Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(Suppl 2): 91-93
DOI: 10.1055/s-2001-18181
GESCHICHTE DER TRANSFUSION
ORIGINALIA
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hämoglobinlösungen als Blutersatz - Pioniere und Weggefährten der Forschung

Hemoglobin Solutions as Blood Substitutes - Scientific Pioneers and FellowsK. Bonhardt
  • Hanau
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Publication Date:
05 November 2001 (online)

Meine Retrospektive erfasst nur Produkte aus konsequent zielorientierter Forschung. Diese fand statt und wurde publiziert ab der Mitte der Sechzigerjahre (des vergangenen Jahrhunderts). Von da an hatte ich die Fachliteratur intensiv verfolgt bis in das Jahr 1987. Alsdann hatte die Firma BIOTEST, bei der ich das Projekt „Hb-Lösungen” über eineinhalb Jahrzehnte selbst geleitet hatte, auf eine eigene Markteinführung zugunsten Lizenzvergaben verzichtet.

Was war das Ziel der ganzen Entwicklung?

Man wollte vor allem einen sauerstofftransportierenden Blutersatz, um von Erythrozytenkonzentraten mit ihren inhärenten Mängeln wie Blutgruppenspezifität, kurzer Haltbarkeit und potenzieller viraler Infektiosität wegzukommen.

Außerdem erhoffte man sich günstigere rheologische Eigenschaften.

Als Rohstoff boten sich abgelaufene Blutkonserven an, die wegen hämolytischer Zelltrümmer und hohen extrazellulären Kalium-Spiegels zur Transfusion unbrauchbar geworden, deren intrazelluläres Hämoglobin aber noch weitgehend intakt war.

Als ersten echten Pionier im erwähnten Sinne möchte ich den Arzt Frederick Rabiner - damals am Michael Reese Hospital in Chicago - nennen.

Seine Veröffentlichung von 1967 [7] im Journal of EXPERIMENTAL MEDICINE hatte Signalwirkung für praktisch alle späteren Forschungsgruppen.

Rabiner erkannte als erster die Bedeutung einer vollständigen Entfernung von Zellmembran-Bestandteilen zu einer sogenannten „stromafreien Hämoglobin-Lösung”. Er beschrieb dafür präzis ein Verfahren zur Waschung und Hämolyse der Erythrozyten sowie zur Abtrennung des Stromalipids. Als erster erregte er auch die Aufmerksamkeit der Pharmaindustrie. Der ABBOTT-Konzern interessierte sich für sein Produkt, fand es später aber nicht hinreichend standardisiert.

Rabiner kannte unsere Ergebnisse aufgrund einer mehrjährigen Korrespondenz zwischen uns. Als er sich zu Anfang 1974 von der Hämoglobin-Forschung zurückgezogen hatte, äußerte er sich einmal: „I'm physician and not a chemist!”

Wir bei BIOTEST hatten allerdings frühzeitig sein Herstellungsschema verlassen.

Sein Hämolyse-Schritt mit mäßig hypotonem Phosphatpuffer hatte sich bei uns als technisch ungünstig erwiesen. Stattdessen „zerfetzten” wir gleichsam die roten Blutzellen durch „instant hypotony” - wie wir es auf internationalen Tagungen immer nannten -, indem wir die gewaschenen Erythrozyten in ein größeres Volumen destillierten Wassers rasch einrührten. Damit gelangten wir - unter Anwendung weiterer Tricks - schließlich zu einer im 10- bis 50-Litermaßstab problemlos steril-filtrierbaren 6-prozentigen isotonischen Hämoglobin-Lösung [2] mit deutlich linksverschobener sigmoider Sauerstoff-Bindungskurve (P 50/pH 7,4 = 19 mm Hg).

Nach Durchlaufen hausinterner Verträglichkeitstests an Maus, Ratte und Kaninchen wurden um 1970 Tierversuchsreihen bei externen Forschergruppen gestartet:

Die Anästhesiologen Schorer, Unseld [9], Junger an der Universitätsklinik Tübingen und die Experimental-Chirurgen Messmer [6], L. Sunder-Plassmann, Jesch am Klinikum links der Isar in München waren die ersten.

An Zwergschweinen, bzw. splenektomierten Hunden fielen übereinstimmend auf:

Tiefroter Urin (optisch wie bei einer massiven intravasalen Hämolyse), Intravasale Halbwertszeit von max. 2 - 4 Stunden, Ausbleiben eines Anstiegs des Herzminutenvolumens und gleichzeitig erhöhter peripherer Widerstand.

Den Phänomenen 1. und 2. - Folgen der Nierenpassage - versuchten wir durch Vergrößerung des Hämoglobin-Moleküls entgegenzuwirken: Chemische Aneinanderkopplung der naturgemäß vorliegenden tetrameren Hb-Moleküle.

