Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(3): 197-199
DOI: 10.1055/s-2003-37782
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Reanimation nach der Jahrtausendwende - Neue Standards oder Altbewährtes?

Reanimation in the New Millenium - New Standard or Proven Treatment?C.  Kill1
  • 1Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie, Klinikum der Philipps-Universität Marburg
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Publication Date:
12 March 2003 (online)

Die Reanimation im Rettungsdienst kann ohne Zweifel als der zeitkritischste Notfall überhaupt bezeichnet werden. Die unmittelbar bestehende Hypoxie verschlechtert die Prognose mit jeder Minute ohne Wiederbelebungsmaßnahmen. Nur eine optimale Verkettung von Sofortmaßnahmen durch Ersthelfer mit kompetenter und konsequenter präklinischer und klinischer Notfall- und Intensivtherapie scheint mögliche Überlebenschancen nutzbar zu machen. Dabei sind vielerorts die Ergebnisse nach wie vor unbefriedigend. In einer Übersicht über 15 Jahre aus dem Göttinger Projekt zur Reanimation durch Laien bei 1825 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 62 Jahren konnten zwar 35,8 % primär erfolgreich wiederbelebt werden, jedoch letztendlich nur 69 (3,8 %) Patienten ohne neurologisches Defizit aus dem Krankenhaus entlassen werden [1]. Wiederbelebungsversuche bei älteren Patienten scheinen prognostisch besonders ungünstig zu sein, wie aktuelle Zahlen belegen. Von 71 Patienten, die in Altenwohneinrichtungen einen Kreislaufstillstand erlitten hatten, konnten nur 2 Patienten in schlechten Zustand und bei kurzer Überlebenszeit aus dem Krankenhaus entlassen werden [2]. Insgesamt sind diese Ergebnisse nicht besonders ermutigend, so dass es Verbesserungspotenziale sowohl auf organisatorischer wie auch auf medizinischer Seite zu mobilisieren gilt.

Einen wesentlichen Erkenntniszugewinn mit Auswirkungen auf die tägliche Praxis bedeuten hier die aktualisierten Empfehlungen des International Liaison Commitee on Resuscitation aus dem Jahre 2000, bei denen die aktuelle wissenschaftliche Datenbasis als Grundlage zu den bislang umfassendsten Empfehlungen zur Reanimation und kardialen Notfalltherapie dient [3].

Grundmuster zur Bewertung einzelner Maßnahmen und Therapiekonzepte nach wissenschaftlichen Daten ist die Klassifizierung in fünf Klassen, die wie folgt zusammengefasst werden können:

Class I: sicher wirksam Class IIa: wahrscheinlich hilfreich Class IIb: möglicherweise hilfreich Class III: ungünstig, evtl. schädlich Class Indeterminate: keine ausreichende Datengrundlage

Die Einstufung „Class indeterminate” wurde in den neuen Empfehlungen erstmals aufgenommen, um wissenschaftlich nicht ausreichend untersuchte Methoden einstufen zu können. Hierzu zählen durchaus auch traditionell etablierte und (bislang) allgemein akzeptierte Verfahrensweisen.

Wesentliche Neuerungen im Bereich der Empfehlungen betreffen die für die tägliche Praxis wichtigen Bereiche Basic Life Support (BLS) und Advanced Life Support (ALS).

Beim Basic Life Support wird für die Laienausbildung keine Pulskontrolle mehr gefordert, da die dabei gemachten Fehler den Nutzen zu überwiegen scheinen. Vielmehr wird bei Patienten, die bewusstlos sind, nicht atmen und sich nicht bewegen, die Durchführung von Beatmung und Herzdruckmassage empfohlen.

Beim nicht-intubierten Patienten wird als Ventilations-Kompressionsverhältnis immer 2 : 15 empfohlen, um verbesserte Perfusionsverhältnisse durch längere Kompressionsphasen zu erzielen. Andere Ventilations-Kompressionsverhältnisse (1 : 5, 1 : 3) werden nicht mehr empfohlen. Verfahren der Wahl für die Herzdruckmassage bleibt auch nach dem Jahr 2000 die Standard-CPR, für alternative Verfahren (z. B. Active-Compression-Decompression-CPR) werden keine Class I oder Class IIa Empfehlung ausgesprochen.

Die Bedeutung der frühestmöglichen Defibrillation bei Kammerflimmern wurde erneut betont. Unter dem Begriff „Public Access Defibrillation (PAD)” wird ein klares Votum für die Durchführung der Defibrillation mit automatischen Defibrillatoren (AED: Automated External Defibrillator) durch ausgebildete Laien abgegeben. Auf dem Boden dieser Empfehlung bleibt zu wünschen, dass die Defibrillation durch nichtärztliches Rettungsdienstpersonal in Deutschland endlich nicht nur geduldete „Notkompetenzmaßnahme”, sondern geforderter Standard-Behandlungsumfang wird.

