Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(4): 193-194
DOI: 10.1055/s-2001-12753
EDITORIAL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Atemwegssicherung - gibt es mehr als einen „Goldstandard”?

Is there more than one Gold Standard in Airway Management?C. Krier, R. Georgi
  • Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Katharinenhospital Stuttgart
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

In der Literatur gilt die endotracheale Intubation übereinstimmend als „Goldstandard” bei der Sicherung der Atemwege [1] [2]. Hat man dabei die Vorteile des endotrachealen Tubus (ET) im Sinn, so ist diese Einschätzung sicher richtig. Der endotracheale Tubus ermöglicht die Beatmung mit positivem Druck sowie die Applikation von Sauerstoff mit definiertem FiO2 und von PEEP; er bietet einen weitgehenden Schutz vor Aspiration von Mageninhalt, verhindert eine inspiratorische Leckage und erlaubt die Durchführung der tracheobronchialen Absaugung. Alle Wünsche des Anästhesisten wären damit fast vollständig erfüllt - auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Schutz vor Aspiration auch beim endotrachealen Tubus nicht 100 % ist. Restrisiken nimmt man in der Medizin, wie in allen Lebensbereichen in Kauf. Betrachtet man aber die Nachteile von Laryngoskopie und endotrachealer Intubation so ist die „pole position” des ET nicht mehr so gesichert. Oro-dentale Verletzungen und negative Auswirkungen des Intubationsvorganges auf Kiefergelenke und Halswirbelsäule kommen in klinisch relevanter Häufigkeit vor und sind nicht selten Ursache forensischer Auseinandersetzungen. Verzichtet man auf die klassische Laryngoskopie (als alternative Techniken kommen in Frage: Transilluminationstechnik, fiberoptisch gestützte Intubation oder blinde Einführungstechniken), so bleiben die potenziellen Schädigungen durch den liegenden endotrachealen Tubus selbst. Sie reichen von relativ benignen und vorübergehenden Hals- und Schluckbeschwerden bis hin zu Verletzungen im Bereich des Larynx mit Granulomen und Hämatomen und zur sog. Aryknorpelluxation, die - wenn zu spät erkannt - zu bleibender Heiserkeit führen kann (vgl. [3]).

So ist es verständlich, dass schon bald nach dem „Siegeszug” der endotrachealen Intubation nach Alternativen gesucht wurde, die die Verwendung starrer Laryngoskope und/oder des so eng mit dem Larynx in Verbindung stehenden Tubus überflüssig machen würde - ohne den Schutz des ET vor Aspiration ganz aufzugeben. Die Rückkehr zur Gesichtmaske erschien dabei nie angebracht, ist doch die Gefahr der Aspiration nachgewiesenermaßen zu groß, und auch die Gewöhnung an die frei gewordenen Hände des Anästhesisten war kein aufgebenswertes Ziel.

Bei der Suche nach Alternativen zur endotrachealen Intubation spielte die Entdeckung der Larynxmaske durch A. Brain im Jahre 1983 eine wesentliche Rolle. Brains Vorstellung war, einen direkten Zugang zu den Atemwegen zu schaffen, der die Risiken und Probleme der konventionellen endotrachealen Intubation verringert und gleichzeitig mehr Sicherheit und Bedienungsfreundlichkeit gegenüber einer Gesichtsmaske bietet. Dieser Meilenstein in der Entwicklung alternativer Techniken der Atemwegssicherung löste - quasi im Nebeneffekt - eine Vielzahl an Ideen aus und bescherte uns ein heute wesentlich erweitertes Arsenal an Möglichkeiten und Werkzeuge zur Sicherung der Atemwege. Neben der Larynxmaske, sind dies: der Combitubus, dessen Einsatz in der Notfallmedizin einige Vorteile bietet, sowie oropharyngeale Luftbrücken (Glottic Aperture Seal Airway, Larynx-Tubus, u. a.), deren Indikation und Effizienz aus unserer Sicht noch nicht ausreichend belegt sind, desweiteren eine Vielzahl von Laryngsokopmodifikationen und starren Optiken, und nicht zuletzt die fiberoptische Intubation (mit oder ohne Zuhilfenahme der Larynxmaske).

Es erfolgte im anästhesiologischen Airway-Management ein Umdenken in der Art, dass die Strategien flexibler und vielfältiger geworden sind; nicht allein die endotracheale Intubation - lange als mehr oder weniger gültiges Allheilmittel der Sicherung der Atemwege für alle Fälle propagiert - erschien nunmehr geeignet, die Oxygenierung des Patienten zu garantieren, sondern eine Vielzahl an die spezielle klinische Situation adaptierter Verfahren und Techniken. Dies ist gut so, denn ein Königsweg in der Lösung aller Atemwegsprobleme in der Anästhesiologie existiert nicht. Die von vielen Fachgesellschaften entwickelten Algorithmen sind heute fester Bestandteil in Lehre und Praxis der Atemwegssicherung. Ihnen allen gemeinsam ist die Ausgangsposition „unmögliche endotracheale Intubation” und das Ziel „die Oxygenierung des Patienten”.

