Pneumologie 2001; 55(7): 339-342
DOI: 10.1055/s-2001-15613
EMPFEHLUNGEN
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Leitlinie zur Diagnostik und Therapie schlafbezogener Atmungsstörungen beim Erwachsenen

Leitlinien der Deutschen Gesellschaft fürPneumologie in Zusammenarbeit mit derDeutschen Gesellschaft für Schlafforschungund SchlafmedizinGuideline on Diagnostics and Treatment of Sleep-Related Respiratory Disorders in AdultsH. Hein, F. Raschke, D. Köhler, G. Mayer, J. H. Peter, K.-H. Rühle
Further Information

Dr. med. Holger Hein

Krankenhaus Großhansdorf
Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Wöhrendamm 80

22927 Großhansdorf

Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Table of Contents #

Einleitung

Schlafbezogene Atmungsstörungen betreffen ca. 8 % der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter (Weißbuch Schlafmedizin). Im Alter von 20 Jahren schnarchen weniger als 10 % der Bevölkerung, ab dem 65. Lebensjahr etwa 40 - 50 %. Mindestens 2 % der weiblichen und 4 % der männlichen Bevölkerung zwischen 30 und 60 Jahren leiden an Schlafapnoesyndromen.

Um die zur adäquaten Diagnostik und Therapie erforderlichen Leistungen zu präzisieren, haben sich Experten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie sowie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin in mehreren Sitzungen auf diese Leitlinie im S1-Niveau nach den Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) geeinigt. Die Leitlinie richtet sich an alle, die mit der Versorgung von Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen befasst sind, also an niedergelassene und in der Klinik tätige Allgemeinärzte und Fachärzte, Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen, aber auch Krankenkassen, Selbsthilfegruppen und Patienten. Die Leitlinie ist im Konsens mit den Empfehlungen, die von der American Academy of Sleep Medicine und der International Classification of Sleep Disorders formuliert wurden [1].

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Definition, Klassifikation und Epidemiologie schlafbezogener Atmungsstörungen

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mit pharyngealer Obstruktion

  • primäres Schnarchen: Laute Atmungsgeräusche, die im Bereich des Pharynx entstehen; keine Insomnie oder Hypersomnie (Tagesschläfrigkeit). Epidemiologie: mit 20 Jahren ca. 10 % der Bevölkerung, > 60. Lebensjahr etwa 50 % [2]. (Leitlinien bereits durch die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie veröffentlicht [3]).

  • Obstruktives Schlafapnoe-Hypopnoe-Syndrom (OSAHS): pro Stunde Schlaf mindestens 5 Ereignisse pharyngealer Obstruktionen mit Hypopnoen (Abnahme der Atmungsamplitude/-frequenz mit nachfolgendem Abfall der Sauerstoffsättigung um mindestens 3 % oder einem nachfolgendem Arousal [4]) oder Apnoen (mindestens 10 Sekunden dauerndes vollständiges Sistieren der Atmung); Hypersomnie oder (selten) Insomnie [5]. Epidemiologie: mindestens 1 % der Bevölkerung, Verhältnis Frauen/Männer: ca. 1 : 2 [6].

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ohne pharyngeale Obstruktion

(zur Epidemiologie liegen genaue Häufigkeitszahlen nicht vor)

  • Schlaf-Hypoventilations-Syndrome: Durch primäre Störungen der Atmungsregulation oder sekundär infolge von Erkrankungen der Lunge, des Thorax oder der Atmungsmuskulatur werden lange nächtliche Desaturationen, die nicht durch Apnoen oder Hypopnoen erklärt sind oder nächtliche paCO2-Anstiege > 10 mm Hg verglichen mit den Werten wach im Liegen beobachtet; zusätzlich mindestens eines der folgenden Zeichen: Cor pulmonale, pulmonale Hypertonie, Hypersomnie, Polyglobulie, Hyperkapnie im Wachzustand.

  • zentrales Schlafapnoe-Hypopnoesyndrom: pro Stunde Schlaf mindestens 5 zentrale Apnoen (Apnoedefinition s. o.) oder Hypopnoen (s. o.), ggf. im Sinne der Cheyne-Stokes-Atmung; gehäuft Arousals; Insomnie oder (selten) Hypersomnie.

