Laryngorhinootologie 2002; 81(11): 771-772
DOI: 10.1055/s-2002-35773
Hauptvortrag
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Moderne biochemische Aspekte des Hörsystems

Biochemical Aspects of Cochlear Homeostasis - an UpdateR.  Thalmann1 , I.  Thalmann1
  • 1Department of Otolaryngology, Washington University School of Medicine, St. Louis, MO, USA
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Publication Date:
29 November 2002 (online)

Kurzbericht

Das informationsverarbeitende System der Cochlea, die Haarzellen und deren afferente und efferente Synapsen stehen naturgemäß im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die erzielten akustischen Höchstleistungen durch einen Grad der Spezialisierung erkauft werden mussten, der die Haarzellen weitgehend von Unterstützung durch Hilfssysteme abhängig macht. Dieser Umstand wird durch die wichtige Stellung der Connexinmutationen in der Pathogenese hereditärer Schwerhörigkeiten besonders unterstrichen. Für didaktische Zwecke kann die Cochlea auf drei essenzielle Systeme reduziert werden: 1. Die äußeren und inneren Haarzellen als Verstärker-, bzw. Wandlerelemente; 2. die Stria mit dem Spiralligament als Energielieferant; und 3. das epitheliale Synzytium des Corti Organes (CO) und der anliegenden Strukturen (epithelialer Supportkomplex, ESK) als Infrastruktur. Dieser Kurzbericht versucht einen Überblick über neue Ergebnisse und Erkenntnisse über den ESK zu vermitteln, der die enorme Bedeutung homöostatischer Einrichtungen der Cochlea unterstreicht und zu einer Revision traditioneller Konzepte zwingt.

Das typische Lehrbuchschema stellt ein, der Spitzenwindung entsprechendes, kompaktes CO dar, in dem lange, schlanke Haarzellen einen großen Anteil ausmachen. Diese didaktisch zwar eindrucksvolle Darstellung stellt aber insofern einen Sonderfall dar, als in der Spitzenwindung ausschließlich niedrige Frequenzen verarbeitet werden. Wesentlich repräsentativer wäre eine Darstellung in der Basalwindung, wo alle Frequenzbereiche verarbeitet werden, wo der vorwiegend von Kalium getragene Transduktionsstrom besonders hoch ist und die Haarzellen besonders anfällig für Schädigungen aller Art sind. In diesem Bereich treten die Haarzellen proportionell in den Hintergrund, während die nichtsensorischen Zellpopulationen einen mächtigen, durch Gap-Junctions verbundenen Komplex bilden, der von den Interdentalzellen am Limbus spiralis bis zum äußeren Sulkus reicht, wo die Wurzelzellen tief in die Substanz des Spiralligaments hineinragen [1]. Dieses Synzytium setzt sich aus 10 - 12 unterschiedlichen Zelltypen zusammen, die zum Teil reich an Fibrillen und anderen Organellen, zum Teil aber histologisch transparent sind [2]. Das mächtig ausgebildete Gap-Junction-System weist auf die Wichtigkeit eines Synergismus dieser Zellen in den homöostasischen Prozessen hin. Zur gleichen Zeit ist es aber erforderlich, die Eigenständigkeit der zum Teil hochspezialisierten Zellen zu gewährleisten. Diese gegensätzlichen Erfordernisse können nur durch eine umfassende und effektive Regulation der Gap-Junction-Systeme erreicht werden.

