Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(9): 571-572
DOI: 10.1055/s-2003-41862
Gasteditorial
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Zur aktuellen Infektionssituation in der Intensivmedizin

Current Infection Problems in Intensive CareP.  Gastmeier1
  • 1Institut für Medizinische Mikrobiologie, Bereich Krankenhaushygiene, Medizinische Hochschule Hannover
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Publication Date:
16 September 2003 (online)

Die aktuelle Beschreibung der Infektionssituation der deutschen Intensivstationen fällt heute viel leichter als noch vor einigen Jahren.

Viele Intensivstationen führen inzwischen eine routinemäßige Surveillance ihrer nosokomialen Infektionen durch und analysieren regelmäßig ihre Infektionsraten für beatmungsassoziierte Pneumonien, ZVK-assoziierte Sepsis-Fälle und Harnwegkatheter-assoziierte Harnweginfektionen sowie ihre Erreger- und Resistenzsituation.

Bis Ende 2002 haben 274 der ca. 1 700 deutschen Intensivstationen ihre Infektionsdaten an die Referenzdatenbank, das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) geschickt. Dadurch haben wir einen guten Überblick über die durchschnittlichen Infektionsraten und ihre Verteilung [1]. Die jeweils aktuellen nach Art der Intensivstation stratifizierten Daten können auf der Homepage des Nationalen Referenzzentrums für die Surveillance von nosokomialen Infektionen eingesehen werden (www.nrz-hygiene.de).

Zusätzlich besteht seit einiger Zeit auch die Möglichkeit, Orientierungsdaten zur Antibiotika-Anwendung und zur Resistenzsituation einzusehen. Das Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Freiburg hat im Jahr 2000 begonnen, parallel zur KISS-Datenbank eine zweite Datenbank aufzubauen. Sie heißt SARI (Surveillance der Antibiotika-Anwendung und der bakteriellen Resistenzen auf Intensivstationen) und erfasst inzwischen aus 35 bundesweit verteilten Intensivstationen standardisierte Daten zur Anwendung von Antibiotika und zur Resistenzsituation (www.sari-antibiotika.de). Beispielsweise ermöglichen es die SARI-Daten, für die eigene Intensivstation zu überprüfen, ob ein bestimmtes Antibiotikum wesentlich häufiger als in anderen Intensivstationen verwendet wird. Diese Information kann eine wichtige Hilfestellung für die Veränderung von Therapieentscheidungen sein. Zusätzlich kann man sich hinsichtlich des Vorkommens bestimmter „Schlüssel”-Resistenzen orientieren und daraus Schlussfolgerungen für Therapieveränderungen oder die Modifikation von Maßnahmen zur Erregerausbreitung auf der eigenen Intensivstation ableiten [1].

Auffallend bei beiden Datenbanken ist die große Variabilität der Situation zwischen den einzelnen Intensivstationen, egal ob es sich um die device-assoziierten Infektionsraten, die Antibiotika-Anwendung oder die Resistenzsituation handelt. Deshalb ist es auch so wichtig, die Situation für die eigene Station regelmäßig in bestimmten Zeitabständen zu evaluieren, um damit Hinweise zu erhalten, wann Interventionen unbedingt notwendig sind.

Das ist einerseits natürlich zum Schutz der Patienten notwendig, aber auch die ökonomischen Bedingungen zwingen immer mehr zur Auseinandersetzung mit diesem Thema. Patienten mit nosokomialen Infektionen verbringen durchschnittlich ca. eine Woche länger auf der Intensivstation, damit entstehen erhebliche zusätzliche Kosten, und diese Kosten sind nur zu einem gewissen Teil durch die Krankenkassen abgedeckt. Eine kürzlich erschienene deutsche Studie hat ermittelt, dass nur ca. 55 % der Kosten für nosokomiale Pneumonien auf Intensivstationen durch die Kassen übernommen werden, die restlichen Kosten verbleiben beim Krankenhaus [2].

Deshalb ist es für Intensivmediziner dringend notwendig, sich mit infektiologischen Fragestellungen auseinander zusetzen. In der Regel ist es nicht nur sinnvoll, sondern auch kosteneffektiv, dafür speziell ausgebildetes Personal einzusetzen. In größeren Krankenhäusern sollten klinische Mikrobiologen, Infektiologen und Krankenhaushygieniker regelmäßig auf Intensivstationen präsent sein, und auch Hygienefachschwestern/ bzw. -pfleger können einen wichtigen Beitrag zur Infektionsprävention leisten. Für Intensivstationen in kleineren Krankenhäusern sollte auf eine regelmäßige entsprechende fachliche Beratung ebenfalls nicht verzichtet werden.

Zusätzliche Kosten entstehen aber nicht nur durch die Entwicklung von nosokomialen Infektionen. Multiresistente Erreger können ebenfalls zu erheblichen Kosten führen und die Prognose des Patienten deutlich verschlechtern. Zwei Metaanalysen haben inzwischen gezeigt, dass Patienten mit MRSA-Bakteriämien eine mehr als doppelt so hohe Letalität haben wie Patienten mit Methicillin-sensiblen S. aureus [3] [4].

