Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(8): 400-401
DOI: 10.1055/s-2002-20219
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Glitazone - Eine neue Substanzklasse in der Behandlung des Typ 2-Diabetes

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
28. April 2004 (online)

Zu dem »Arzneistoff« über Glitazone [1] möchte ich folgende Kritikpunkte anbringen:

1. Die Glitazone wirken nicht direkt auf die Signalübertragung des Insulins. Die hauptsächliche Wirkung der Glitazone lässt sich als sekundäres Phänomen erklären [8]. Die Wirkungsweise in vivo wird nicht verstanden, jedenfalls wirken die Glitazone nicht an einem definierten Angriffspunkt der Insulin-Rezeptor-Postrezeptor-Kaskade [3].

2. Die Gewichtszunahme bei Glitazon-Therapie wird als leicht klassifiziert. Unter Glitazonen kommt es zu einer Gewichtszunahme von 3,7-6,3 % innerhalb 15-24 Monaten, auch in Kombination mit Metformin (Fachinformation AVANDIA, März 2001, Fachinformation ACTOS, Oktober 2000).

3. Nicht 25 Patienten sind bekannt, sondern 90 Patienten mit Leberversagen, 70 mit tödlichem Verlauf bei Troglitazon-Therapie, davon 10 Patienten mit Leber-Transplantation [8]. Ein gesunder Mensch starb in der Troglitazon-Gruppe an Leberversagen in einer Diabetes-Präventionsstudie, so dass die zuständige U.S.-Behörde für 585 Studienteilnehmer aus Sicherheitsgründen den Verblindungscode aufheben ließ und diese Menschen die Troglitazon-Therapie abbrechen mussten [15].

4. Die Literaturquelle Nr.6 wird im Artikel nicht besprochen - sie ist insofern von Interesse [19], da sie zeigt, mit welch zweifelhaften Daten die FDA Troglitazon im Eilverfahren auf Druck der Herstellerfirma zugelassen hat [20] und wie schon vor Markteinführung die Medikamentenrisiken heruntergespielt wurden [9] [11] [16].

5. Im August 2001 sind nicht zwei, sondern fünf Fälle über schwere Lebernebenwirkungen unter Rosiglitazon publiziert [2] [4] [7] [10] [13] - ein weiterer, nicht veröffentlichter Fall mit Todesfolge war der FDA gemeldet (Mitteilung durch GlaxoSmithKline auf Anfrage am 26.07.2001). Ein schwerer Fall Rosiglitazon-induzierten Leberversagens wurde im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht [4], und die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft warnt bei Rosiglitazon-Einnahme vor Alkoholgenuss!

6. Es werden Studien zitiert, die Glitazone in einem eher positiven Licht erscheinen lassen. In einer randomisierten Studie unter 8 mg Rosiglitazon/d im Vergleich zu Metformin stieg LDL-Cholesterin sofort und anhaltend, das HbA1c verschlechterte sich nach 24 Wochen von 8,7 auf 10 % [8].

7. Die Autoren schreiben, Pioglitazon könne bei eingeschränkter Nierenfunktion verabreicht werden. Für ACTOS liegen laut Fachinformation keine Erfahrungen bei Dialyse-Patienten vor.

8. Es wird dargestellt, dass für alle Substanzen kein Hypoglykämierisiko bestehe. In den deutschen Fachinformationen werden für Rosiglitazon sowohl in Kombination mit Metformin als auch SH in 1-10 % Hypoglykämien beschrieben. In der U.S.-amerikanischen Werbung für AVANDIA (z. B. in Diabetes Care vom 24. Juli 2001) lauten die Zahlen für Hypoglykämien: Rosiglitazon-Monotherapie: 0,6 %, Placebo: 0,2 %, Rosiglitazon + Metformin: 1,3 %, Rosigitazon + SH: 5,9 %! In einer Studie verstarb eine 52-jährige Frau mit 8 mg AVANDIA in Kombination mit Insulin (d. h. keiner von der FDA genehmigten Indikation) an Hypoglykämie, Herzstillstand und Enzephalopathie (Mitteilung durch GlaxoSmithKline auf Anfrage am 24.07.2001).

9. Die in Deutschland zugelassenen Indikationen sind unvollständig dargestellt: Rosiglitazon und Pioglitazon sind in Kombination mit Metformin nur bei Übergewichtigen zugelassen, beide Substanzen in Kombination mit SH nur indiziert, wenn Metformin kontraindiziert ist oder nicht vertragen wird. Rosiglitazon und Pioglitazon sind indiziert in Kombination mit Metformin oder SH, wenn vorher deren maximal verträglich Dosis ausgetestet wurde. Zwar sollen die Glitazone bei Überschreiten eines dreifach oberhalb der Norm liegenden Wertes der Transaminasen abgesetzt, sie dürfen aber bei Transaminasen oberhalb des 2,5fachen der Norm gar nicht erst eingesetzt werden! Es fehlt der Hinweis, dass eine schnelle und eine langsame Variante des Leberversagens zu unterscheiden ist (www.fda.gov, Dokument 3507tl.rtf) und dass es keine Belege dafür gibt, dass Leberenzym-Monitoring alle 2 Monate bei idiosynkratischem Leberversagen die rechtzeitige Diagnose ermöglicht oder den Verlauf beeinflusst. Leberversagen trat schon nach 1-2 Wochen Glitazon-Therapie auf [8].

10. Eine Herzinsuffizienz NYHA I kann ohne Echokardiographie nicht festgestellt werden, daher muss bei jedem Patienten vor Glitazon-Therapie zum Ausschluss einer Herzinsuffizienz NYHA I eine Echokardiographie durchgeführt werden.

