Z Orthop Ihre Grenzgeb 2001; 319(6): 467-468
DOI: 10.1055/s-2001-19224
EDITORIAL

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Weiterbildung und Arbeitszeitgesetz: wie werden aus Ärzten gute Orthopäden?

Further Training and working time laws: How to make good specialists in orthopedicsF.  U.  Niethard
  • Aachen
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Publication Date:
20 December 2001 (online)

Einleitung

Das Arbeitszeitgesetz und die Probleme der Ärzte im Krankenhaus sind nicht neu. Doch jetzt steigt der Druck: „Ärzte drohen mit Abrechnungsstreik” heißt es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3. 11. 2001, „Krankenhausärzte drohen mit Bleistiftstreik” (Die Welt vom 3. 11. 2001), „mehr Kranke, weniger Zeit” (Fokus 45/2001). Die Klinikärzte wollen mit Streikaktionen kürzere Arbeitszeiten erzwingen, weil dies nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes unzulässig sei. Wennwie gefordertder Bereitschaftsdienst vollständig als Arbeitszeit gewertet wird, müssten zusätzlich 15 000 Arztstellen geschaffen werden.

Unbestritten ist: die sozioökonomische Bedeutung des Faches Orthopädie wird immer größer. Gelenkerkrankungen machen mehr als 50 % aller chronischen Erkrankungen über dem 65. Lebensjahr aus. Rückenschmerzen in sind die zweithäufigste Ursache von Krankschreibung in Deutschland und 40 % aller Frauen oberhalb des 50. Lebensjahres werden eine osteoporotische Fraktur erleiden. Die demographischen Veränderungen führen zu gravierenden Umschichtungen des Krankheitspektrums. Dies wiederum erfordert Anpassungen in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung: es ist Kompetenz, also vor allem auch orthopädische Kompetenz, gefragt. Der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat in seinem gerade erst erschienenen Gutachten darauf hingewiesen, dass die Inhalte und Fächerproportionen der Weiterbildungsordnung die tatsächlichen Versorgungsschwerpunkte in der stationären und ambulanten Facharztversorgung besser berücksichtigen sollten. Brauchen wir also mehr Orthopäden?

Deutschland hat derzeit eine der höchsten „Orthopädendichten” in Europa (9,16 Orthopäden/100 000 Einwohner). Wenn es zur Zusammenführung von Orthopädie und Unfallchirurgie kommt, stünde die BRD zusammen mit Spanien mit 12,8 Orthopäden/Unfallchirurgen an der Spitze in Europa (Niethard 1999). Von den geforderten 15 000 neuen Stellen müssten darüberhinaus auch einige der Orthopädie zugute kommen. Die Versorgungsdichte wäre damit mehr als doppelt so hoch wie die von Lee et al (1998) empfohlene von 6 Orthopäden („orthopaedic surgeons”) pro 100 000 Einwohnern. Wäre diese Quote noch mit dem Weiterbildungsangebot in den Kliniken und den Weiterbildungsinhalten vereinbar?

Die Zahl der Ärzte im Krankenhaus ist in den letzten 40 Jahren von 22 702 (1960) um mehr als das sechsfache auf annähernd 140 000 gestiegen. Die Zahl der klinisch tätigen Orthopäden stieg etwa im gleichen Maße von 262 im Jahr 1960 (ohne Westberlin) auf annähernd 2000 im Jahr 2000 an (Abb. [1]).

Mehr Ärzte heißt aber weniger Patientenkontakte und weniger Patientenkontakte bedeutet weniger Erfahrung. In einem operativen Fach heißt dies häufig, dass auch der OP-Katalog nicht mehr erfüllbar wird. Die Fallzahlen sind im Krankenhaus nämlich nicht im gleichen Maß gestiegen wie die Arztzahlen. Berechnet man die Fallzahlen pro Arzt und Behandlungsjahr so wurden im Jahr 1960 in der BRD noch 305 Patienten von einem Arzt versorgt (die Angaben beziehen sich auf die stationär behandelten Patienten aller Fächer, da exakte Fallzahlen für die Orthopädie allein nicht vorliegen). Seit 1990 liegen auch Zahlen für Gesamtdeutschland vor. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die „Arztpatientenkontakte” bereits auf 127 und im Jahr 2000 auf 117 verringert (Abb. [2]).

