Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S190
DOI: 10.1055/s-0045-1802290
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
04.04.2025
Hygiene
12:30 – 14:00

„Begrenzt viruzid PLUS“ – Auswahl von Desinfektionsmitteln und Anforderungen an die infektionshygienische Überwachung

A Marcic
1   Amt für Gesundheit der Landeshauptstadt Kiel, Abteilung Infektionsschutz
,
B Christiansen
2   Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin, Kiel
,
I Schwebke
3   Kommission für Virusdesinfektion der DVV/GfV
,
H Martiny
4   Univ.-Prof. für Hygiene (a.D.), Berlin
› Institutsangaben
 

Hintergrund: Im medizinischen und pflegerischen Bereich müssen gemäß § 23 Absatz 3 und § 35 Absatz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) [1] die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und der Pflegewissenschaft erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um Infektionen zu verhüten und die Weiterverbreitung von Krankheitserregern zu vermeiden. Mit der Vermutungswirkung im IfSG sind die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) als Maßstab definiert und sowohl bei der Auswahl von Desinfektionsmitteln als auch bei der infektionshygienischen Überwachung zu beachten.

Beim Auftreten von Infektionserkrankungen mit unbehüllten, partiell lipophilen Viren wie Noroviren, Rotaviren und Adenoviren ist die Anwendung von Desinfektionsmittel mit dem Wirkbereich „begrenzt viruzid PLUS“ erforderlich.

Für die Auswahl von Desinfektionsmitteln kann auf verschiedene Desinfektionsmittellisten zurückgegriffen werden, die auf unterschiedlichen Anforderungen basieren. Nicht alle „gelisteten“ Desinfektionsmittel sind gleichermaßen wirksam und erfüllen die Anforderung an unabhängig geprüfte Produkte. Dies gilt im besonderen Maße für die Viruzidie-Prüfung.

Der Grundsatz des Minimierungsgebotes im Biozidprodukterecht hat zur Folge, dass heutzutage oftmals Produkte an der Wirksamkeitsgrenze zugelassen und verfügbar sind, für die eine Bestätigung der Wirksamkeit mit nur einer Prüfung nicht ausreichend ist [1,2]. Vor diesem Hintergrund kommt der Auswahl wirksamer Desinfektionsmittel eine besondere Bedeutung zu, die im Rahmen der infektionshygienischen Überwachung thematisiert werden muss.

Umsetzung: Unter Berücksichtigung der KRINKO-Empfehlung [3], KRINKO-Stellungnahme [4] und der zur Verfügung stehenden Desinfektionsmittellisten sowie EN-Normen werden die Anforderungen an die Wirksamkeitsprüfung und Auswahl von Desinfektionsmitteln nachvollzogen und Konsequenzen für die infektionshygienische Überwachung abgeleitet. Hier wird zwischen medizinischen Einrichtungen mit Hygienefachpersonal und (medizinischen) Einrichtungen ohne Hygienefachpersonal und den jeweils abzuleitenden Konsequenzen unterschieden. In Einrichtungen mit Hygienefachpersonal muss dieses auf die Auswahl nachgewiesenermaßen unabhängig geprüfter Desinfektionsmittel achten. In Einrichtungen, die nicht über Hygienefachpersonal verfügen (müssen), in denen jedoch Desinfektionsmaßnahmen indiziert sind, ist das Gesundheitsamt gefordert, im Rahmen der infektionshygienischen Überwachung auf den Einsatz unabhängig geprüfter Desinfektionsmittel hinzuwirken.

Diskussion: Nicht jedes zugelassene und verfügbare Biozidprodukt erfüllt die erforderlichen Wirksamkeitsanforderungen für den Einsatz in infektionshygienisch sensiblen Bereichen. Die zur Verfügung stehenden Desinfektionsmittellisten sind bei der Auswahl des Wirkbereiches begrenzt viruzid PLUS wenig hilfreich, da der Wirkbereich z.B. in der RKI-Liste nicht ausgewiesen wird und eine VAH-Zertifizierung oftmals nicht beantragt wird und damit keine nachvollziehbar herstellerunabhängige Bewertung vorliegt. Das Gesundheitsamt ist als unabhängige Überwachungsbehörde gefordert, die Wirksamkeit der eingesetzten Desinfektionsmittel bei gegebener Indikation zur Desinfektion zu hinterfragen. Andernfalls ist davon auszugehen, dass nicht ausreichend wirksame Produkte im Einsatz sein können. Auf die Prüfung mittels praxisnaher Tests ist zu achten [5]. Nötigenfalls muss das Gesundheitsamt verlangen, dass Wirksamkeitsnachweise bei den jeweiligen Herstellern angefordert werden.

Für die Wahrnehmung dieser Aufgaben bedarf es spezifischer Handlungsempfehlungen und Fortbildungen. Entsprechende Fortbildungsangebote sind zu etablieren.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
11. März 2025

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