Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(Suppl 2): 69-70
DOI: 10.1055/s-2001-18205
EDITORIAL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Aktueller Stand der Therapie
mit Volumenersatzmitteln und Sauerstoffträgern

Current Status of Volume and Oxygen Carrier TherapyTh. Standl, J. Schulte am Esch
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Publication Date:
05 November 2001 (online)

„Blut ist ein ganz besondrer Saft, an dem unser Leben hängt”
(Faust I, Johann Wolfgang von Goethe)

Dieser bemerkenswerte Satz des Mephistopheles umfasst unnachahmlich das Wesen und die Bedeutung von Blut.

Obwohl in Goethes Zeit von einzelnen Ärzten und Naturwissenschaftlern tierexperimentelle Studien zur Blutübertragung zwischen verschiedenen Spezies, zwischen Tier und Mensch sowie 1825 die erste Blutübertragung von Mensch zu Mensch durchgeführt wurden, war die Thematik „Blut” eher von mystischen Gedanken als von wissenschaftlich fundierten Kenntnissen begleitet. So wurden Teile der Seele und Charaktereigenschaften im Blut vermutet, was die Angst der Menschen dieser Zeit vor der nicht selten praktizierten Lammblut-Übertragung erklärte.

Obwohl Harvey schon 1628 den Blutkreislauf entdeckte, wurden erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts systematische Untersuchungen zur Zusammensetzung des Blutes und zur physiologischen Bedeutung einzelner Blutbestandteile unternommen. Meilensteine waren hierbei die Entdeckung des Hämoglobins 1862 durch Hoppe-Seyler, die Kristallisation von Albumin durch Gürber 1894 und die Entdeckung der AB0-Blutgruppen durch Landsteiner 1901. Im 20. Jahrhundert vervollständigten sich die Kenntnisse über das „Organ” Blut als hochkomplexem Medium, das aus zahlreichen Einzelkomponenten zusammengesetzt ist. Blut wurde als Zentrum für die Aufrechterhaltung der Homöostase sowie als universales Transportmedium erkannt.

Trotz immenser Fortschritte der Medizin in den letzten Jahrzehnten hat der akute, schwere Blutverlust ein lebensbedrohliches Krankheitsbild zur Folge, dessen Behandlung eine unverzügliche komplexe Intervention erfordert.

Anhand tierexperimenteller Untersuchungen und durch klinische Forschung wurden das Verständnis für die Pathophysiologie des hypovolämischen und hämorrhagischen Schocks gefördert und wirksame Behandlungsstrategien entwickelt.

Derzeit wird der schwere hämorrhagische Schock im Anschluss an die Wiederherstellung möglichst isovolämischer intravasaler Volumenverhältnisse durch Infusion von Kristalloiden und Kolloiden mit der Transfusion von homologen Erythrozytenkonzentraten und Gerinnungsfaktoren in Form von Gefrierplasma (FFP) und Thrombozytenkonzentraten therapiert, um die O2-Transportkapazität und Gerinnungsfähigkeit des Blutes wiederherzustellen. Obwohl die jahrzehntealte Kontroverse zwischen engagierten Anhängern der Kristalloidtherapie und Verfechtern der Anwendung von Kolloiden (plus Kristalloiden) anhält, zeichnet sich auf dem Sektor der kolloidalen Volumenersatzmittel derzeit ein klarer Trend zur Hydroxyethylstärke ab. Einen offenbar erfolgreichen Ansatz in der Initialtherapie der akuten Hypovolämie bietet die sog. „small volume resuscitation”, die auch in der Behandlung des Hirnödems bei Schädel-Hirntraumapatienten erste vielversprechende Ergebnisse zeigt.

Ausgehend von der Entdeckung meist viraler Krankheitserreger, die durch Fremdblut übertragen werden, hat in den letzten 15 Jahren die Indikation zur homologen Transfusion abgenommen und es konnten wirksame Strategien zur perioperativen Vermeidung oder Reduktion der Anwendung von Fremdblut entwickelt werden. Neben der Akzeptanz einer permissiven Anämie haben Techniken wie die präoperative Eigenblutentnahme, die akute normovolämische Hämodilution und die maschinelle Autotransfusion breiten Eingang in die Klinik gefunden. Präoperative interventionelle radiologische Techniken wie die Embolisation von Tumorgefäßen und innovative chirurgische Techniken haben zu einem deutlichen Rückgang von Blutverlusten und der Transfusionshäufigkeit geführt.

Nach wie vor wird die Applikation von Fremdblutkomponenten von der potenziellen Infektionsgefahr und dem Risiko der Blutgruppeninkompatibilität begleitet.

Künstliche O2-Träger, wie Perfluorocarbone (PFC) und zellfreie Hämoglobin-Lösungen (Hemoglobin-based oxygen carriers = HBOC) können ohne vorherige Blutgruppenbestimmung und Verträglichkeitstestung unverzüglich appliziert werden und sind durch eine lange Lagerungsfähigkeit charakterisiert. So können das emulgierte PFC Perflubron im Kühlschrank mehrere Monate, die ultragereinigte, polymerisierte bovine Hämoglobin-Lösung HBOC-201 mehr als zwei Jahre bei Raumtemperatur gelagert werden.

Eine drohende Verknappung an Fremdblut und die weiterhin bestehenden Bedenken hinsichtlich der Risiken transfusionsbedingter Infektionen und Immunsuppression lassen die Anwendung alternativer Sauerstoffträger in der (prä)-hospitalen Notfallmedizin und der innerklinischen Versorgung von Patienten sinnvoll erscheinen. Die von allen HBOC-Lösungen in unterschiedlicher Intensität bewirkte systemische Vasokonstriktion der großen Widerstandsgefäße (NO-Scavenging) könnte sich, neben der O2-liefernden Wirkung, z. B. im Falle eines hämorrhagischen Schocks, kreislaufstabilisierend auswirken. Die im Bereich der Mikrozirkulation günstigen Effekte von HBOC werden in Kombination mit der erleichterten O2-Abgabe durch die Substanz selbst sowie aus den verbliebenen Erythrozyten (O2-Brückeneffekt) die Gewebsoxygenierung bei einer Vielzahl von pathologischen Perfusionsverhältnissen wie Schlaganfall, Myokardinfarkt oder im Schock möglicherweise verbessern.

Der Therapie des intravasalen Volumenmangels bzw. Blutverlustes liegen heutzutage klar definierte Verfahrensweisen zu Grunde, die durch die Verfügbarkeit wirksamer und nebenwirkungsarmer Volumenersatzmittel und Blutkomponenten ubiquitär umsetzbar geworden sind. Neu definierte Transfusionstrigger, neuentwickelte Präparate auf dem Sektor der Volumenersatzlösungen und der künstlichen Sauerstoffträger sowie innovative interdisziplinäre Vorgehensweisen werden die klinische Praxis zukünftig verändern.

Der vorliegende Supplementband, der die wichtigsten Themen eines internationalen Symposiums vom 16. und 17. November 2001 in Hamburg zusammenfasst, zeigt neben der historischen Entwicklung der Volumenersatztherapie und des Transfusionswesens den aktuellen Standard der Infusions- und Blutkomponententherapie sowie zukünftige Perspektiven auf diesem Gebiet durch neuartige Behandlungsstrategien und Substanzen auf.

Prof. Dr. Jochen Schulte am Esch
Prof. Dr. Thomas Standl

Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Martinistraße 52

20246 Hamburg