Wenn der durchschnittliche Krankenhausarzt in seiner Weiterbildung heute 2/3 weniger Patienten zu sehen bekommt als 1960, so sollte dies mehr ein Problem für die Weiterbildung als für die Arbeitszeit sein. Wo ist eigentlich die frei gewordene Zeit geblieben?Zahlreiche, leider wenig beachtete, Artikel machen es klar: die „freie Zeit” muß eingesetzt werden für mehr Patientenzuwendung (Aufklärung, Information), für mehr sinnvolle und nötige Dokumentation aber sie wird auch „aufgefressen” von unnützer Bürokratie und der Umschichtung von nichtärztlichen Aufgaben in den ärztlichen Bereich. Für den Verwaltungsaufwand im Krankenhaus muss „jeden Tag ein kleiner Roman” geschrieben werden (Flintrop 2000) und das „Arzttum wird von jungen Ärzten eigentlich nur noch als Verwaltungsmedizin” realisiert (Stula 2001).

Der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat festgestellt, dass die Anforderungen in den derzeitigen Weiterbildungskatalogen in den vorgesehenen Mindestweiterbildungszeiten häufig nicht erfüllt werden können. Gleichzeitig wurde konstatiert, dass die Qualität der Aus-, Weiter- und Fortbildung in den Gesundheitsberufen einen bedeutenden Einfluss auf die Prozess- und Ergebnisqualität der Gesundheitsversorgung hat. Folgt man dieser Argumentation, so müssten bei der derzeitigen Sachlage die Weiterbildungszeit verlängert oder die -inhalte reduziert werden. Beides erscheint vor allem vor dem europäischen Hintergrund nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Sinnvoll und zu fordern aber sind:

die Befreiung der Ärzte von der Verwaltungsmedizin (Medizinkontroller, funktionierende EDV-Systeme) auch durch Stellenaufstockung für die nichtärztlichen Gesundheitsberufe die Qualifizierung der im Krankenhaus tätigen, nichtärztlichen Gesundheitsberufe die Neubewertung originärer ärztlicher Aufgaben die ausreichende Berücksichtigung konservativer und chirurgischer Inhalte in der orthopädisch(-unfallchirurgischen) Weiterbildung

Denn nur so lässt sich der hohe ärztliche Standard in der Orthopädie/Unfallchirurgie erhalten. Nur so wird es gelingen, den Weiterbildungsassistenten wieder für die originär ärztliche Tätigkeit zu motivieren und ihm Spaß an seinem Beruf zu vermitteln. Und nur so lässt sich die durch die Mehrung von 15 000 Arztstellen zu erwartende Mehrbelastung der Krankenkassen von 2 Milliarden DM reduzieren. Oder soll der zukünftige Arzt das Gehalt eines Stationspflegers erhalten, weil sich seine Tätigkeit sowieso nicht mehr wesentlich von dem des Pflegers unterscheidet?

Literatur

  • 1 Flintrop  J. Verwaltungsaufwand im Krankenhaus: jeden Tag ein kleiner Roman.  Dtsch. Ärzteblatt. 2000;;  97 A-2428
  • 2 Lee  P P, Jackson  C A, Relles  D A. Demand-Based Assessment of Workforce Requirements for Orthopaedic Services.  J Bone Jt Surg. 1998;;  80-A 313-326
  • 3 Niethard  F U. Orthopädische Versorgung in Europa.  Z Orthop. 1999;;  137 293-294
  • 4 Stula  M. Arzttum: Verwaltungsmedizin.  Dtsch Ärzteblatt. 2001;;  98 A-669
  • 5 Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen.  Gutachten 2000/2001
  • 6 Mehr Kranke, weniger Zeit. Focus 2001; 45: 96
  • 7 Krankenhausärzte drohen mit Bleistiftstreik. Frankfurter Allgemeine Zeitung 2001; Nr. 256: 13
  • 08 Ärzte drohen mit Abrechnungsstreik. Die Welt 2001; 3.11: 12

Prof. Dr. med. Fritz Niethard

Orthopädische Klinik
RWTH Aachen

Pauwelsstraße 30

52074 Aachen

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