Phänomen 3., die Vasokonstriktion, deuteten wir Chemiker als potenzielle Autoregulation des Organismus: Redundante Sauerstoffversorgung durch das freigelöste Hämoglobin könnte eine Reduzierung des Blutstroms bewirken. Diese Euphorie teilten unsere medizinischen Forscher-Kollegen in Tübingen und München nicht, und sie behielten damit Recht.

Dass im Blutplasma freigelöstes Hämoglobin in Konzentrationen von 3 - 4 % die Nierenschranke massiv durchbricht, konnten wir uns molekular-physikalisch erklären.

Der akute Haptoglobin-Spiegel ist bei derartig hohen plasmatischen Hb-Mengen schnell erschöpft, und das freie Hämoglobin vermag dank seiner kompakten Gestalt trotz vergleichbarem Molekulargewicht mit dem Serumalbumin im Gegensatz zu letzterem die Tubulusmembran leicht zu durchwandern.

Die intensive Molekülrotation im Blutplasma bei 310° K (entspr. 37° C) verleiht dem zigarrenförmigen Serumalbumin praktisch den Raumbedarf des Rotationsspheroids um seine Langachse von ca. 150 Å. Damit hat es so gut wie keine Chance, ein intaktes Nephron zu passieren. Wohl aber das nahezu kubisch geformte vierkettige Hämoglobin-Molekül mit einem um zwei Drittel kürzeren Spheroid-Durchmesser.

Gemeinsam mit meinem Mitarbeiter Uwe Boysen habe ich in meinem Labor bei Biotest früh in den Siebzigern begonnen, mit aliphatischen Dialdehyden Hämoglobinmoleküle zum erwähnten Zweck aneinanderzukoppeln [5].

Die Aldehydgruppen reagieren mit exponierten freien Amino-Gruppen basischer Aminosäuren der Hb-Tetramere unter Bildung sog. Azomethin-Brücken (= Schiffsche Basen) inter- wie auch intramolekular. Letztere fesseln die Hb-Struktur dermaßen, dass die physiologisch wichtige „Molekülatmung” bei der Sauerstoffaufnahme und -Abgabe extrem eingeschränkt wird. Das zeigte sich anhand der entsprechenden Bindungskurve und - insbesondere - an dem niedrigen Halbsättigungswert P 50 (bei pH 7,4 nur 13 mm Hg).

Trotz dieser verringerten Sauerstoff-Abgabekapazität des „vernetzten” Hämoglobins wurden damit in vivo an der Ratte bereits interessante Fortschritte hinsichtlich Verträglichkeit durch den Physiologen H. Förster und seiner Mitarbeiterin I. Hoos, in Zusammenarbeit mit den Pathologen M. Schneider und H. Hauk an der Frankfurter Universitätsklinik belegt [4].

Im Vergleich mit dem unvernetzten Vorläuferpräparat („Hb”) zeigte sich beim vernetzten („HbHb”) 8 Stunden post inf.:

Keine Mitosen der Tubuli Keine Nekrosen von Tubulus-Epithelien Wesentlich geringere und rascher abklingende Bildung von „Hämoglobin-Zylindern” in den Tubuli der Nieren Nur geringgradige Hepatozyten-Schädigung Hochgradige Aufnahme in die Kupfferschen Sternzellen der Leber (= natürlicher Abräum-Mechanismus). Keine merkliche Penetration der Hepatozyten

Das Dilemma der infolge der Vernetzung verschlechterten Sauerstoff-Zuführung zum Gewebe konnten wir in den Folgejahren Zug um Zug beheben. Entscheidend war unsere Kenntnisnahme von Veröffentlichungen der beiden Hämoglobin-Grundlagenforscher an der Columbia-Universität in New York, Ruth und Reinhold Benesch [1], zweier weiterer bedeutender Pioniere der gesamten Entwicklung. Von ihnen übernahmen wir den künstlichen Allosterie-Effektor Pyridoxalphosphat (abgekürzt: PLP, PP oder auch nur „p”). Der lässt sich homöopolar an das Hb-Tetramer fixieren anstelle des nur locker gebundenen natürlichen Effektors 2,3-Diphospho-glycerat, abgekürzt DPG.

Damit konnten wir das Sauerstoff-Abgabevermögen von Hämoglobin erheblich steigern, in vitro stabilisieren (einjährige 5°-Lagerung), wie auch in vivo (nach Infusion oder Perfusion).

Bekanntlich enthält frisch gespendetes Blut fast nur Hb-DPG, das intraerythrozytär, d. h. bei pH 7,25, ein P 50 von 27 mm Hg, aber frei gelöst in Plasma, d. h. bei pH 7,45, von nur 23 mm Hg aufweist.

