , Barbara Philippi1 , Ute Brasseit1 , Sybille Angele1
  • 1Medizinische Hochschule Hannover
Weitere Informationen
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Korrespondenzadresse:

Dr. Anke Bramesfeld

Medizinische Hochschule Hannover

30623 Hannover

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. November 2003 (online)

Inhaltsübersicht #

Summary

In der deutschen Gesundheitspolitik - über den Aspekt der Kostenersparnis hinaus - auch inhaltliche Schwerpunkte zu setzen, ist das Ziel der Initiative gesundheitsziele.de (siehe auch psychoneuro 6/2003). Diese Initiative, die sich aus zahlreichen Akteuren des Gesundheitswesens zusammensetzt und unter der Schirmherrschaft der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und Gestaltung (GVG e.V.) in Kooperation mit dem Bundesministerium für Gesundheit und Sozialordnung (BMGS) arbeitet, hat die erste Phase der konkreten Ausarbeitung des deutschen Gesundheitszieleprogramms abgeschlossen. Am 14. Februar 2003 wurde der Bericht über detaillierte geplante Ziele und Maßnahmen der Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung überreicht (Bericht unter www.gesundheitsziele.de einsehbar).

Folgende Arbeitsschritte kennzeichnen den Verlauf der Arbeit der Initiative gesundheitsziele.de:

  • Festlegen von Zielthemen

  • Einberufen von Arbeitsgruppen zu den einzelnen Zielthemen

  • Ausarbeitung von konkreten Gesundheitszielen zu den Zielthemen

  • Formulieren von Teilzielen zur Opernationalisierung der Gesundheitsziele

  • Benennen von Maßnahmen und Akteuren für die Umsetzung der Teilziele

  • Abschluss der Ausarbeitungsphase, Eintritt in die Implementierungs- und Evaluationsphase.

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Die Zielthemen

In einem Konsensusverfahren einigten sich alle am gesundheitsziele.de Prozess beteiligten Akteure des Gesundheitswesens auf fünf prioritäre Themen. Es wurden Themen gewählt, die das ganze mögliche Spektrum von Gesundheitszielansätze umfassen:

  • Zielthemen mit Krankheitsbezug: mit den Themen „Diabetes” und „Brustkrebs” wurden Krankheitsbilder gewählt, die nicht nur wegen ihrer Verbreitung und hohen Mortalität und Morbidität relevant sind, sondern auch von gesellschaftspolitischer Bedeutung sind

  • Zielthemen mit Präventionsbezug: Dieser Ansatz wird typischerweise vom Zielthema „Tabakkonsum reduzieren” vertreten, das abgesehen von seiner Public Health Relevanz durch die Diskussionen, z.B. um die EU-Tabakkonventionen [3], aktuelle gesellschaftspolitische Relevanz besitzt

  • Zielthemen für Bevölkerungs-gruppen: Mit dem Fokus auf Stress, Ernährung und Bewegung bei Kindern und Jugendlichen wird auf eine klassische Zielgruppe für Prävention und Gesundheitsförderung Bezug genommen [5]

  • Zielthemen mit Bürger- und Patientenbezug: Das Zielthema „Gesundheitliche Kompetenz von Bürger(inne)n/Patient(inn) en” bezieht sich konkret auf diesen Anspruch. So explizit bekennt sich bisher kein Gesundheitszielprogramm zu dem Anspruch auf „Bürger- und Patienten-Empowerment” [2].

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Die Arbeitsgruppen

Für die Ausarbeitung dieser Gesundheitszielthemen wurden fünf Arbeitsgruppen gegründet. Alle Arbeitsgruppen vereinten in sich die ganze Bandbreite der möglichen Akteure einer späteren Zielumsetzung. Es gab dabei Akteure, die in allen Arbeitsgruppen vertreten waren, z.B. Vertreter der zuständigen Ministerien, Vertreter der Länder, Städte und Krankenkassen. Darüber hinaus gab es aber auch Themen-spezifische Akteure wie z.B. Vertreter von Organisationen und Fachgesellschaften, die maßgeblich zu dem spezifischen Thema arbeiten. So beteiligten sich z.B. Vertreter der Schulen und Sportverbände in den Arbeitsgruppen, die zu Kindern und Jugendlichen und zu „Tabakkonsum reduzieren” arbeiteten, Vertreter der Selbsthilfe beteiligten sich an den Arbeitsgruppen zu den Gesundheitszielthemen mit Krankheitsbezug und selbstverständlich in der Arbeitsgruppe zur Bürger- und Patientenorientierung. Die Arbeitsgruppen waren offen und erweiterten sich um weitere Akteure im Verlauf.

