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DOI: 10.1055/s-2002-30694
Kommentar zur Publikation von Weimar et al. Die Kostenanalyse der Schlaganfallbehandlung in Deutschland
Comment to the Publication of Weimar et al. „Cost of Stroke Care in Germany”Publication History
Publication Date:
21 May 2002 (online)
Eine standardisierte Dokumentation der Behandlung findet in Deutschland nur im Rahmen der Qualitätssicherung oder ausgewählter Register statt. Zwar wird in den letzten Jahren eine verstärkte Diskussion über die Behandlungsorganisation des Krankheitsbildes Schlaganfall geführt, jedoch sind bisher nur wenige, standardisiert erhobene Daten publiziert worden, aus denen sich Parameter der Schlaganfallbehandlung ableiten lassen. Es ist das Verdienst der Autoren der Datenbank der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe, anhand ihrer, unabhängig von den Qualitätssicherungsprojekten durchgeführten Erhebung erstmalig eine Analyse der Behandlungskosten zum Schlaganfall vorzulegen.
Die Datenerhebung in der Routineversorgung stößt häufig auf verschiedene, methodische Einschränkungen. Hauptprobleme stellen dabei eine unvollständige Datenerfassung, die selektiv zu einer besseren oder schlechteren Dokumentation in einzelnen Kliniken führen kann, sowie unplausible und unvollständige Angaben in einzelnen Datensätzen dar. Mit diesen methodischen Problemen sind alle Projekte der Qualitätssicherung konfrontiert. In der hier diskutierten Datenbank der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe sind verschiedene Entscheidungen zum Umgang mit fehlenden Daten getroffen worden, die aus methodischer Sieht problematisch erscheinen. Zum Beispiel sinkt durch den Ausschluss von Kliniken, die innerhalb der berichteten 1-Jahres-Frist weniger als 50 Schlaganfallpatienten registriert hatten, die Varianz in den einzelnen dokumentierten Variablen und die verbleibenden Kliniken werden insgesamt homogener. Die Entscheidung zum Ausschluss beruht vermutlich auf dem Verdacht der unvollständigen Erfassung von Patienten in Kliniken mit kleiner Fallzahl. Eine lückenhafte Erfassung von Patienten im Gesamtdatenpool ist dadurch jedoch nicht auszuschließen. Da es keinen Goldstandard für die Zahl der zu erfassenden Patienten einer Klinik gibt, wäre es für die Beantwortung der Frage, inwieweit die dokumentierten Patienten eine Selektion darstellen, hilfreich gewesen, zumindest für einzelne Kliniken einen Vergleich mit der zu Abrechnungszwecken geführten Krankenhausstatistik der entsprechenden ICDs zu erhalten.
Das Problem der selektiven Erfassung wird in Projekten, die ein Follow-up vorsehen, verstärkt. Erwartungsgemäß waren Patienten mit einer schweren Symptomatik während der Akutbehandlung im Follow-up unterrepräsentiert. Die Autoren wählten dann eine Reihe von Maßnahmen, um fehlende Liegezeiten oder Kostenangaben durch Mittelwertbildungen zu ersetzen. Dieses Vorgehen ist als problematisch einzustufen. Der Ersatz von fehlenden Liegezeiten in der Rehabilitation durch Mittelwertbildung aus Patienten mit der gleichen Rankin-Stufe bei Entlassung und vorliegender Rehaliegezeit, führt eher zu einer Unterschätzung der Rehabilitationsdauer. Die Annahme, dass der Prozentsatz der vermittelten Patienten in die stationäre Rehabilitation innerhalb einer Ranking-Stufe gleich hoch ist, ist nicht gerechtfertigt. Wenn insbesondere schwerer betroffene Patienten im Follow-up fehlen und davon auszugehen ist, dass diese Gruppe sowohl häufiger als auch länger in eine Rehabilitation vermittelt wird als Patienten mit geringerer Symptomatik, führt das von den Autoren gewählte Vorgehen zu einer Unterschätzung sowohl der Rehaquote als auch der Rehadauer.