Während der Lagerung der Blutkonserve läuft ein einseitiger DPG-Abbau. Mit der Trennung vom lebenden Organismus ist die naturgemäße DPG-Rückbildung abgebrochen.

Die aus abgelaufenen Blutkonserven gewonnene „stromafreie Hämoglobin-Lösung” enthält so gut wie kein Hb-DPG sondern nur sog. „stripped hemoglobin” (Hb) mit einem intraplasmatischen P 50-Wert von 17 - 19 mm Hg. Nach Zusatz von Pyridoxalphosphat zu dem „stripped” Hb dockt die Aldehydgruppe des PP spezifisch am Effektor-Liegeplatz des Hb unter Ausbildung einer Schiffbasen-Bindung an.

Mit einem Schlag entsteht dabei Hb PP, dessen um mehr als 10 mm Hg nach rechts verschobene Sauerstoffbindungskurve (P 50-Wert > 30 mm Hg) menschliches Frischblut noch übertrifft.

Und dieses Präparat wurde auch in vivo gut vertragen.

Dazu bestand berechtigte Hoffnung, da der Organismus an PP als Mitglied der Vitamin-B6-Familie ja gewöhnt ist.

Bezüglich der intravasalen Verweildauer konnte man von Hb PP gegenüber den anderen unvernetzten Produkten (Hb und Hb-DPG) natürlich keine Vorteile erwarten.

Trotzdem haben wir Hb PP als 6-proz. Lösung in 100 % sauerstoffgesättigter Form standardisiert und dieses Präparat als hp bezeichnet. Es erwies sich 9 Monate lang bei 5° C als haltbar.

Zwei bezüglich der Kristalloid-Zusätze unterschiedliche Perfusions-Präparate vom Typ hp sind an der Frankfurter Universitätsklinik durch O. Elert (Herzchirurg) und U. Ottermann (Anästhesiologe), [3], bzw. U. Steinau (Wiederherstellungs-Chirurg), [8], erfolgreich getestet worden:

Myokardstabilisierung bei Herzoperationen. Perfusion abgerissener oder abgequetschter großer Gliedmaßen vor der Replantation (Schutz vor Ischämieschäden).

So hatte sich der vorzügliche Sauerstoff-Lieferant hp bei ganz anderen medizinischen Indikationen als dem hämorrhagischen Schock bewährt, ein eigenständiges Nebenprodukt unserer Blutersatz-Forschung.

Um letztgenanntes Hauptziel zu erreichen, haben wir die Pyridoxalierung mit der Dialdehyd-Vernetzung kombiniert.

Das hat in wenigen Jahren mit der Gewinnung eines dem Blut sehr nahekommenden Präparates zur Krönung unserer Entwicklung geführt [5].

Meinen jüngeren Kollegen N. Kothe und B. Eichentopf gelangen weitere Verfeinerungen zu einem Präparat mit der Bezeichnung nhpa (entspricht HbHbPP mit einem Zusatz von Serumalbumin). nhpa ist durch folgende Daten charakterisiert:

Der P 50-Wert beim plasmat. pH 7,4 beträgt 25-27 mm Hg und entspricht damit dem von frischem Spenderblut (beim intraerythrozytär vorliegenden pH-Wert 7,25). Die intravasale Halbwertszeit des nhp liegt bei den Spezies Kaninchen, Hund, Schwein, Pavian und Schimpansen zwischen 15 und 20 Stunden. Der kolloidosmotische Druck des Präparats ist durch Zusatz von 2,5 g/100 ml Humanserumalbumin auf 30 mm Hg isoonkotisch eingestellt. Der relative kinematische Viskositätswert der nhpa-Lösung von 2,6 liegt unter dem des Blutplasmas. Die Konzentration an chemisch modifiziertem Hämoglobin beträgt 8,5 g/100 ml, davon sind ca. 90 % intermolekular vernetzt, mehrheitlich trimolekular.

Vorklinische Verträglichkeits- und Wirksamkeitstests mit nhpa an verschiedenen Tierspezies, u. a. mit Totalaustausch bei Hunden, sind auf dem 3. Weltkongress für Notfall- und Katastrophenmedizin 1983 in Rom von folgenden Forschergruppen berichtet worden:

Aus dem Zentrum der Anästhesiologie d. Univ. Ffm.: Ottermann, Klein, Dudziak, Förster. Aus d. Inst. f. Anästhesiol./Univ. Tübingen u. Pathol./Univ. Ffm.: Lenz, Junger, Schneider. Aus dem Anästhesiol. Inst./Univ.-Klin. München - Großhadern: Hobbhahn, Jesch, Peter. Aus der Wiss. Abt. der Fa. Biotest Pharma GmbH in Frankfurt a.M./ Dreieich von uns.

