Pneumologie 2000; 54(2): 97-98
DOI: 10.1055/s-2000-9073
KOMMENTAR
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

„Biologische Waffen” - die Rückkehr der Seuchen?

„Biological Weapons” - Return of Epidemics?H. S. Fuchs
  • Bonn-Bad Godesberg
Further Information

Prof. Dr. med. Heinz S. Fuchs

Facharzt für Innere Krankheiten und für Lungenerkrankungen

Arbeitsmedizin - Sportmedizin - Flugmedizin

D-53173 Bonn-Bad Godesberg

Zietenstraße 24

Publication History

Publication Date:
31 December 2000 (online)

Table of Contents

Weitaus billiger als nukleare und chemische Kampfstoffe sind in Herstellung, Lagerung und Einsatz die „biologischen Waffen” wie u. a. Ebola-, Marburg-, Milzbrand-, Pest-, Pocken- und Typhus-Erreger und Botulismus-Toxin.

Offiziell zwar durch internationale Verträge (ohne effektive Kontrollmechanismen) 1972 verboten, geht das biologische Wettrüsten weiter: nicht nur im Irak und weiteren zehn Drittwelt-Ländern - auch Rußland steht im Verdacht der U.S. Administration - und auch internationale Terroristen sollen über ein derartiges Arsenal verfügen.

Käme es zu einem Einsatz von „biologischen Kampfstoffen”, dann

  • kennen die Ärzte heute die Symptomatik dieser „ausgerotteten” Krankheiten nicht mehr und können sie nicht diagnostizieren,

  • stehen Impfstoffe nicht mehr in ausreichender Menge zur Verfügung - dies gilt besonders für die bedrohlichsten, die Pocken und den Milzbrand.

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Pocken (Variola)

Nach 10 Jahren erfolgreicher Impfkampagnen hat die WHO 1977 die Pocken (P.) als „ausgerottet” erklärt und 1980 sogar empfohlen, Pocken-Schutzimpfungen nicht mehr durchzuführen. Weltweit besteht keine Impfpflicht mehr; die Herstellung von Pocken-Impfstoff ist eingestellt worden, die Produktionsstätten demontiert. Es gibt heute keinen einzigen Hersteller mehr.

Während 1972 noch jedes Land über ausreichend Pocken-Impfstoff verfügte, sind heute weltweit nur ca. 50 Mio. Vakzine-Dosen vorhanden; die USA können allenfalls fünf bis sieben Mio. ihrer 260 Mio. Bürger impfen. Selbst ein gewaltiges Sofortprogramm würde drei Jahre für die Produktion der notwendigen Abermillionen von Impfstoff-Portionen benötigen.

Offiziell existieren heute nur noch an zwei Stellen lebende Variola-Viren: in den Hochsicherheitslaboratorien der „Centers for Disease Control and Prevention (CDC)” in Atlanta, Georgia (USA) und im Russischen Forschungszentrum für Virologie und Biotechnologie in Koltsovo, Novosibirsk.

Die Weltbevölkerung ist also seit zwei Dekaden ohne Impfschutz: Bei einer ungeschützten Population beträgt die Pocken-Letalität 20 - 50 % und unter den früher Geimpften besteht heute ein Impfschutz nur noch bei 20 %!

Pocken-Virus, also Aerosol versprüht und nicht dem UV-Licht ausgesetzt, kann unter günstigen Bedingungen länger als 24 Std. eine Inhalations- und/oder Schmierinfektion verursachen. Eine Ausbreitung des Pocken-Virus ist durch den interkontinentalen Luftverkehr vorprogrammiert!

Fazit: Die Pocken können heute eine ungeschützte Weltbevölkerung bedrohen, die Ärzte sind der Diagnose nicht mehr kundig und unvorbereitet, genügend Impfstoff und eine spezifische Therapie gibt es nicht.

Der US-Präsident hat in staatsmännischer Verantwortung am 22. April 1999, dem Rate des „Institute of Medicine (IOM)” folgend, die von der WHO empfohlene Zerstörung der letzten lebenden Pocken-Virus-Stämme bis Ende Juni 1999 für die USA ausgesetzt, um sie zur Herstellung von Pocken-Impfstoff weiterhin verfügbar zu haben [[1]].

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Milzbrand (Anthrax)

Bereits 1970 hatte die WHO geschätzt, daß der Aerosoleinsatz von 50 kg Anthrax (A.)-Bazillen in einer Fünfmillionen-Stadt zur Infektion von 250 000 und - ohne entsprechende Behandlung - zum Tode von 100 000 Menschen führen würde.