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Ziele und Teilziele

Gesundheitszielthemen lassen sich nur mit einem multidimensionalen Ansatz erfolgreich bearbeiten. Dies bedeutete für die krankheitsbezogenen Themen, dass die Ziele und Teilziele das gesamte Gesundheitsversorgungsspektrum von der Prävention bis zur Rehabilitation über die Versorgungssektoren hinaus umspannen müssen. Für das Präventionsziel war schnell klar, dass Prävention sich nicht nur auf Verhaltensprävention beschränken kann, sondern ohne Verhältnisprävention, inklusive der Veränderungen politischer Rahmenbedingungen, nur wenig erfolgreich sein werde. Die Arbeitsgruppen einigten sich im Konsensusverfahren auf die in [Tabelle 1] dargestellten, zu den Zielthemen formulierten Oberzielen und die ihnen zugeordneten Ziele und Teilziele [4].

Bei der Erarbeitung der Ziele und Teilziele kristallisierten sich in allen Arbeitsgruppen Bereiche heraus, die für alle Gesundheitszielthemen bedeutend sind:

  • Informationspolitik (vom Gesundheitswissen der Bürger bis hin zur mündigen Teilhabe der Patient(inn)en an Therapieentscheidungen)

  • Der Zugang zu sozial benachteiligten Personen als für den Erfolg von Gesundheitszielen besonders relevante, aber schwer zu erreichende Zielgruppe

  • Die Bedeutung psychosozialer Aspekte.

Die zahlreichen Überschneidungen und Synergien sowohl auf Ziel- als auch auf Teilzielebene zwischen den Arbeitsgruppen sind in [Abbildung 1] dargestellt.

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Die Maßnahmen

Das bei der Arbeit bisher gültige Konsensprinzip galt beim Erstellen der Maßnahmen nur noch in Bezug auf die Akteure, die von einer Umsetzung einer Maßnahme betroffen sein würden. Die Formulierung der Maßnahmen war zwar von dem Ideal „was müsste im optimalsten Falle unternommen werden um die Gesundheitsziele zu erreichen”, geprägt, alle Beteiligten waren sich jedoch darüber im Klaren, dass die Umsetzung von den vorhandenen Ressourcen der Akteure abhängig sein werde, sowie davon, ob betroffene Akteure, die nicht in der Arbeitsgruppe vertreten sind, sich einbeziehen lassen würden.

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Ausblick, Implementierungs- und Evaluationsphase

Im Laufe des Jahres 2003 ist der Beginn der Umsetzungsphase der nationalen Gesundheitsziele geplant. Hierfür müssen Akteure, die die geplanten Maßnahmen umsetzen wollen und können, gefunden werden. Eine Schwerpunktsetzung bei der Implementierung der Ziele wird sowohl pragmatisch erfolgen, geleitet von den vorhandenen Ressourcen, als auch ideell. Hierbei wird es auf ein Betonen der Ziele ankommen, die nicht durch andere zeitgleich laufende Programme, wie z.B. das Brustkrebsscreeningprogramm oder die Disease Management Programme, abgedeckt werden. Maßnahmen wie z.B. ein umfassendes Tabakwerbeverbot, als Bestandteil einer effektiven Strategie zur Reduktion des Tabakkonsums, werden weiterhin als Forderung bestehen bleiben.

Die Implementierung der Ziele wird von einer Evaluation begleitet werden. Da eindeutige Ergebnisparameter, wie z.B. die Reduktion der Mortalität von Brustkrebspatientinnen erst in einigen Jahren, eher Jahrzehnten, relevante Veränderungen aufzeigen werden, wird sich diese Evaluation insbesondere auf das Beschreiben von Prozessen, Strukturen und Teilergebnissen stützen müssen.

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Schlussfolgerung

In den letzten Jahren lässt sich eine deutliche Tendenz in der deutschen Gesundheitspolitik hin zur verstärkten Beschäftigung mit inhaltlichen Aspekten beobachten. Dies zeigt sich an der Einführung von Versorgungsprogrammen zu chronischen Erkrankungen (DMP), am Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen [6], an dem erst kürzlich ins Leben gerufene Forum Prävention [1], und nicht zuletzt an der Initiative gesundheitsziele.de. Diese Häufung bundesweiter Initiativen lässt hoffen, dass es gelingen wird, mit Hilfe all dieser Initiativen die Qualität in der deutschen Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung gezielt zu heben.

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Abb. 1

Tab. 1 Übersicht über die Gesundheitsziele der fünf Gesundheitszielthemen

Gesundheitsoberziel

Gesundheitsziele

Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln

Die Inzidenz des Diabetes Mellitus Typ 2 ist reduziert. Diabetes Mellitus Typ 2 wird häufiger in einem Krankheitsstadium diagnostiziert, in dem noch keine Folgeschäden aufgetreten sind.

Die Lebensqualität von Menschen, die an Diabetes Mellitus Typ 2 erkrankt sind, ist erhöht. Folgeprobleme und Komplikationen sind nachweislich verringert.