Das internationale Echo äußerte sich vor allem in den Jahren danach durch das Auftauchen einer Reihe von Nachahmern, weltweit las man häufiger über „crosslinked pyridoxalated hemoglobin”. Seit der Mitte der Siebzigerjahre hatten wir uns bis dahin wie Monopolisten gefühlt. Doch auch danach zeigte der Datenvergleich mit den konkurrierenden Forschungsprodukten immer noch einen deutlichen Vorsprung unsererseits, zumindest bis 1987.

Auf das Erscheinen unserer ersten Patentveröffentlichungen hin mit recht günstigen Daten suchten andere Arbeitsgruppen nach Alternativen. Teils wählte man andere Dialdehyde für die Vernetzung, teils hoffte man mit Umstellungen unserer Verfahrensschritte aus dem Anspruchsbereich unserer Schutzrechte herauszukommen.

Eine besonders pfiffige Idee war die Anwendung von 2-Nor-2-formyl-pyridoxalphosphat, eines Dialdehyds, der zugleich als Hämoglobin-Verknüpfer und allosterischer Effektor wirkt.

Wieder andere Gruppen modifizierten auf unsere Weise Rinderhämoglobin, das eine günstigere O2-Bindungskurve aufweist als Human-Hb.

Schon während unserer Anfänge mit der Hb-Forschung gab es Kopplungsversuche von Hb an andere Kolloidmoleküle wie Serumalbumin, Dextran, Oxypolygelatine, u. a. mehr, auch von uns selbst. Später wählte man als Hb-Träger vor allem Polyäthylenglykol.

Von all den genannten „anderen” Modifizierungswegen hatte „zu meiner Zeit” gemäß den publizierten Angaben keiner „in Kliniknähe” geführt.

Aus diesem Grund sind so viele „Fremdentwicklungen” von meiner Rückschau ausgespart geblieben.

Warum aber gingen wir selbst nicht durchs Ziel ?

Da waren einerseits die hohen Herstellungskosten: Einen Endpreis um 500 US-Dollar kalkulierten wir damals für die 500 ml-Einheit unseres „Spitzenprodukts” nhpa.

Außerdem war die eingangs erwähnte Vasokonstriktion durch freies Hämoglobin auch beim nhpa noch zu beobachten. Erst Mitte der Achtzigerjahre wurde publik, dass Stickstoffmonoxyd (NO), das bei der enzymatischen Endothel-Relaxation mitwirkt, spezifisch von Hämoglobin weggefangen wird.

Ob unsere Lizenznehmerin Northfield Corp. (Umgebung von Chicago) seit 1987 mit der Forschergruppe Gould, Sehgal, Rosen, de Woskin und Moss die Probleme hat inzwischen lösen können, entzieht sich meiner Kenntnis.

Jedenfalls hatte diese sehr leistungsfähige Mannschaft die Führungsposition von uns übernommen.

Der Kreis hatte sich in CHICAGO (Illinois), wo zwei Jahrzehnte zuvor Rabiner die Entwicklung eingeleitet hatte, geschlossen.

Literatur

  • 1 Benesch R E, Benesch R, Bank A, Renthal R. „The preparation and properties of pyridoxalated hemoglobin”. Proc. 1st Inter-American Sympos. on Hemoglobins / Caracas 1969 Karger/Basel; 1971: 134
  • 2 Bonhard K. Fed.  Proc.. 1975;  34 1466-1467
  • 3 Elert O, Ottermann U. Thoracic Cardiovascular Surgery.  Thoracic Cardiovascular Surgery. 1979;  27 245-247
  • 4 Förster H, Hoos I, Schneider M, Hauk H. Infusionstherapie.  Infusionstherapie. 1997;  4 122-126
  • 5 Kothe N, Eichentopf B, Bonhard K. Surg Gynecol Obstet.  Surg Gynecol Obstet. 1985;  161 563-569
  • 6 Messmer K, Jesch F, Schaff J, Schoenberg M, Pielsticker K, Bonhard K. In: Jamieson GA, Greenwalt TJ (Eds) „Blood Substitutes and Plasma Expanders”. N.Y. Alan R Liss 1978: 175-190
  • 7 Rabiner S F, Helbert J R, Lopas H, Friedman L H. J. Exp M.  J Exp Med. 1967;  126 1127-1142
  • 8 Steinau U, Elert O. Rep. Nr. 65, 9. Jahrestagung d. Dt. Ges.  Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Bad Nauheim 1980
  • 9 Unseld H. Langenbecks. Arch Chir Suppl 1972: 403-406

Dr. Klaus Bonhardt

Georg-Wolff-Straße 5

63454 Hanau