Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(42): 2183
DOI: 10.1055/s-2003-42974
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Public Health: Wo stehen wir heute?

Public health: where are we?U. Walter1
  • 1 Abteilung Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover
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eingereicht: 7.8.2003

akzeptiert: 11.8.2003

Publication Date:
16 October 2003 (online)

Priv. Doz. Dr. phil. Ulla Walter, Hannover

Der Versuch, Public Health in Deutschland zu etablieren, war ein gewaltiges Unterfangen. Beteiligt daran waren die Bundesministerien für Bildung und Forschung sowie für Gesundheit, der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, gut 300 Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen, nationale und internationale Gutachter, aber auch Ministerien auf Landesebene bis hin zu zahlreichen Einrichtungen der Versorgungspraxis. Der geforderte Prozess der Strukturbildung - die institutionelle Verankerung von Public Health in den Hochschulen auf Landesebene - war ein mühsamer und oft steiniger Weg. Nach knapp 10 Jahren Förderung mit durchschnittlich 4,5 Mio. Euro/Jahr sind nicht an allen Standorten die gewünschten Strukturen erhalten geblieben oder gar ausgebaut worden. Dennoch konnten sich an einigen Standorten in neun Bundesländern - bei insgesamt zunehmenden Einsparungen an den Hochschulen - leistungsfähige Einrichtungen etablieren. Positiv hervorzuheben ist eine deutlich gestiegene Akzeptanz an Standorten mit Medizinischen Fakultäten, die nicht nur zu einer Zusammenarbeit in der Forschung, sondern (an drei Standorten) zu einer expliziten Festlegung von Public Health als Forschungsschwerpunkt führte.

Ein Dilemma von Public Health ist der geforderte, aber in der wissenschaftlichen Qualifizierung und im hochschulinternen Ranking nicht honorierte Transfer in die Gesundheitspolitik und Versorgungspraxis. Dieser Spagat ist zwar wünschenswert, aber kaum leistbar. Umso beachtlicher sind zahlreiche Einflüsse auf die Politik, z.B. mehr Partizipation der Patienten und Stärkung der Konsumentenperspektive, Ausbau der Ergebnisorientierung im Gesundheitswesen, Reformdebatte zur Bewältigung der Demographielast, Diskussion zur ergebnisorientierten Vergütung und nicht zuletzt: Stärkung der Prävention. Dabei firmieren sicher nicht alle Entwicklungen, an denen Public-Health-Wissenschaftler beteiligt sind, unter diesem Etikett. Bezüglich der Forschungsqualität und -breite weisen Göpfert et al. in diesem Heft (Seite 2206) zu Recht darauf hin, dass die Forschung in einem „Fach“, in dem nur eine begrenzte Drittmittelfinanzierung durch Industrie und Sozialversicherungsträger möglich ist, staatlich gefördert werden muss, soll nicht das Erreichte wieder aufgegeben werden.

Der Erfolg von Public Health sollte am Stand von 1992, dem Förderbeginn, gemessen werden [2]: Damals gab es in Deutschland keine Gesundheitsberichterstattung, keine systematischen Untersuchungen zu präventiven Gesundheitspotenzialen, es fehlten systemische kontextbezogene Analysen zu Gesundheit und Gesundheitsförderung in Gemeinden, Betrieben, Schulen, zur Versorgungsqualität, zur sozialen Ungleichheit, zum Zugang zur Versorgung sowie zu Bedürfnissen von Patienten. Gesundheitsökonomische Analysen sowie wissenschaftliche Modellbildungen auf Gesundheitssystemebene waren Neuland. Darüber hinaus gab es keine Public-Health-bezogene Schulung von wissenschaftlichem Nachwuchs. Daran gemessen hat sich viel bewegt. Auch wenn nicht alles direkt auf die Public-Health-Förderung zurückzuführen ist, so strahlte diese doch auf viele Bereiche und weitere Standorte aus. Hierzu zählen die Forschung in der Rehabilitation, die Integration von Public-Health-Themen in universitäre Studiengänge sowie die Einrichtung von fast 50 Bachelor- und Masterprogrammen im Studienfeld Gesundheit bis 2001 [1].

Mit den inzwischen über 800, von unterschiedlichen Institutionen im deutschen Gesundheitswesen stark nachgefragten Absolventen der universitären Postgraduierten-Studiengänge sowie den in Public-Health-Projekten geschulten Nachwuchswissenschaftlern liegt in zahlreichen Organisationen und Hochschulen eine Public-Health-Kompetenz vor. Sie können mit dazu beitragen, die vermutlich wichtigsten gesundheitspolitischen Fragen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, nämlich die Verbesserung der Gesundheit bzw. ihre Sicherung vor dem Hintergrund neuer Gefahren wie Infektionen, Umwelt, Destruktion, sowie eine verbesserte Effizienz im Gebrauch der gesundheitlichen Ressourcen einschließlich der eskalierenden Kosten [3], einer sozial verträglichen Lösung zuzuführen.

Literatur

  • 1 Kälble K, Reschauer G. Wandel der Berufsbilder und Qualifikationsanforderungen in den Gesundheitsberufen.  Public Health Forum. 2002;  10 2-4
  • 2 Schwartz F W. Interview zur Frage "Haben sich Ihre Erwartungen an Public Health erfüllt? Was erwarten Sie von der Zukunft?“.  Public Health Forum. 2002;  10 12
  • 3 Schwartz F W. Public Health - Zugang zu Gesundheit und Krankheit der Bevölkerung, Analysen für effektive und effiziente Lösungsansätze. In: Schwartz FW, Badura B, Busse R, Leidl R, Raspe H, Siegrist J, Walter U (Hrsg.) (2003) Das Public Health Buch. Gesundheit und Gesundheitswesen. München: Urban & Fischer, 3-6

Priv.-Doz. Dr. phil. Ulla Walter

Arbeitsschwerpunkt Prävention und Rehabilitation/Versorgung älterer Menschen Abt. Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover

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