Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(8): 390-394
DOI: 10.1055/s-2002-20217
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Immunpathogenese der Atherosklerose

Die Mainzer HypotheseImmunopathogenesis of atherosclerosis: the Mainz hypothesisS. Bhakdi
  • Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Manuskript-Eingang: 16. Oktober 2001

Annahme nach Revision: 14. Januar 2002

Publikationsdatum:
21. Februar 2002 (online)

Atherosklerose ist die Folge einer besonders gearteten, chronisch verlaufenden Entzündung im subendothelialen Gefäß-Bindegewebe. Lipidablagerungen, insbesondere das »low density lipoprotein« (LDL) initiieren und erhalten den pathologischen Prozess. Warum gewebsständiges LDL entzündungsfördernd wirkt, stellt allerdings ein zentrales Rätsel der Medizin dar. Das Lipoprotein ist nämlich ein inertes, körpereigenes Molekül, welches dem Transport des lebensnotwendigen Cholesterins im Körper dient. Jedes LDL-Molekül stellt ein Aggregat aus mehreren tausend Molekülen Cholesterin dar, die zusammen mit Phospholipiden von einer Proteinhülle, dem Apolipoprotein B, umgeben sind. Bei Bedarf wird LDL von Gewebszellen über Rezeptoren aufgenommen. Innerhalb der Zelle kommt es zur Freisetzung des Cholesterins. Dieses geschieht durch die Einwirkung lysosomaler Enzyme (Proteasen und Cholesterin-esterase), die in jeder kernhaltigen Zelle vorhanden sind.

An undichten Stellen des Gefäßsystems kann LDL in das subendotheliale Bindegewebe hineinsickern. Prädestiniert hierfür sind Stellen, die nicht-laminaren Strömungen und hohem Druck ausgesetzt sind. Die Menge von »gestrandetem« Lipoprotein wird dabei naturgemäß vom LDL-Plasmaspiegel entscheidend beeinflusst. Die Konzentration des LDL-Cholesterins beträgt bei der Geburt 25-30 mg/dl. Im Laufe des Lebens erhöht sie sich bei Naturvölkern nur geringfügig, doch steigt sie hierzulande bereits in der Jugend an, um üblicherweise Werte von 150-180 mg/dl zu erreichen. Zwei Hauptursachen sind für den Anstieg verantwortlich: 1. Bewegungsarmut, die zu einer erhöhten endogenen Cholesterinsynthese in der Leber führt und gleichzeitig die zelluläre LDL-Aufnahme über LDL-Rezeptoren verringert; 2. die cholesterinreiche Nahrung und Überernährung.

Nach Ablagerung von LDL im Gefäß-Bindegewebe wandern Monozyten aus dem Blut in die Läsionen ein. Die Zellen nehmen das Lipoprotein auf und verwandeln sich zu Schaumzellen. An diese bindet das »high-density« Lipoprotein (HDL); es nimmt den Zellen das Cholesterin wieder ab und diffundiert in die Lymphe oder Blutbahn zurück. Dies ist das Prinzip des »reverse cholesterol transport«, der die Entfernung von gestrandetem LDL mit seinem unlöslichen Inhalt (Cholesterin) aus den Gefäßwänden gewährleistet. Bei exzessiver Schaumzellbildung wird der HDL-abhängige Transport jedoch überlastet. Dann bilden die Zellen entzündungsfördernde Substanzen (Zytokine), die die Einwanderung und Proliferation von glatten Muskelzellen und die Bildung von extrazellulärer Matrix bewirken. Einige Schaumzellen sterben ab, und das Lipid wird wieder frei. Im Verlaufe der nun einsetzenden chronischen Entzündung entsteht eine Art Narbe mit nekrotischem, teils verkalktem Kern. Somit entwickelt sich die charakteristische Pathologie der atherosklerotischen Läsion.

Vor etwa 10 Jahren eroberte die Oxidationstheorie der Atherogenese die wissenschaftliche Welt. Nach diesem von Steinberg 1981-1984 formulierten Konzept sind oxidative Veränderungen dafür verantwortlich, dass LDL in ein entzündungsauslösendes Molekül verwandelt wird [29] [30]. Oxidiertes LDL (ox-LDL) wird vom so genannten »Scavenger-Rezeptor« auf Makrophagen erkannt und induziert die Schaumzellbildung. In vitro wird dieser Vorgang von der Abgabe entzündungsfördernder Moleküle begleitet; es erscheint logisch, dass diese Prozesse auch für die In-vivo-Pathologie verantwortlich sind. Zum Millenniumswechsel erschienen in führenden Fachzeitschriften Übersichtsartikel und Diskussionsbeiträge zur bahnbrechenden Bedeutung der Oxidationstheorie, die als Schlüssel zum Verständnis der bedeutendsten Krankheit in den Industrienationen aufzufassen sei [1] [12-15] [21] [23] [25] . Die Oxidationshypothese hat zu einer Reihe groß angelegter klinischer Studien geführt. Deren Ausgang ist jedoch insgesamt enttäuschend gewesen, denn eine signifikante Verringerung der Inzidenz von koronaren Herzkrankheiten konnte durch die Verabreichung von Antioxidantien nicht erzielt werden. Auf eine Auflistung der erfolglosen Studien wird hier verzichtet. Stellvertretend sei auf die neueste Veröffentlichung im New England Journal of Medicine hingewiesen [7], die mit einem ausführlichen Editorial [11] versehen wurde. Außerdem sind auf der Jahrestagung der AHA 2001 die Ergebnisse der Heart Protection Study (HPS) vorgestellt worden. Die Ergebnisse zeigen eine Abnahme der Gesamtsterblichkeit sowie der koronaren und zerebrovaskulären Morbidität und Mortalität unter einer Therapie mit 40 mg Simvastatin, jedoch keinen Effekt in der Antioxidantien-Gruppe. Die Studie ist noch nicht publiziert, die nötige Information ist jedoch im Internet unter HPSinfo.org abrufbar.

Die Oxidationstheorie birgt zudem einige ernsthafte Probleme, die allgemein ignoriert werden:

Tatsächlich kann oxidiertes LDL nur in sehr geringen Mengen in atherosklerotischen Plaques nachgewiesen werden 19. In den Läsionen erfolgt eine Aktivierung des Komplementsystems 22 26 32 33; ox-LDL ist jedoch kein Komplementaktivator 2 . Subendothelial abgelagertes LDL weist einen hohen Gehalt an freiem Cholesterin auf 8 17 18 27-29, außerdem besitzt es eine andere Ultrastruktur als natives oder oxidiertes LDL 10 27.

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Prof. Dr. Sucharit Bhakdi

Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

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