11. Die Autoren weisen den Glitazonen die Rolle einer neuen ergänzenden und sinnvollen oralen Therapieform bei Typ 2-Diabetes zu. Dies ist verfrüht. Erstens ist die Beweislage nach der UKPDS für Metformin, Glibenclamid und Insulin so gut [17] [18], dass abgewartet werden kann, bis ausreichend lange Endpunkt-Studien mit Glitazonen im Vergleich zu Standardtherapien vorliegen [12]. Zweitens muss kritisiert werden, dass Patienten mit Standardtherapie im Rahmen der Zulassungsstudien mit Glitazonen gegen Placebo randomisiert wurden - dies ist für Typ-2-Diabetes-Patienten weder angebracht noch gerechtfertigt und ethisch bedenklich [5], die Patienten werden so einer Stoffwechselverschlechterung und unnötigerweise einem mikro- und makrovaskulären Risiko ausgesetzt. Drittens bedeutet die Verordnung der Glitazone ein »ökonomisches Großexperiment« [14], da die Therapie berechnet nach den Angaben der aktuellen Roten Liste um das 3-5fache verteuert wird.

Nach Studium der wenigen Voll-Publikationen, der zahlreichen »abstracts«/Kurzzeitstudien und der Firmen-Werbung zu den Glitazonen stelle ich fest:

Von einer Verordung der Glitazone ist derzeit abzuraten, die Wirkung ist unspezifisch und unübersichtlich. Die Effektivität der Glitazone bezogen auf BZ- und HbA1c-Absenkung ist nur gering und auch nur kurzzeitig untersucht, die Rate der Primärversager mit 25 % hoch 6, der Einfluss auf mikro- und makrovaskuläre Komplikationen, auf Mortalität und Lebensqualität nicht belegt. Die Verordnung von Glitazonen ist nach dem SGB V-Grundsatz unwirtschaftlich. Das Nutzen-Risiko-Profil ist negativ: Ungeklärtem Nutzen stehen bedeutsame mögliche gesundheitliche Risken entgegen (z. B. Leberversagen oder Lungenödem). Auch durch Leberenzym-Monitoring kann ein idiosynkratisches Leberversagen nicht verhindert werden. Glitazone ersetzen nicht die Notwendigkeit, bei Patienten mit Typ 2-Diabetes rechtzeitig und in angemessener Weise eine Insulintherapie zu beginnen.

Literatur

  • 1 Algenstaedt P, Hamann A. Glitazone - eine neue Substanzklasse in der Behandlung des Typ 2-Diabetes.  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  126 951-952
  • 2 Al-Salman J, Arjomand H, Kemp D. et al . Hepatocellular injury in a patient receiving rosiglitazone: a case report.  Ann Int Med. 2000;  132 121-124
  • 3 Aronoff S, Rosenblatt S, Braithwaite S. et al . Pioglitazone Hydrochloride Monotherapy Improves Glycemic Control In The Treatment of Patients With Type 2 Diabetes.  Diabetes Care. 2000;  23 1605-1611
  • 4 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft . Schwerwiegende Leberreaktion unter Rosiglitazon.  Dt Ärzteblatt. 2001;  A98 1987
  • 5 Bell D. Ethics in Diabetic Clinical Trials.  Diabetes Care. 2001;  24 606
  • 6 Day C. Thiazolidinediones: a new class of antidiabetic drugs.  Diabet Med. 1999;  16 179-192
  • 7 Forman L, Simmons D, Diamond R. Hepatic failure in a patient taking rosiglitazone.  Ann Int Med. 2000;  132 118-121
  • 8 Gale E. Lessons from the glitazones: a story of drug development.  Lancet. 2001;  357 1870-1875
  • 9 Gottlieb S. Company played down drug`s risks, report says.  Br Med J. 2001;  322 696
  • 10 Hachey D, O`Neil M, Force R. Isolated elevation of alkaline phosphatase level associated with rosiglitazone.  Ann Int Med. 2000;  133 752
  • 11 Los Angeles Times 11. März 2001: Paper: Co. Knew of Drug-Liver Link. www.mindfully.org/Industry/Warner-Lambert-Liver-Damage.htm
  • 12 National Institute for Clinical Excellence .Guidance on Rosiglitazone for Type 2 Diabetes Mellitus. Technology Appraisal Guidance -. No.9 August 2000 www.nice.org.uk
  • 13 Ravinuthala R, Nori U. Rosiglitazone Toxicity. Letter to the editor.  Ann Int Med. 2000;  133 658
  • 14 Richter B. Einsatz der Glitazone beim Typ-2-Diabetes: eine kritische Stellungnahme.  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  126 606
  • 15 The Diabetes Prevention Program Research Group . The Diabetes Prevention Program. Design and methods for a clinical trial in the prevention of type 2 diabetes.  Diabetes Care. 1999;  22 623-634
  • 16 Tolman K. Thiazolidinedione hepatotoxicity: a class effect?.  Int J Clin Pract. 2000;  113 29-34 (Suppl))
  • 17 UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group . Effect of intensive blood-glucose control with metformin on complications in overweight patients with type 2 diabetes (UKPDS 34).  Lancet. 1998;  352 854-865
  • 18 UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group . Intensive blood-glucose control with sulfonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33).  Lancet. 1998;  352 837-853
  • 19 Watkins P, Whitcomb R. Hepatic Dysfunction Associated with troglitazone.  New Engl J Med. 1998;  338 916-917
  • 20 Wolfe M. Statement. Director, Public Citizen`s Health Research Group FDA Endocrine and Metabolic Drugs Advisory Committee Meeting in Troglitazone March 26, 1999 www.citizen.org/ hrg/ PUBLICAIONS/1476.htm

Dr. med. Helmut Kleinwechter

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