Im Bereich der Advanced Life Support-Strategien fanden Neubewertungen bei Vasopressoren und Antiarrhythmika statt. Aufgrund der bereits verfügbaren Daten gilt ab sofort beim Kammerflimmern die einmalige Gabe von Arginin-Vasopressin (40 IE iv, Class IIb) als gleichwertig zur Gabe von Adrenalin (1 mg iv, Class Indeterminate). Arginin-Vasopressin besitzt als potenter Vasokonstriktor eine acidoseunabhängige Wirkung und scheint keine proarrhythmischen Effekte zu haben, was die günstige Wirkungen beim Kammerflimmern erklären könnte. Aktuelle Untersuchungen zum Einsatz von Arginin-Vasopressin bei Non-VF/VT Rhythmen sowie in Kombination mit Adrenalin werden in naher Zukunft weitergehende Erkenntnisse zum optimerten Einsatz dieser Sustanzen bringen [4].

Die Gabe von höheren Dosen Adrenalin im Rahmen der Reanimation wird auch in den neuen Empfehlungen nicht abschließend bewertet (Class Indeterminate).

Wird beim rezidivierenden oder defibrillationsrefraktärem Kammerflimmern die Gabe eines Antiarrhythmikums erwogen, gilt nun Amiodaron (Class IIb) als Mittel der Wahl. Aufgrund fehlender wissenschaftlicher Belege zur Wirksamkeit beim Kammerflimmern und bei pulsloser Kammertachycardie wurde Lidocain, traditionelles Antiarrhythmikum bei der Reanimation, in die Class Indeterminate eingestuft.

Im Rahmen der Differentialtherapie wird in den neuen Algorithmen ausdrücklich zur Suche und Korrektur von auslösenden und begleitenden Problemen aufgefordert. Hierzu zählen der Ausschluss von Hypovolämie, Hypoxie, Acidose, Hypo- und Hyperkälime, Hypothermie, Intoxikation, Pericardtamponade, Hypoglycämie, Thromboembolie (kardial/pulmonal) sowie Spannungspneumothorax.

Bei der Atemwegsicherung gilt die endotracheale Intubation nach wie vor als „Gold-Standard” (Class I), anerkannte Alternativen insbesondere bei unmöglicher Intubation sind Anwendung von Larynxmaske, Kombitubus oder Larynxtubus durch darin ausgebildetes Personal (Class IIa).

Die Kapnometrie gilt als neuer Standard zur Überwachung von beatmeten Patienten mit Spontankreislauf, die Anwendung bei der Reanimation erscheint ebenfalls hilfreich (Class IIa). Neben der kontinuierlichen Überwachung der korrekten Tubuslage sei an dieser Stelle auf den großen Nutzen zur Beurteilung des Herzzeitvolumens im Rahmen der Reanimation hingewiesen, da über die Höhe des endexspiratorischen CO2 die Effektivität der Herzdruckmassage und der Umfang des spontanen Auswurfs des Herzens abgeschätzt werden kann. Abb. [1] zeigt typische Befunde unter Herzdruckmassage und bei Wiederkehr des Spontankreislaufs unter gleichbleibender Beatmung. Dennoch ist die Kapnometrie selbst auf arztbesetzten Rettungsmitteln in Deutschland bislang nicht überall verfügbar.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Reanimation im Jahre 2001 eine Synthese altbewährter Verfahren mit der Integration aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse darstellt. Wesentliche Eckpfeiler sind hierbei beim Basic Life Support die Durchführung der Standard-CPR mit einem Ventilations-Kompressionsverhältnis von ausschließlich 2 : 15, die frühestmögliche Defibrillation bei Kammerflimmern auch durch Laien sowie beim Advanced Life Support die Anwendung Vasopressin beim Kammerflimmern und die Neubewertung von Amiodaron.

Literatur

  • 1 Bahr J, Panzer W, Klingler H. Herz-Lungen-Wiederbelebung durch Ersthelfer - Einige Ergebnisse und Folgen aus dem Göttinger Pilotprojekt.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2001;  36 (9) 573-579
  • 2 Mohr M, Bömelburg K, Bahr J. Reanimationsversuche in Senioreneinrichtungen: Lebensrettung am Lebensende?.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2001;  36 (9) 566-572
  • 3 International Liaison Commitee of Resuscitation . International Guidelines for CPR and ECC - A Consensus of Science.  Resuscitation. 2000;  46 (1-3) 3-447
  • 4 Krismer A C, Wenzel V, Heller G, Linder K H, Sitter H, Bossaert L L, Dick W F, Chamberlain D A. Vasopressin oder Adrenalin bei der Therapie des präklinischen Herzkreislaufstillstandes: Studienprotokoll einer vergleichenden, multizentrischen, europäischen, blockrandomisierten Doppelblind-Studie unter der Schirmherrschaft des European Resuscitation Council.  Notfall Rettungsmed. 1999;  2 478-485

Korrespondenzadresse

Dr. med. Clemens Kill

Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie, Klinikum der Philipps-Universität

Baldingerstraße 1

35041 Marburg