Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(9): 463-464
DOI: 10.1055/s-2002-20416
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nachweis von DPD-Exon-14-Skipping vor 5-Fluorouracil-Behandlung?

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Publication Date:
28 February 2002 (online)

Frage: In der Fachliteratur wird darauf hingewiesen, dass es unter einer Therapie mit 5-Fluorouracil zu teils lebensbedrohlichen Nebenwirkungen aufgrund des Exon-14-Skipping im DPD Gen kommen kann. Seit einiger Zeit wird kommerziell die Bestimmung des sog. Exon-14-Skipping im DPD Gen angeboten.

Welcher pathophysiologische Mechanismus liegt dem zugrunde, welche klinische Relevanz hat diese diagnostische Maßnahme und ist es inzwischen obligat, diesen Test vor einer 5-FU-haltigen Therapie durchzuführen?

Antwort: 5-Fluorouracil (5-FU) ist ein seit 40 Jahren therapeutisch eingesetztes Pyrimidinanalogon und nach wie vor eines der bedeutsamsten Zytostatika im klinischen Alltag. Es entfaltet seine zytotoxische Wirkung über seine Metabolite, wobei hier 5-FdUMP das Enzym Thymidylat-Synthetase (TS) inhibiert, was wiederum zu einer gestörten DNA Replikation führt. Die Menge an jeweils verfügbarem 5-FU wird durch den Katabolismus determiniert, der seinerseits durch eine hohe intra- und interindividuelle Schwankung und nicht lineare Eliminationskinetiken gekennzeichnet ist. Das Enzym Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) katalysiert hierbei den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt im initialen 5-FU-Metabolismus (aktuelle Übersicht bei [1]. Ein Mangel an DPD Enzymaktivität verursacht eine verzögerte Clearance von 5-FU aus der Zirkulation [2], wobei dies wiederum zu erhöhter Toxizität nach 5-FU-Gabe führt.

Zwischenzeitlich sind zahlreiche Mutationen beschrieben worden, die zu einer verminderten DPD Enzymaktivität führen. Eine G zu A Punktmutation innerhalb der 5‘-Splicing-Donor-Region von Intron 14 (sog. Exon 14 skipping mutation) im DPD Gen stellt hierbei die häufigste Mutation dar.

Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Exon 14 skipping mutation zwar die häufigste aller bekannten Veränderungen im DPD Gen ist, jedoch nur für etwa 50 % aller DPD assoziierten 5-FU Unverträglichkeiten verantwortlich ist. Da wiederum nur 50 % aller pathologischen 5-FU-Unverträglichkeiten DPD vermittelt sind, ist die Exon-14-skipping Mutation von vorneherein nur für etwa 25 % aller solcher Reaktionen verantwortlich zu machen. Hieraus resultiert unmittelbar die Schlussfolgerung für den behandlenden Kliniker, dass ein sog. »Wildtyp« betreffend dieser Mutation, d. h. ein Patient ohne Mutation und gewissermaßen ein »Normalbefund« für das Exon-14-Skipping eine pathologische Unverträglichkeit von 5-FU in keiner Weise ausschließt. Diese nämlich kann durch die erwähnten 75 % übriger Ursachen vermittelt sein. Zwischenzeitlich konnte gezeigt werden, dass diese Mutation in der Normalbevölkerung eine Inzidenz von etwa 1-1,8 % aufweist [3] [4] . Retrospektive Analysen bei Patienten, die bereits eine erhöhte Toxizität erlitten haben, ergeben natürlich bezüglich der Inzidenz der Mutation viel zu hohe Zahlen, da das »Exon-14-Skipping« für etwa 25 % aller pathologischen 5-FU Unverträglichkeiten verantwortlich ist. Die erwähnte Inzidenz wurde dementsprechend an Normalkollektiven ermittelt und kann als gesichert gelten.

Welche Bedeutung hat nun der Befund in der klinischen Praxis? Prinzipiell ergeben sich 3 Konstellationen:

Homozygote Merkmalsträger dürfen überhaupt kein 5-FU erhalten, da sie keinerlei DPD Enzymaktivität besitzen. Diese Mutation wird im Übrigen bei 1 : 1000 Normalpersonen gefunden und ist somit nochmals 10 x seltener als die heterozygote Situation. Jedoch ist dieser Befund von vitaler Bedeutung für den individuellen Patienten und es gibt mehrere Berichte in der Literatur, die letale Nebenwirkungen nach 5-FU-Gabe in dieser Situation beschreiben.

Heterozygote Merkmalsträger, die mit einer Frequenz von 1 : 100 gefunden werden, können durchaus 5-FU erhalten. Allerdings muss die individuelle Ausstattung mit DPD im Rahmen einer definierten 5-FU Pharmakokinetik ermittelt werden. Hierzu werden dem Patienten zu festgelegten Zeiten definierte Dosen 5-FU gegeben, dessen Metaboliten anschließend gemessen werden. Auf diese Weise kann eine individuelle 5-FU Dosierungsempfehlung formuliert werden, die von einer Normaldosis bis hin zur Kontraindikation reichen kann. Alle sog. heterozygoten »Exon-14-Skipper« müssen einer solchen Testung unterzogen werden.