Das Anthrax-Aerosol ist unsichtbar, geruchlos und kann vom Wind kilometerweit getragen werden, bevor es sich am Boden verteilt und auch in Gebäude eindringt. Die Infektion erfolgt über die Haut, durch Inhalation und Ingestion.

Bisher ist bekannt, daß

  • bei einem Betriebsunfall in einer mikrobiologischen Fabrik der sowjetischen Streitkräfte in Swerdlowsk (1979) Anthrax-Aerosol freigesetzt worden ist: 79 Menschen wurden infiziert, 68 verstarben;

  • die terroristische AumShinrikyo-Sekte in einer Tokyoter U-Bahnstation (1995) Sarin-, Anthrax-Botulismustoxin-Aerosole (ohne schädigende Wirkungen) eingesetzt hat.

Zwar steht mit Penicillin (Doxycyclin) eine wirksame Therapie zur Verfügung, doch hat bei dem möglichen Bedrohungsszenario die FDA (USA) eine Anthrax-Vakzine (inaktiviertes zellfreies Produkt) lizensiert.

Diese Anthrax-Vakzine ist für die US- und die kanadischen Streitkräfte als Pflichtimpfung, für die britischen Streitkräfte als freiwillige Impfung angeordnet worden. Bis zum März 1999 sind 590 000 Portionen dieser Anthrax-Vakzine angewandt worden (im Golfkrieg 1990 - 91 bei 150 000 Soldaten ohne berichtete Zwischenfälle).

Dennoch gibt es Probleme:

  1. Weil der Impfstoff 1970 nach nur kurzer Erprobung eingeführt worden ist und Langzeitstudien bisher nicht vorliegen, haben 73 % der britischen Soldaten die freiwillige Impfung abgelehnt, ebenso ein kanadischer Sergeant und zwei US-Marines die Pflichtimpfung: sie stehen nun wegen Ungehorsams vor Gericht;

  2. die Produktion des Anthrax-Impfstoffes liegt in der Hand nur eines Herstellers; seine Kapazität ist begrenzt, die Produktionsstätte reparaturbedürftig - und die Kosten sind auf das Dreifache gestiegen!

In den Ländern der früheren UdSSR wird ebenfalls ein Anthrax-Impfstoff aus lebenden attenuierten Erregern hergestellt; in der westlichen Welt wird dieser als für den Menschen ungeeignet beurteilt [[2]].

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Literatur

  • 1 Voelker R. Bioweapon Warning; Jama 281 (1999), 1075/J. Stephenson; Smallpox Virus Reprieve?; Jama 281 (1999), 1368/Ed. Lancet; USA to keep smallpox; Lancet 353 (1999), 1508/Ed. Lancet; Is smallpox history?; Lancet 353 (1999), 1539/News; US keeps smallpox stocks; Britmed J 318 (1999), 1438/D. A. Henderson; Smallpox as a Biological Weapon. Jama 1999 281: 2127
  • 2 Morris K. Us military face punishment for refusing anthrax vaccine; Lancet 353 (1999), 130/M. McCarthy; US anthrax maker plagued by cash woes; Lancet 354 (1999), 140/Th. V. Inglesby et al.; Anthrax as a Biological Weapon. Jama 1999 281: 1735

Prof. Dr. med. Heinz S. Fuchs

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D-53173 Bonn-Bad Godesberg

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Literatur

  • 1 Voelker R. Bioweapon Warning; Jama 281 (1999), 1075/J. Stephenson; Smallpox Virus Reprieve?; Jama 281 (1999), 1368/Ed. Lancet; USA to keep smallpox; Lancet 353 (1999), 1508/Ed. Lancet; Is smallpox history?; Lancet 353 (1999), 1539/News; US keeps smallpox stocks; Britmed J 318 (1999), 1438/D. A. Henderson; Smallpox as a Biological Weapon. Jama 1999 281: 2127
  • 2 Morris K. Us military face punishment for refusing anthrax vaccine; Lancet 353 (1999), 130/M. McCarthy; US anthrax maker plagued by cash woes; Lancet 354 (1999), 140/Th. V. Inglesby et al.; Anthrax as a Biological Weapon. Jama 1999 281: 1735

Prof. Dr. med. Heinz S. Fuchs

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