Brustkrebs: Mortalität vermindern, Lebensqualität erhöhen

Das Auftreten der Brustkrebsneuerkrankung ist reduziert. Brustkrebs wird in einem frühen und damit prognostisch günstigerem Stadium erkannt. Eine qualitativ hochwertige und evidenz- basierte Versorgung ist flächendeckend und strukturiert gewährleistet. Das Wissen über die Erkrankung ist bei den Nicht-Betroffenen und bei den Patientinnen verbessert. Die Patientin ist über vorhandene Therapieoptionen informiert und Partnerin im medizinischen Entscheidungsprozess. Die Lebensqualität der Patientinnen ist durch eine bedarfsgerechte und qualitätsgesicherte psychosoziale Betreuung und ggf. psychoonkologische Behandlung verbessert. Patientinnen haben die Möglichkeit, an flexibilisierten Angeboten der Rehabilitation teilzunehmen. Klinische Krebsregister werden in ausreichender Zahl und voll funktionsfähig geführt und genutzt. Es bestehen verbesserte Erkenntnisse über verursachende Faktoren, ihre Zusammenhänge. Vorsorgungsforschung begleitet kontinuierlich die Versorgung.

Der Tabakkonsum in der Bevölkerung ist zurückgegangen

Eine effektive Nichtraucher Politik ist implementiert. Mehr Kinder und Jugendliche hören mit dem Rauchen auf. Die Zahl der entwöhnten Raucher ist gesteigert. Mehr Kinder und Jugendliche bleiben Nichtraucher.

Gesund aufwachsen: Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung

Ein gesundes Ernährungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen wird gefördert. Motorische Fähigkeiten bei Kindern und Jugendliche sind gestärkt. Fähigkeiten zur Stressbewältigung sind bei Kindern und Jugendlichen gestärkt.

Kompetenz erhöhen, Patientensouveränität stärken

Bürger(innen) und Patient(innen) werden durch qualitätsgesicherte, unabhängige, flächen-deckend angebotene und zielgruppengerichtete Gesundheitsinformationen und Beratungs- angebote unterstützt. Gesundheitsbezogene Kompetenzen der Bürger(inn)en und Patient- (inn)en sind gestärkt; ergänzende und unterstützende Angebote sind verfügbar. Die kollektiven Partienrechte sind ausgebaut, die individuellen Patientenrechte gestärkt und umgesetzt. Das Beschwerde- und Fehlermanagement erlaubt es Versicherten und Patient(inn)en ihre Beschwerden und Ansprüche wirksamer, schneller und unbürokratischer geltend zu machen.

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Literatur

  • 1 Bundesregierung . Deutsches Forum Prävention und Gesundheitsförderung gegründet.  Sozialpolitische Umschau. 2002;  295
  • 2 Busse R, Wismar M. Helth target programmes and health care services - any link? A conceptual and comparative study (part 1).  Health Policy. 2002;  59 209-221
  • 3 European Union . Directive 2001/37/EC of the European Parliament and of the Council on the approximation of the laws, regulations and administrative provisions of the Member States concerning the manufacture, presentation and sale of tobacco products.  OJ L. 2001;  194 18-27
  • 4 GVG . gesundheitsziele.de. - Forum zur Entwicklung und Umsetzung von Gesundheitszielen in Deutschland stellt seine Zwischenergebnisse vor.  www.gesundheitsziele.de. 2001; 
  • 5 Palentien C. Einzelne Bevölkerungsgruppen. Kinder und Jugendliche.  In: Schwartz F.W.:, Badura B, Leidl R, Raspe H, Siegrist J (Hrsg.): Das Public Health Buch.  München, Jena: Urban & Fischer. 2000;  498-506
  • 6 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen . Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, Gutachten 2000/2001.  Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. 2002; 
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Korrespondenzadresse:

Dr. Anke Bramesfeld

Medizinische Hochschule Hannover

30623 Hannover

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Literatur

  • 1 Bundesregierung . Deutsches Forum Prävention und Gesundheitsförderung gegründet.  Sozialpolitische Umschau. 2002;  295
  • 2 Busse R, Wismar M. Helth target programmes and health care services - any link? A conceptual and comparative study (part 1).  Health Policy. 2002;  59 209-221
  • 3 European Union . Directive 2001/37/EC of the European Parliament and of the Council on the approximation of the laws, regulations and administrative provisions of the Member States concerning the manufacture, presentation and sale of tobacco products.  OJ L. 2001;  194 18-27
  • 4 GVG . gesundheitsziele.de. - Forum zur Entwicklung und Umsetzung von Gesundheitszielen in Deutschland stellt seine Zwischenergebnisse vor.  www.gesundheitsziele.de. 2001; 
  • 5 Palentien C. Einzelne Bevölkerungsgruppen. Kinder und Jugendliche.  In: Schwartz F.W.:, Badura B, Leidl R, Raspe H, Siegrist J (Hrsg.): Das Public Health Buch.  München, Jena: Urban & Fischer. 2000;  498-506
  • 6 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen . Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, Gutachten 2000/2001.  Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. 2002; 
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Dr. Anke Bramesfeld

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Abb. 1