Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(47): 1321
DOI: 10.1055/s-2001-18561
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hypertonologie 2001

Hypertonology 2001
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Publication Date:
22 November 2001 (online)

Prof. Dr. R. Kolloch, Bielefeld

Vom Risikofaktor über die Endorganschädigung zur kardiovaskulären Komplikation - das ist die Ereigniskette, die pathophysiologische, aber auch therapeutische Ansätze für präventive und interventionelle Maßnahmen vorgibt. Bei der geradezu epidemischen Verbreitung arteriosklerotischer Erkrankungen in unserer Gesellschaft bleiben ihre wesentlichen Manifestationen - nämlich der Herzinfarkt und der Schlaganfall - eine große therapeutische Aufgabe. Trotz sehr wirksamer antihypertensiver Therapieformen und einer Fülle von klinischen Daten, die zeigen, dass die Senkung des erhöhten Blutdruckes kardiovaskuläre und renale Komplikationen reduziert, sind immer noch weltweit ca. 75 % der bekannten Hypertoniker unzureichend behandelt.

Epidemiologische Daten weisen auch darauf hin, dass der systolische Blutdruck mit Ausnahme in den jüngeren Altersgruppen als Determinante für das kardiovaskuläre Risiko bedeutsamer ist als der diastolische. Diese Erkenntnis ist jedoch nicht wirksam in die klinische Praxis umgesetzt worden. Daten aus der Framingham Heart Study weisen darauf hin, dass auch Personen mit hochnormalen Blutdruckwerten (systolisch 130-139 mm Hg oder diastolisch 85-89 mm Hg oder beides) ein deutlich höheres Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen aufweisen als Personen mit normalem oder optimalem Blutdruck.

Warum ein erhöhter Blutdruck mit einer höheren kardiovaskulären Ereignisrate assoziiert ist, bleibt unklar. Hämodynamische Folgen der erhöhten arteriellen Wandspannung können Ereignisse wie hämorrhagischen Schlaganfall oder akutes Lungenödem erklären. Andere Mechanismen, z.B. erhöhte Sympathikusaktivität oder Umwelt- und psychosoziale Faktoren, sind möglicherweise bei der vorzeitigen Entwicklung arteriosklerotischer Schädigungen beteiligt.

Ein Mechanismus, der zu der Verknüpfung erhöhter Druckwerte mit der Prädisposition für Arteriosklerose und erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse beitragen könnte, ist die endotheliale Dysfunktion. Bereits im Frühstadium der Arteriosklerose werden unter dem Einfluss bekannter Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie oder Diabetes wesentliche Funktionen der Endothelzelle gestört, die Progredienz von Wandveränderungen beschleunigt und die Inzidenz akuter Komplikationen erhöht. Der Verlust wesentlicher Endothelfunktionen ist durch die messbare Abnahme der endothelabhängigen Relaxation der glatten Gefäßmuskulatur charakterisiert. Der Verlust dieser zentralen Funktionen des Endothels gilt heute als frühester klinisch fassbarer Vorläufer einer Arteriosklerose, wobei es sich offensichtlich um ein reversibles Stadium handelt. Neben der Regulation des kontraktilen Zustandes der glatten Gefäßmuskulatur aller Blutgefäße moduliert das Endothel zahlreiche vaskuläre Funktionen wie Thrombozytenaggregation, Monozytenadhäsion und -migration oder Lipidoxydation. Der Begriff »endotheliale Dysfunktion« wird weitgehend verwendet, um die Konstellation gestörter regulatorischer Funktionen des Endothels zu beschreiben.

Unabhängig von pathophysiologischen Überlegungen zur Endorganschädigung durch Hypertonie ist eine adäquate Therapie mit Einstellung auf niedrige Zieldruckwerte eine entscheidende Voraussetzung für die Verhinderung hypertoniebedingter Endorganschäden und kardiovaskulärer Komplikationen. Die Weiterentwicklung bisheriger Therapieempfehlungen und Leitlinien ist dadurch charakterisiert, dass nach unten revidierte Zieldruckwerte angestrebt werden. Darüber hinaus sind zusätzliche Faktoren für die Risikostratifizierung von Hochdruckpatienten evaluiert worden. Erhöhter Pulsdruck, isolierte systolische Hypertonie, endotheliale Dysfunktion, erhöhte Intima-Mediadicke in den Karotiden, leicht erhöhte Serum-Kreatinin-Werte sowie eine Mikroproteinurie sind als Determinanten angesehen worden. Ihre tatsächliche Bedeutung als Risikofaktor oder Risikoindikator muss weiter überprüft werden.

Diskussionen der letzten Monate haben zu einer erneuten Überprüfung der Nutzen-Risiko-Abwägung und therapeutischen Sicherheit der antihypertensiven Behandlung beigetragen. In diesem Zusammenhang hat die Pharmakogenetik besondere Aktualität. Mit pharmakogenetischen Analysen sollten Faktoren identifiziert werden, die für das unterschiedliche Ansprechen auf antihypertensive Therapie veranwortlich sind. In klassischen Untersuchungen konnte ein Polymorphismus einzelner Gene für medikamentenmetabolisierende Enzyme nachgewiesen werden, die für große interindividuelle Unterschiede bei pharmakokinetischen Reaktionen auf verschiedene antihypertensive Substanzen verantwortlich sind. Neben der Beeinflussung von Medikamenten metabolisierenden Enzymen kann durch Gen-Polymorphismen die Kodierung von Medikamententransportern, Rezeptoren und Ionenkanälen verändert werden und somit das individuelle Risiko für Nebenwirkungen oder auch die Effizienz einer antihypertensiven Therapie moduliert werden. Pharmakogenetische Techniken sowie genotypisierende Tests haben das Potenzial, die antihypertensive Therapie zu optimieren.

Die diesjährige 25. Wissenschaftliche Hypertonietagung möchte erneut ein Forum bieten, um sich über den Fortschritt auf dem Gebiet der Hypertonie und dazu in Beziehung stehender Disziplinen auf den neuesten Stand zu bringen. Nur durch interdisziplinäre Ansätze kann das breite Spektrum von Themen der Hypertonie von der Grundlagenforschung bis zur Umsetzung neuer klinischer Erkenntnisse umfassend behandelt werden. Ein wesentliches Ziel dabei ist auch die Umsetzung und Einordnung neuer Informationen in die derzeit gültigen Standards. Das vorliegende Schwerpunktheft zusammen mit dem beiliegenden Abstractband gibt einen kleinen Einblick in die Vielfalt der Themen und soll auch dazu beitragen, das Problembewusstsein im Umgang mit dem Risikofaktor Hochdruck wach zu halten. Mit Hilfe wirksamer Interventionsmöglichkeiten muss die Prognose von Risikopatienten verbessert werden!

Prof. Dr. med. Rainer E. Kolloch

Medizinische Klinik, Krankenanstalten Gilead

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