Normalpersonen (»Wildtyp«) weisen eine normale DPD Aktivität auf und werden hierdurch keine auf diesem Mechanismus beruhende erhöhte Toxizität nach 5-FU-Gabe erleiden. Allerdings ist die hier beschriebene Mutation nur für etwa 25 % aller pathologischen Reaktionen auf 5-FU verantwortlich, sodass prinzipiell auch bei diesen Patienten mit einer ungewöhnlich hohen Toxizität nach 5-FU gerechnet werden muss.

Zusammengefasst stellt der hier besprochene und mittlerweile in die klinische Routine eingeführte Test ein sehr illustratives Beispiel für das innovative Gebiet der sog. »Pharmakogenomik« dar. Es illustriert zudem die zunehmende klinische Relevanz der Ergebnisse der sog. »Molekularen Medizin« und kann als Paradigma für eine zunehmend individualorientierte Pharmakotherapie und insbesondere Chemotherapie von Tumorpatienten betrachtet werden. Selbstverständlich stellt die umfassendere Analyse z. B. aller relevanten Enzyme für den 5-FU-Metabolismus die logische Fortsetzung dieses Gedankens dar und wird sicherlich in den nächsten Jahren ihre Realisierung finden. Die moderne Chiptechnologie stellt dabei bereits jetzt eine routinetaugliche Basis dar.

Die hier besprochene Analyse des Exon-14-Skipping im DPD ist technisch wenig anspruchsvoll und auch unter klinischen Routinebedingungen mit hoher Verlässlichkeit realisierbar. Der Befund ist innerhalb von 2 - 3 Tagen verfügbar, als Untersuchungsmaterial sind lediglich 2 ml EDTA peripheres venöses Blut erforderlich, das wiederum ohne aufwändige Maßnahmen versandt bzw. eingeschickt werden kann.

Die Durchführung dieses Tests ist zweifellos vor einer 5-FU-haltigen Therapie sinnvoll. Jedoch ergibt sich im Einzelfall kein absoluter Schutz vor Nebenwirkungen, da 75 % der pathologischen Nebenwirkungen auf 5-FU durch anderweitige Mutationen verursacht sind. Zudem trägt nur etwa 1 % der Bevölkerung diese Mutation, sodass 99 % der Analysen einen Wildtyp ergeben. Somit kann diese Bestimmung derzeit nicht als klinische Routineuntersuchung betrachtet werden. Vielmehr empfiehlt sich die Untersuchung weiterer Patienten im Rahmen kontrollierter klinischer Studien. Derzeit besteht diese Möglichkeit im Rahmen einer Studie an der Universitätsklinik Jena, wo insgesamt 1500 5-FU-naive Patienten prospektiv untersucht werden. Die Studie rekrutiert derzeit und die Bestimmung ist für die Einsender kostenlos (Ansprechpartner: Dr. K.O. Kliche, FSU Jena, KIM II).

Im Einzelfall ist es sicherlich vorteilhaft zu wissen, ob ein Patient ein sog. »Skipper« ist oder nicht, da die individuelle Gefährdung des Patienten wesentlich besser eingeschätzt werden kann. In der homozygoten Situation ist 5-FU zudem definitiv kontraindiziert. Heterozygote Merkmalsträger erfahren durch eine 5-FU-Kinetik eine Individualisierung der geplanten 5-FU-Therapie mit ggf. reduzierter 5-FU Dosierung. Individuen ohne Mutation (»Wildtyp«) machen 99 % der Normalbevölkerung aus und sind leider auch nicht sicher gegen erhöhte 5-FU-Toxizität gefeit, da hier auch noch andere Mechanismen als das »Exon-14-skipping« existieren.

Literatur

  • 1 Iyer L, Ratain M -J. 5-Fluorouracil pharmakokinetics: Causes for variability and strategies for modulation in cancer chemotherapy.  Cancer Invest. 1999;  17 494-506
  • 2 Fleming R A. et al . Correlation between dihydropyrimidine dehydrogenase activity in peripheral mononuclear cells and systemic clearance of fluorouracil in cancer patients.  Cancer Research. 1992;  52 2899-2902
  • 3 Van Kuilenburg A BP. et al . Clinical implications if Dihydropyrimidine Dehydrogenase (DPD) deficiency in patients with severe 5-fluorouracil-associated toxicity: identification of new mutations in the DPD gene.  Clin Cancer Res. 2000;  6 4705-4712
  • 4 Raida M. et al . Prevalence of a Common Point Mutation in the Dihydropyrimidine Dehydrogenase (DPD) Gene within the 5‘-Splice Donor Site of Intron 14 in Patients with Severe 5-Fluorouracil (5-FU) Related Toxicity Compared to Controls.  Clin Cancer Res. 2001;  7 2832-2839

Autoren

Dr. Kay-Oliver Kliche
Prof. Dr. Andreas Schalhorn*
Prof. Dr. Klaus Höffken

Friedrich-Schiller-Universität, Jena, Klinik für Innere Medizin II (Onkologie, Hämatologie, Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen)

*Medizinische Klinik und Poliklinik III, Klinikum Großhadern, Marchioninistr. 15, 81366 München

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