Im Jahre 2002 waren nach den KISS-Daten bereits 26,9 % der nosokomialen S. aureus-Infektionen auf deutschen Intensivstationen durch Methicillin-resistente S. aureus (MRSA) bedingt. Für Pneumonien betrug der Anteil der MRSA 24,4 %, für die primäre Sepsis 35,2 %. Dabei gibt es eine große Variationsbreite zwischen den Intensivstationen. Von den insgesamt 228 in Jahre 2002 an KISS teilnehmenden Intensivstationen hatten 143 (62,7 %) gar keine nosokomialen MRSA-Infektionen, aber in 44 Intensivstationen (19,3 %) waren mindestens 50 % der nosokomialen S.aureus-Infektionen MRSA-Infektionen. Im Durchschnitt wurden im Jahre 2002 pro 1000 Patiententage 0,34 nosokomiale MRSA-Infektionen beobachtet.

Dabei sind die nosokomialen MRSA-Infektionen nur die Spitze des Eisberges. Wesentlich mehr Intensivpatienten sind kolonisiert. Betrachtet man die Entwicklung von Resistenzproblemen in Intensivstationen, so kann man zumeist folgenden Verlauf beobachten: Am Anfang sind es nur wenige, sporadische Fälle, manchmal wird ein Ausbruch bemerkt. Solche initialen Ausbrüche können durch Erregerquellen in der Patientenumgebung hervorgerufen werden oder durch die Aufnahme eines kolonisierten oder infizierten Patienten. Im Laufe der Zeit nimmt die Inzidenz der Infektionen zu, und ein beträchtlicher Teil der Patienten ist kolonisiert. Eine endemische Situation hat sich entwickelt und die Elimination dieser resistenten Erreger von der Station wird sehr schwer oder sogar unmöglich.

Deshalb ist es so wichtig, das Auftauchen von neuen Resistenzproblemen möglichst schnell zu erkennen, um frühzeitig entsprechende Maßnahmen gegen die Ausbreitung dieser Erreger einleiten zu können. Die gramnegativen Erreger spielen dabei auch eine wichtige Rolle. Von besonderer Bedeutung sind Betalaktamasen (Enzyme) mit erweitertem Spektrum (Extended Spektrum β-Laktamasen = ESBL). Sie sind die Hauptursache der Resistenz gegen Penicilline, Cephalosporine der Gruppen 3a und 3b (Cefotaxim, Ceftriaxon, Ceftazidim sowie Aztreonam) und treten bei Enterobacteriaceae (z. B. Klebsiella spp., E. coli, seltener bei Enterobacter spp., Serratia spp.) auf. Die ESBL-Resistenzgene befinden sich auf Plasmiden, die auch speziesübergreifend, z. B. von K. pneumoniae auf E. coli, schnell und effektiv übertragen werden. Die daraus resultierende rasche Ausbreitung von Mehrfachresistenzen bedingt den Einsatz sog. „Reserve-Antibiotika”. Der zusätzliche Selektionsdruck führt seinerseits zum gehäuften Auftreten anderer multiresistenter Erreger, z. B. P. aeruginosa.

Leider sind diese ESBL nicht ganz einfach zu diagnostizieren, so dass sie in vielen Krankenhäuser nicht oder erst spät wahrgenommen werden. Deshalb können sie sich unter Umständen auf Intensivstationen über längere Zeit unbemerkt ausbreiten, und werden erst wahrgenommen, wenn es zu Therapieversagern kommt. Der Artikel von A. Kola in diesem Heft von AINS gibt einen Überblick über die Bedeutung dieser Erreger, erklärt die diagnostischen Schwierigkeiten und gibt Empfehlungen zu den therapeutischen Konsequenzen und den Präventionsmaßnahmen [5].

Literatur

  • 1 Gastmeier P, Meyer E, Schwab F, Geffers C, Rüden H, Daschner F. KISS und SARI: Benchmarking und Referenzdaten für Krankenhausinfektionen, Antibiotika-Verbrauch und Resistenz auf deutschen Intensivstationen.  Intensivmed,. 2003;  40 in press
  • 2 Dietrich E, Demmler M, Schulgen G, Fekec K, Mast O, Pelz K, Daschner F. Nosocomial pneumonia: a cost- of -illness analysis.  Infection,. 2002;  30 61-67
  • 3 Cosgrove S, Sakoulas G, Perencevich E, Schwaber M, Karchmer A, Carmeli Y. Comparison of mortality asociated with Methicllin resistant and methicllin-susceptible Staphylococus aureus bacteremia: A meta-analysis.  Clin Infect Dis,. 2003;  36 53-59
  • 4 Whitby M, McLaws M-L, Berry G. Risk of death from methicillin-resistant Staphylococcus aureus bacteraemia: a meta-analysis.  MJA,. 2001;  175 264-267
  • 5 Kola A, Gastmeier P. Extended spectrum beta-Laktamase (ESBL)-vermittelte Antibiotikaresistenz bei gramnegativen Erregern. Was ist in der Intensivmedizin zu beachten?.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerther,. 2003;  38 573-576

Prof. Dr. med. Petra Gastmeier

Institut für Medizinische Mikrobiologie, Bereich Krankenhaushygiene,

Medizinische Hochschule Hannover

Carl-Neuberg-Str. 1

30625 Hannover

Email: gastmeier.petra@mh-hannover.de