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DOI: 10.1055/s-2002-36282
Zu Prävalenz und Behandlungsbedarf psychischer Belastungen in der Rehabilitation
On the Prevalence and Treatment Needs for Mental Disorders in RehabilitationPublication History
Publication Date:
19 December 2002 (online)
Die enge Beziehung zwischen psychischen und körperlichen Erkrankungen ist seit langem bekannt und durch zahlreiche Studien belegt. Mindestens ein Drittel aller Krankenhauspatienten weisen zusätzlich zu ihrer somatischen Erkrankung psychische Beeinträchtigungen auf, welche die Kriterien einer psychischen Störung erfüllen. Das rechtzeitige Erkennen und Behandeln von psychischen Erkrankungen hat große Bedeutung für den Verlauf der körperlichen wie psychischen Störungen: Komorbide psychische Probleme erhöhen die somatische Morbidität und Mortalität, führen zu höherer Inanspruchnahme und damit erhöhten Kosten im medizinischen Versorgungssystem.
In der medizinischen Rehabilitation wird dieser Zusammenhang zwar gesehen, in der Rehabilitationspraxis wird jedoch ein großer Teil der psychisch beeinträchtigten Patienten und Patientinnen weder diagnostiziert noch ausreichend behandelt. Dies gilt nicht nur für den stationären Bereich, sondern auch für den Bereich der Nachsorge bzw. die ambulante Weiterversorgung. Die Ursachen dieser Defizite liegen sicherlich nicht allein an den begrenzten Möglichkeiten der Rehabilitation, sondern auch an der schwierigen Motivationslage der Patienten und Patientinnen in Hinblick auf psychologische Behandlungen. Auch die oftmals rein somatisch orientierte Krankheitstheorie der Ärzte und Therapeuten kann dazu beitragen.
In Deutschland und international fehlen methodisch adäquate epidemiologische Studien zur Prävalenz psychischer Beeinträchtigungen und Störungen bei chronisch körperlich Kranken in der Rehabilitation. Im Rahmen der Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbünde wurde diese Thematik erstmals in systematischer Weise bearbeitet.
Im vorliegenden Schwerpunktheft werden relevante Forschungsergebnisse zur Epidemiologie, zur Diagnostik und zur Therapiezielsetzung im Zusammenhang mit psychischen Störungen bei Rehabilitanden vorgestellt. In einem ersten Abschnitt gibt Härter einen Überblick über die Ätiologie psychischer Störungen bei chronischen körperlichen Erkrankungen, es folgt ein Beitrag zur Epidemiologie komorbider psychischer Störungen bei Rehabilitanden mit muskuloskelettalen und kardiovaskulären Erkrankungen von Härter et al. Die Frage nach der Entdeckung von psychischen Störungen ist das Thema des Beitrags von Wunsch et al. Anhand von Daten der Rentenversicherung dokumentieren Irle et al. die Situation in der somatisch-medizinischen Rehabilitation. Farin et al. untersuchen die Therapiezielfestlegung bei Patienten mit psychischen Belastungen in der orthopädischen und kardiologischen Rehabilitation. Mit der speziellen Belastung der Angehörigen von Schlaganfallpatienten befassen sich Kitze et al. Abschließend untersuchen Harfst et al. die Nachsorgeempfehlungen in der psychosomatischen Rehabilitation auf der Basis der Entlassungsberichte für die Rentenversicherungsträger.
Aus den vorgestellten Ergebnissen lassen sich unseres Erachtens konkrete Handlungsempfehlungen für die Rehabilitationspraxis ableiten, insbesondere für die rehabilitationsspezifische Diagnostik: Eine klinisch-psychologische Diagnostik muss die psychische und soziale Belastung erfassen und die Grundlage für eine Behandlungsindikation legen. Der Einsatz von Screeninginstrumenten bei allen Rehabilitanden erlaubt dabei eine erste Orientierung, der bei belasteten Rehabilitanden eine ausführliche psychologische Diagnostik folgen muss. Diese Maßnahmen gilt es auch in primär somatisch ausgerichteten Rehabilitationskliniken zu integrieren. Psychologische Dienste haben dabei die Aufgabe, sich mit psychologischen und psychiatrischen Problemen von körperlich kranken Patienten intensiv zu befassen und andere medizinische Disziplinen hinsichtlich notwendiger diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen zu unterstützen. Die Implementation einer adäquaten psychosozialen Diagnostik in den Rehabilitationskliniken könnte durch deren Überprüfung im Rahmen der Qualitätssicherungsprogramme deutlich beschleunigt werden.
Prof. Dr. Dr. Jürgen Bengel
Universität Freiburg, Institut für Psychologie, Abt. für Rehabilitationspsychologie
79085 Freiburg
Email: bengel@psychologie.uni-freiburg.de