Ähnliches gilt für das Vorgehen beim Ersatz fehlender Angaben der Kosten. Zur Berechnung der ambulanten Kosten innerhalb eines Jahres nach Entlassung haben die Autoren alle in diesem Zeitraum verstorbenen Patienten ausgeschlossen. Der Hintergrund ist vermutlich darin zu suchen, dass für diese Patientengruppe die entsprechenden ambulanten Kosten sehr viel schwieriger zu ermitteln sind. Es führt jedoch dazu, dass beim 12-Monate-Follow-up, insbesondere bei internistischen Patienten, die deutlich älter und komorbider sind als die zuvor in neurologischen Abteilungen behandelten, eine erhebliche, artifizielle Datenselektion hin zu leichteren Krankheitsbildern entsteht. Deshalb muss man die Frage stellen, ob die ambulanten Behandlungskosten bei denjenigen Patienten, die in dem 12-Monats-Zeitraum verstorben sind, nicht aufgrund möglicher höherer Aufwendungen vor dem Tod größer sind als bei denen, die für das Follow-up kontaktiert werden konnten.
Die Autoren haben sich entschieden, bei Kliniken, die länger als 12 Monate dokumentiert haben, nur die Monate 2 - 13 in die Analyse aufzunehmen. Hintergrund ist vermutlich der Versuch, eine verlässliche Datenerfassung durch Ausschluss von Anlaufschwierigkeiten zu erreichen. Hier ist jedoch zu kritisieren, dass dieses Verfahren entweder auf alle oder auf keine Klinik hätte angewendet werden sollen. An verschiedenen Stellen in den Tabellen bleibt zudem unklar, auf wen sich die Mittelwerte beziehen. So ist in Tab. 3 offen, ob sich der Mittelwert für die Liegedauer in der Rehabilitation auf alle Patienten bezieht oder nur auf diejenigen, die tatsächlich eine stationäre Reha erhalten haben. Dies ist bedeutsam, da weniger als die Hälfte aller Patienten mit einem Schlaganfall eine stationäre Rehabilitation erhielten.
Neben den angesprochenen methodischen Problemen bei der Datenerfassung ist die größte und schwer wiegendste Einschränkung dieser Arbeit darin zu sehen, dass die Autoren ihre Kostenanalyse nicht alters- und komorbiditätsadjustiert präsentieren. Aus den Tab. 2 u. 3 ist zu ersehen, dass die Patientencharakteristika in den drei untersuchten Behandlungsrahmen (Stroke Unit, Neurologie, Innere Medizin) sehr unterschiedlich sind. Diese Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen in deutschen regionalen Schlaganfallregistern. Patienten in der Inneren Medizin sind in der vorgelegten Analyse im Mittel 9,5 Jahre älter als diejenigen, die auf einer Stroke Unit behandelt wurden. Erwartungsgemäß ist auch ihre Komorbidität mit einem Diabetes mellitus oder einem vorherigen Schlaganfall deutlich höher. Bis zum Beweis des Gegenteils durch die Autoren in Form einer Analyse, die zumindest für das Alter adjustiert, sind die präsentierten Behandlungs- und Kostendaten zwischen den verschiedenen Settings nicht vergleichbar. Dies ist bedauerlich und schränkt den Wert der Arbeit ein. Da die notwendigen Schritte für eine solche Adjustierung einfach sind und unter den Koautoren eine umfassende Expertise für ihre Durchführung vorliegt, stellt sich die Frage, warum die Darstellung auf die Präsentation der reinen Häufigkeiten beschränkt wurde. Weiterführende Rückschlüsse über die Kosten in verschiedenen Fachabteilungen lassen sich daraus nicht ziehen.
Die Erhebung dieser Daten selbst hat in den beteiligten Kliniken eine Menge personeller Ressourcen gebunden und insgesamt hohe Kosten verursacht. In Anbetracht der eingesetzten Mittel sind die präsentierten Ergebnisse der Studie, auch bei Berücksichtigung der Tatsache, dass das vorliegende Manuskript sicher nicht die einzige Publikation sein wird, enttäuschend. Zwar liefern die Kostendaten einen Anhaltspunkt für den Umfang der stationären und ambulanten Kosten in der Schlaganfallbehandlung, sie erlauben jedoch keinen Vergleich verschiedener Behandlungssettings. Insofern ist die Kosten-Nutzen-Effektivität der vorgelegten Analyse gering. Da in den bestehenden regionalen Qualitätssicherungsprojekten eine Vielzahl von Patienten mit einem Schlaganfall standardisiert dokumentiert werden, ist damit zu rechnen, dass die Datengrundlage für Behandlungsparameter beim Schlaganfall, sowohl in der Akut- als auch in der Rehabilitationsbehandlung, in naher Zukunft deutlich verbessert wird.
PD Dr. Klaus BergerMPH, MSc
Univ.-Prof. Dr. Ulrich Keil,Ph. D.
Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin, Universitätsklinikum Münster
Domagkstraße 3
48129 Münster