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Symptome

Die o. g. respiratorischen Ereignisse können Arousals auslösen, die den Schlaf fragmentieren. Dadurch verliert dieser seine regenerierende Funktion: Hypersomnie oder gelegentlich auch Insomnie treten als Leitsymptome auf. Dies führt zu Leistungsminderung, Tagesschläfrigkeit und Unfällen. Die Leitsymptome haben einen zentralen Stellenwert zur Diagnostik und auch zur symptomorientierten Schweregradbeurteilung und müssen exakt gemessen und beschrieben werden (Tab. [1]). Eine Schweregradeinteilung alleinig basierend auf der Zahl der respiratorischen Ereignisse ist aufgrund der hohen Nacht-zu-Nacht-Variabilität meist nicht sinnvoll. Bei > 40 respiratorischen Ereignissen (Apnoen, Hypopnoen, obstruktionsbedingten Arousals) pro Stunde Schlaf liegt aber in der Regel ein schwergradiger Befund vor.

Tab. 1Schweregradeinteilung von Hypersomnie bzw. Insomnie
leichtmittelschwerschwer
HypersomnieSchläfrigkeit nur in Situationengeringer Aufmerksamkeit(z. B. Fernsehen, Beifahrerim Auto) oder bei EntspannungSchläfrigkeit täglich in Situationen mittelgradiger Aufmerksamkeit(z. B. Autofahren, Konzert)Schläfrigkeit täglich in Situationen mittelgradiger und höherer Aufmerksamkeit (z. B. Essen, Unterhaltung)
Schlaflatenzim MSLT10 - 15 Minuten5 - 10 Minuten< 5 Minuten
Insomnienach nahezu jeder Nacht unausgeschlafen nach eigentlich normaler Zeit im Bett; manchmal tagsüberUnruhe; ggf. etwas Angstnach jeder Nacht unausgeschlafen nach eigentlich normaler Zeit imBett; oft tagsüber Unruhe, ggf.etwas Angstin jeder Nacht subjektiv kein Schlaf nach eigentlich normaler Zeit im Bett; mit Unruhe, Erschöpfungsgefühl und ggf. Angst tagsüber
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Differenzialdiagnostik der Insomnie/Hypersomnie

s. Abb. [1]

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Abb. 1Begleiterkrankungen und ggf. Differenzialdiagnosen der Insomnie/Hypersomnie.

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Diagnostik

(entsprechend dem Stufenschema nach NUB)

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Stufe 1

Anamnese des Schlaf-/Wachverhaltens, Differenzialanamnese der Dyssomnien. ( = Erkrankungen, die zu Schlafstörungen führen). Standardisierte Fragebogen sind hilfreich. Körperliche Untersuchung.

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Stufe 2

Klinische Untersuchung, insbesondere im Hinblick auf Stoffwechselerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Ventilationsstörungen, neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Bei Verdacht auf die o. g. Erkrankungen sind zur Risikoabschätzung ergänzende apparative und laborchemische Untersuchungen sinnvoll (je nach Indikation Blutgase, Lungenfunktion, Atemmuskelfunktion, EKG, Langzeit-EKG, Langzeit-Blutdruck, Ergometrie u. ä., Routinelabor, basaler TSH-Wert, HNO-ärztliche Untersuchung, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgische Untersuchung bei Verdacht auf kraniofaziale Dysmorphie, Bestimmungen von Parametern und funktionelle Analyse im hormonellen System).

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Stufe 3

Ist die Dyssomnie nicht zweifelsfrei durch o. g. Untersuchungen der Stufe 1 und 2 zu klären, sollte ein ambulantes nächtliches Monitoring zu Hause erfolgen. Bei Tagesschläfrigkeit und eindeutiger Anamnese für schlafbezogene Atmungsstörungen können polysomnographische Messungen zum Nachweis oder Ausschluss einer SBAS auch ohne vorherige Stufe 3 erfolgen.