Im Allgemeinen werden Gap-Junction-Systeme auf drei Ebenen reguliert: 1. Die Kanäle selbst werden kurzzeitig durch lokale Einwirkungen, z. B. Kalzium, pH moduliert; 2. Expression von mindestens fünf verschiedenen Connexinen (Cx) in der Cochlea, die überdies in verschiedenen Kombinationen zu individuellen Gap-Junctions beitragen, stellen ein weiteres wichtiges Regulationsprinzip dar. 3. Cx gehören zu den Proteinen mit der höchsten Umsatzrate und der kurzfristig variable Umbau von Gap-Junctions ist äußerst wichtig für die Anpassung an jeweilige funktionelle Erfordernisse, z. B. im Herz, wo Cx43 eine Halbwertszeit von 1 Stunde aufweist! Völliger Abbau und Wiederaufbau ist allerdings energetisch außerordentlich aufwändig und kommt im CO in unmodifizierter Form nicht infrage. Das CO und der ESK stellen ein nicht vaskularisiertes, postmitotisches System dar, das eine äußerst niedrige energetische und synthetische Kapäzitat aufweist. Es wäre daher naheliegend anzunehmen, dass zum nötigen Umbau von Gap-Junctions konservativere Alternativstrategien eingesetzt werden. Hier ist in erster Linie an die im ESK selektiv angereicherten, niedrigmolekularen Proteine OCP1 und OCP2 zu denken [3]. Diese Proteine stellen Hauptkomponenten eines tetramären SCF-Komplexes dar, der als E3 Ubiquitinligase funktioniert. OCP1 stellt hierbei als so genanntes F-box-Protein den eigentlichen Effektor des Komplexes dar. Die Aufgabe des F-box-Proteines ist es das jeweilige Targetprotein zu phosphorylieren, dadurch für Ubiquitinierung zu markieren und in der Folge dem Proteasom zur Proteolyse zuzuführen [4]. In der Cochlea sind aus naheliegenden Gründen die Cx als Spitzenkandidaten für Targetproteine von OCP1 anzusehen. Energetische Probleme können dabei aufgrund neuester Forschungsergebnisse dadurch überwunden werden, dass der klassische Polyubiquitinweg, der zur kompletten Proteolyse führt, durch eine wesentlich konservativere Monoubiquitinierung, bzw. Oligoubiquitinierung zu ersetzen [4]. Dieser hypothetisch in der Cochlea existierende Mechanismus führt lediglich zu teilweisem Abbau der Gap-Junctions mit Internalisation, Recycling, und Neubildung von Gap-Junctions mit recyclierten Cx. Außerdem sind im CO, bzw. ESK eine Reihe von Hauptkomponenten und Modulatoren der Wingless/Wnt Signalkaskade angereichert, wobei Cx43 als Targetprotein erwiesen ist. Unsere derzeitige Arbeitshypothese fordert, dass OCP1 den Abbau und die Wingless/Wnt-Kaskade den Wiederaufbau von Gap-Junctions im ESK reguliert.

Die Funktionen dieses mächtigen Synzytiums sind noch nicht im Detail aufgeklärt. Zweifellos ist es eine der Hauptaufgaben, die durch das endolymphatische Potenzial und den Kaliumstrom bewirkte Störung des elektrochemischen Equilibriums zu kompensieren, das überschüssige Kalium zu entfernen und möglicherweise mittels transepithelialen Transportes durch das ESK zur Stria zu recyclieren. Andere Aufgaben betreffen Ausgleich des Säure/Basen-Gleichgewichtes, Neutralisation toxischer Metabolite, Nahrungsaustausch, etc.

Unterstützt durch NIH/NIDCD Grant 01 414

Literatur

  • 1 Kikuchi T, Kimura R S, Paul D L, Takasaka T, Adams J C. Gap junction systems in the mammalian cochlea.  Brain Res Rev. 2000;  32 163-166
  • 2 Spicer S S, Schulte B A. Evidence for a medial K+ recycling pathway from inner hair cells.  Hear Res. 1998;  118 1-12
  • 3 Henzl M T, O’Neal J, Larson J D, Killick R, Thalmann I, Thalmann R. OCP1, an F-box protein colocalizes with OCP2/SKP1 in the cochlear epithelial gap-junction region.  Hear Res. 2001;  157 100-111
  • 4 Weissman A M. Themes and variations on ubiquitylation.  Mol Cell Biol. 2001;  2 169-178

Prof. Dr. med. Rüdiger Thalmann

Department of Otolaryngology · Washington University School of Medicine

660 S. Euclid Avenue · St. Louis, MO 63110 · USA

Email: thalmannr@msnotes.wustl.edu

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