Die Larynxmaske (LMA) selbst erfuhr in den letzten Jahren eine Reihe von Modifikationen (flexible LMA mit Spiraltubus, Intubationslarynxmaske). In diesem Heft stellen Füllekrug et al. [4] eine neue Variante der Larynxmaske [5] - die Pro-Seal-LM vor und berichten über erste klinische Erfahrungen. Sie konstatieren bei einer noch kleinen Zahl an Patienten deutlich höhere Leckagedrücke, die bessere Bedingungen einer Beatmung mit positiven Atemwegsdrucken versprechen und auch einen höheren Schutz vor Aspiration. Zudem erlaubt ein zweites bis in den Ösophagusmund reichendes Lumen die Ableitung von eventuellem Regurgitat und die Plazierung einer Magensonde. Damit erscheint die ohnehin kleine Gefahr der Aspiration bei der Verwendung der LMA (insofern die Kontraindikationen berücksichtigt werden!) noch weiter minimiert, so dass die neue LMA sehr tief in die klassische Domäne der endotrachealen Intubation eindringen könnte.

Ist die Position des ET als Goldstandard der Sicherung der Atemwege damit gefährdet? Gibt es mehr als einen Goldstandard der Atemwegssicherung.?

Diese eingangs gestellte Frage ist nicht einfach mit ja oder nein zu beantworten, sondern die Antwort muss differenzierter ausfallen. In bezug auf die Verhinderung einer Aspiration gilt der ET weiterhin als Goldstandard, an dem sich alle alternativen Luftbrücken zu messen haben. Die LMA liegt für viele klinischen Situationen hier durchaus in einem vergleichbaren Inzidenzbereich; die neue ProSeal-LM wird diese Position vielleicht noch verbessern. Aber auch die Nachteile der endotrachealen Intubation wurden in den letzten Jahren vermehrt berücksichtigt. Diese betreffen Bereiche des Komforts (Heiserkeit, Halsschmerzen) und echte Risiken mit vorübergehenden oder irreversiblen Schädigungen durch die Laryngoskopie und den ET.

Die Frage nach der optimalen Technik der Atemwegssicherung orientiert sich heute nicht mehr an prinzipiellen, historisch verständlichen Auffassungen und Lehrmeinungen, sondern aufgrund der Vielzahl erprobter Techniken an der jeweiligen klinischen Situation, dem Patientenkollektiv oder dem individuellen Patienten, der Art des Eingriffes, den örtlichen Bedingungen (Klinik; Präklinik), dem Erfahrungsstand der Akteure (Anästhesist und Chirurg) und den besonderen Indikationen (elektiver Eingriff, Notfallsituation, erschwerter Zugang zu den Atemwegen, u. v. m.).

Für viele Bereiche wird die endotracheale Intubation der (Gold)Standard der Atemwegssicherung bleiben; dies betrifft die meisten Eingriffe im Bereich des Kopfes, des Thorax und des Bauches und die Abwesenheit von Nüchternheit. Andere Bereiche entwickeln sich zunehmend zur etablierten Domaine des Einsatzes der LMA (Adenotomien im Kindesalter, Eingriffe an den Extremitäten, ambulante Anästhesie), während ein dritter Bereich eine individuelle Entscheidung des „sowohl als auch” erfordert. Je nach Eingriffausdehnung, je nach Patientenkonstellation (vermutete oder bewiesene schwierige Intubationssituation) oder je nach Erfahrung von Anästhesist und Operateur - erfolgt eine individuelle Indikation zur endotrachealen Intubation oder zur LMA oder auch zum Combitube, vielleicht auch zu weiteren Alternativen (s. o.), allesamt mit dem Ziel den optimalen Weg (höchstmögliche Sicherheit, geringstes Risiko) für den individuellen Patienten zu finden.

Literatur

  • 1 Pothmann W. Laryngoskopie und endotracheale Intubation. In: Krier C, Georgi R. Airway-Management. Die Sicherung der Atemwege. Thieme Verlag Stuttgart; 2001
  • 2 Hanowell L H, Waldron R J. Airway Management. Lippicott-Raven Philadelphia; 1996
  • 3 Rieger A. Intubationsschäden: Inzidenz, Komplikationen, Konsequenzen. In: Krier C, Georgi R. Airway-Management. Die Sicherung der Atemwege. Thieme Verlag Stuttgart; 2001
  • 4 Füllekrug B, Reissmann H, Pothmann W, Masch T, Schulte am Esch J. Die ProSeal-LM, eine neue Variante der Larynxmaske: Beschreibung und erste klinische Erfahrungen.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2001;  26 1-6
  • 5 Brain A IJ, Verghese C, Strube P J. The LMA “ProSeal” - a laryngeal mask with an esophageal vent.  Br J Anaesth. 2000;  84 650-654

Prof. Dr. med. Claude Krier

Katharinenhospital Stuttgart
Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin

Kriegsbergstraße 60

70174 Stuttgart

Email: c.krier@katharinenhospital.de

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