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Stufe 4

Zur Differenzialdiagnose von Dyssomnien, insbesondere zur Abgrenzung von primärem Schnarchen und behandlungsbedürftigen periodischen nächtlichen Beinbewegungen, sind polysomnographische Messungen indiziert, ebenso zur Differenzierung von anderen Formen von Schlaf-Wach-Störungen (z. B. PLMS, RLS, Narkolepsie),

Bei Begutachtungen und/oder bestehender Eigen- oder Fremdgefährdung sind Vigilanztestungen zur Quantifizierung der Hypersomnie/Insomnie mittels standardisierter Fragebogen, in der Regel auch durch Messungen der Hypersomnie mittels des Multiple Sleep Latency Tests (MSLT) oder Maintenance of Wakefulness Tests (MWT), Reaktionszeittests, Fahrsimulationstests u. ä. notwendig.

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Therapie

Ziel: komplette Beseitigung der schlafbezogenen Atmungsstörung; entweder der pharyngealen Obstruktion oder der zentralen Hypoventilation/zentralen Apnoen, mit vollständiger Normalisierung aller hierdurch ausgelösten Symptome und Folgeerkrankungen nach Ermittlung des individuellen Risikoprofils.

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Obstruktive schlafbezogene Atmungsstörungen

  • Lebensführung (ggf. Gewichtsreduktion, Meiden von Alkohol/Schlafmitteln)

  • bei primärem Schnarchen ggf. operative Erweiterungen des Pharynx

  • obstruktives Schlafapnoe-Hypopnoe-Syndrom:CPAP/BiPAP-Therapie

  • bei leichtgradigen Formen mit nur geringer klinischer Symptomatik können Unterkieferprotrusionsschienen versucht werden. Langfristige Studien zur Wirksamkeit und zu Nebenwirkungen stehen aber noch aus

  • kieferchirurgische Verfahren (Mandibulo-Maxillo-Osteotomie)

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Zentrale schlafbezogene Atmungsstörungen, Schlaf-Hypoventilations-Syndrom

  • Therapie der Grunderkrankung

  • Langzeitsauerstofftherapie.

  • kontrollierte Beatmung mit Volumen- oder Druckvorgabe, CPAP-Therapie

  • in Einzelfällen medikamentöse Verfahren, nach Prüfung mit Auslassversuch

Für obstruktive schlafbezogene Atmungsstörungen wurde nachgewiesen, dass durch zusätzliche Schulungsmaßnahmen das Gesundheitsverhalten aufgrund der Kenntnis der Ursachen positiv beeinflusst wird. Bei intensivierter Diagnostik (stationäre Polysomnographie) und intensivierter Therapieeinleitung (mehrere Polysomnographien zu Drucktitration, Schulung des Patienten und ggf. der Angehörigen) ist die Nutzung der Beatmungstherapie besser als ohne diese Maßnahmen [7].

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Nachuntersuchungen

Nach operativer oder apparativer (Unterkieferprotrusionsschienen, Beatmungsverfahren) Therapie soll der Erfolg innerhalb von 3 Monaten überprüft werden, mittels Polysomnographie. Weitere Nachuntersuchungen können ambulant erfolgen, in mindestens jährlichen Abständen. Aus Gründen der Qualitätssicherung sollen die Daten standardisiert erhoben (4-Kanal-Screening, Nebenwirkungsfragebogen, Lebensqualitätsfragebogen, Schläfrigkeitsskala, Nutzungszeit, Beatmungsdruck) und an das die Therapie einleitende Labor übermittelt werden (keine „Einbahnstraße” der Datenübermittlung). Bei nachlassendem Therapieerfolg (erneut Dyssomnie), schweren Therapieproblemen oder erheblichen Gewichtsänderungen sind polysomnographische Kontrollen notwendig.

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Qualitätssicherung

Durch standardisierte Kontrolle der Struktur- und Prozessqualität, z. B. in einem Peer-Review-Verfahren mit zufällig ausgewählten Krankheitsfällen, muss sichergestellt werden, dass Diagnostik und Therapie fachgerecht durchgeführt werden. Patienten-Outcomes (Symptomfreiheit, Zufriedenheit etc.) sollen zur Sicherung der Qualität erhoben und dokumentiert werden.

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Was geht ambulant?

  • Stufe 1 - 3 der Diagnostik

  • Aufklärung über notwendige Änderung der Lebensführung

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Was geht stationär?

  • Stufe 4 der Diagnostik

  • Therapieeinleitung

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Was ist obsolet?

  • Die Behandlung hypersomnischer Patienten ohne ausreichende differenzialdiagnostische Klärung der Ursachen der Hypersomnie und ohne Dokumentation der Hypersomnie bzw. des diesbezüglich erreichten Therapieerfolges.

  • Jeder chirurgische Eingriff ohne ausreichende kardiorespiratorische polysomnographische Diagnostik bzw. ohne Ermittlung des Risikoprofils.

  • Jede Einleitung einer nasalen Ventilationstherapie ohne ausreichende vorangegangene Diagnostik und ohne Dokumentation des Therapieerfolgs oder ohne Langzeitbetreuung.

  • Die Anwendung aller nicht zuverlässigen Therapieverfahren bei erkennbarer Gesundheitsgefährdung durch OSAHS.

Die vorliegende Leitlinie wurde erarbeitet von der Wissenschaftlichen Sektion „Nächtliche Atmungs- und Kreislaufstörungen” der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) unter Mitarbeit der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), und einstimmig verabschiedet von den Vorständen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP).

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Wissenschaftliche Sektion „Nächtliche Atmungs- und Kreislaufstörungen” der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie

Dr. med. Holger Hein, Großhansdorf (Sprecher)
Priv. Doz. med. Friedhart Raschke, Norderney
(Stellvertretender Sprecher)

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Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie

Prof. Dr. Werner Seeger, Gießen
Prof. Dr. Helgo Magnussen, Großhansdorf
Prof. Dr. Adrian Gillissen, Bonn
Prof. Dr. Dennis Nowak, München
Prof. Dr. C. Vogelmeier, Marburg
Dr. Andreas Hellmann, Augsburg

Erstellungsdatum: 9. April 2001

Überprüfung geplant: Frühjahr 2003

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Literatur

  • 1 American Sleep Disorders Association. The International Classification of Sleep Disorders, revised: Diagnostic and Coding Manual. American Sleep Disorders Association 1997
  • 2 Lugaresi E, Cirignotta F, Coccagna G, Piana C. Some epidemiological data on snoring and cardiovascular disturbances.  Sleep. 1980;  3 221-224
  • 3 Pirsig W. Leitlinien der die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie.  Laryngo-Rhino-Otol.. 1999;  78 164
  • 4 Arousal: zentralnervöse Aktivierungsreaktion Definition: American Sleep Disorders Association. EEG Arousal: scoring rules and examples.   Sleep. 1992;  15 174-184
  • 5 American Academy of Sleep Medicine Task Force. Sleep related breathing disorders in adults: recommendations for syndrome definition and measurement techniques in clinical research.   Sleep. 1999;  22 667-689
  • 6 Young T, Palta M, Dempsey J et al. The occurrence of sleep-disordered breathing among middle-aged adults.  New Engl J Med. 1993;  328 230-1235
  • 7 Young T. Am J Respir Crit Care Med 1999; 159: 1096-1100

Dr. med. Holger Hein

Krankenhaus Großhansdorf
Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Wöhrendamm 80

22927 Großhansdorf

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Literatur

  • 1 American Sleep Disorders Association. The International Classification of Sleep Disorders, revised: Diagnostic and Coding Manual. American Sleep Disorders Association 1997
  • 2 Lugaresi E, Cirignotta F, Coccagna G, Piana C. Some epidemiological data on snoring and cardiovascular disturbances.  Sleep. 1980;  3 221-224
  • 3 Pirsig W. Leitlinien der die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie.  Laryngo-Rhino-Otol.. 1999;  78 164
  • 4 Arousal: zentralnervöse Aktivierungsreaktion Definition: American Sleep Disorders Association. EEG Arousal: scoring rules and examples.   Sleep. 1992;  15 174-184
  • 5 American Academy of Sleep Medicine Task Force. Sleep related breathing disorders in adults: recommendations for syndrome definition and measurement techniques in clinical research.   Sleep. 1999;  22 667-689
  • 6 Young T, Palta M, Dempsey J et al. The occurrence of sleep-disordered breathing among middle-aged adults.  New Engl J Med. 1993;  328 230-1235
  • 7 Young T. Am J Respir Crit Care Med 1999; 159: 1096-1100

Dr. med. Holger Hein

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Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Wöhrendamm 80

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Abb. 1Begleiterkrankungen und ggf. Differenzialdiagnosen der Insomnie/Hypersomnie.